Die FDP lässt die Muskeln spielen: Die Liberalen pochen auf einschneidende Wirtschaftsreformen und treiben die Ampel-Partner vor sich her. Damit bestimmen sie die Debatte, mal wieder droht Krach in der Koalition. Ist die FDP am Ende das Problem?
Die Liberalen waren in ihrem Element: Am Wochenende hat die FDP auf ihrem Parteitag in Berlin nichts weniger als eine "Wirtschaftswende" gefordert. Dazu braucht es aus ihrer Sicht unter anderem: eine härtere Gangart gegen Bürgergeldbezieher, keine neuen Sozialleistungen, eine Rückabwicklung der Rente mit 63 und Steuersenkungen.
Starker Tobak für SPD und Grüne, die Partner in der Ampel. Dem Bündnis stehen ungemütliche Diskussionen bevor. Und mal wieder ist es die FDP, die querschießt. Nicht zum ersten Mal treiben die Liberalen die Regierung vor sich her. Braucht es eine solche Partei? Und was wäre, wenn die FDP den Einzug in den nächsten Bundestag verpasst?
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Pro: Es ist gut, dass es ein liberales Korrektiv gibt
Von Fabian Hartmann
Nein, es steht nicht gut um die FDP. Seit Monaten liegen die Liberalen in den Umfragen konstant zwischen vier und sechs Prozent, schrammen damit gefährlich nahe an der Todeszone. Gut möglich, dass der Partei bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr das parlamentarische Aus droht. Es wäre nach 2013 das zweite Mal. Welch ein Fiasko.
Ob sich die FDP davon erholen würde, ist keineswegs ausgemacht. Manch einer – vor allem auf der linken Seite, aber auch im konservativen Spektrum – mag sich darüber freuen. Und es stimmt ja auch: Die Liberalen können nerven. Ihr Freiheitsbegriff – Stichwort Tempolimit oder Konsum von Fleisch – ist oft verengt, das starre Festhalten an der Schuldenbremse längst nicht mehr erklärbar. In der Ampel wirkt die FDP bisweilen wie ein Fremdkörper und betreibt Opposition gegen die eigene Regierung. Auch das erklärt die miesen Umfragewerte.
Für die politische Kultur aber wäre ein Aus der Liberalen ein herber Verlust. Trotz aller Mängel: Es gibt nur eine Partei in Deutschland, die auf allen Politikfeldern freiheitlich denkt: die FDP. Keine Frage, auch bei Union, SPD, Grünen und selbst der Linken finden sich liberale Positionen. Im Zweifel aber setzen diese Parteien auf den Staat, auf das Kollektiv. Eine Große Koalition hätte kein Problem damit, Bürgerrechte zu schleifen. Ein Bündnis aus SPD und Grünen hätte schon längst die Steuern erhöht.
Man muss nicht jede Position der FDP teilen, man kann den mitunter schrillen Sound einiger Liberaler durchaus befremdlich finden und trotzdem anerkennen: Es ist gut, dass es im Parlament ein Korrektiv gibt, das individualistisch, ja weniger staatsverliebt denkt. Und das durchaus Erfolge vorzuweisen hat: Ohne die Liberalen in der Regierung hätte es nie und nimmer den Einstieg in die Aktienrente gegeben. Kommende Generationen werden es der FDP danken.
Es ist die Tragik der Partei, dass sie es nicht schafft, diese Erfolge im Regierungshandeln offensiv zu vertreten. Stattdessen verengt sie den Liberalismus zu oft auf Klientelpolitik und Kulturkampf und wirkt damit wie aus der Zeit gefallen. Die Konsequenz nach der nächsten Wahl könnte ein Parlament sein, in dem alle Parteien nach mehr Staat rufen. Keine schönen Aussichten.
Contra: Die FDP braucht kein Mensch mehr
Von Joshua Schultheis
Manchmal kann einen der eigene Erfolg überflüssig machen. Der politischen Strömung des Liberalismus ist es so ergangen. Auch sein deutscher Vertreter, die FDP, teilt dieses Schicksal: Eigentlich braucht es die Freien Demokraten heute nicht mehr. Um dieses Paradox zu verstehen, muss man in der Geschichte etwas weiter zurückgehen.
Als sich vor etwa 200 Jahren das heutige politische Spektrum herausbildete, herrschten noch gewaltige Unterschiede zwischen den Lagern: Es gab Konservative, die für die Monarchie waren, und Linke, deren Verständnis von Volksherrschaft direkt in den Terror führte. Die Liberalen standen dagegen für die parlamentarische Demokratie und das Rechtsstaatsprinzip. Das klingt nicht nur zufällig nach der Welt, in der wir heute leben: Historisch gesehen hat sich der Liberalismus auf ganzer Linie durchgesetzt.
Selbstverständlich mussten auch in der Bundesrepublik noch wichtige Freiheiten, etwa für Frauen und Minderheiten, erkämpft werden. Und auch heute noch ist der Prozess der Liberalisierung nicht abgeschlossen. Vorangetrieben wird er aber längst auch von Grünen, SPD und sogar Teilen der Unionsparteien. Ein Alleinstellungsmerkmal der FDP sind gesellschaftliche Fragen nicht mehr. Deshalb verlegen sich die Freien Demokraten auch zunehmend auf ein anderes Thema, um sich zu profilieren: Wirtschaftspolitik.
Auch in diesem Bereich haben Liberale ohne Frage den Weg in unsere moderne Gesellschaft geebnet. Doch der Neoliberalismus und seine Exzesse der Deregulierung von Banken und Privatisierung der Daseinsvorsorge sind heute zu Recht diskreditiert. Wenn die FDP unter Christian Lindner dennoch unbeirrt die Kraft des Marktes predigt, wirkt sie wie aus der Zeit gefallen. Und wenn die Freien Demokraten gegen jede ökonomische Vernunft auf der Schuldenbremse beharren, sind sie keine Modernisierer mehr – sondern Bremser.
Um sich selbst noch irgendwie im Gespräch zu halten, setzen manche Liberale daher auf Kulturkampf: Zum Gradmesser echter Freiheit wird so das Rasen auf der Autobahn und das Verzehren großer Mengen Fleisch. Es ist eine Karikatur von Liberalismus, die kein Mensch braucht. Kein Wunder, dass die FDP droht, bei der nächsten Wahl den Einzug in den Bundestag zu verpassen. Wirklich schade wäre es nicht.
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