• Im letzten "ARD-Sommerinterview" dieses Jahres erklärt der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil die Bemühungen der Bundesregierung im Kampf gegen steigende Energiepreise.
  • Gleichzeitig dämpft er die Erwartung, dass der Staat "alles zu 100 Prozent kompensieren" könne.
  • Eine Warnung gibt Klingbeil vor demokratiefeindlichen Gruppen, die die Lage zu ihren Gunsten instrumentalisieren wollen.

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Es ist das letze Interview aus der "ARD-Sommerinterview"-Reihe, das Matthias Deiß an diesem Sonntag führt und diesmal ist der SPD-Bundesvorsitzende Lars Klingbeil sein Gesprächspartner. Die beiden sprechen unter anderem über Umfragewerte der SPD, die Energiekrise, den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Krisenzeiten und welche Rolle die AfD dabei spielt.

Darüber sprach Matthias Deiß mit Lars Klingbeil:

Über die Sozialdemokratie im Allgemeinen und mit Gerhard Schröder im Speziellen, über den Klingbeil sagt, er habe viele richtige Entscheidungen getroffen, "in der Russlandfrage liegt er aber eindeutig falsch", kommt Matthias Deiß relativ zügig auf die Energiekrise zu sprechen. Hier sagt der SPD-Vorsitzende über die Unterstützung für kleine Betriebe und Mittelständler wie etwa Bäckereien: "Wir haben jetzt im Koalitionsausschuss sehr deutlich gemacht, dass wir in den Strommarkt eingreifen werden. Wir werden dafür sorgen, dass Strom bezahlbar bleibt."

Man habe zudem sehr intensiv über mögliche Maßnahmen im Gasmarkt diskutiert. "Da sollen jetzt Expertinnen und Experten drauf gucken, weil es keine einfache Frage ist", erklärt Klingbeil und sagt: "Ich plädiere sehr stark dafür, dass wir auch in den Gasmarkt eingreifen." Gleichzeitig werde man die Unternehmenshilfen, die es jetzt schon gibt, ausweiten müssen: "Das hat Robert Habeck angekündigt, dass es nicht nur um energieintensive Unternehmen geht, die im internationalen Wettbewerb stehen, sondern auch welche, die nicht den internationalen Wettbewerb haben und das wird auch den Bäckereien helfen."

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Über eine drohende "Deindustrialisierung", vor der etwa die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi warnt, sagt Klingbeil: "Diese Gefahr steht ja im Raum, wenn Strom und Gas dauerhaft so hoch bleiben wie das heute der Fall ist." Deshalb werden man den Kosten einerseits durch Eingriffe in die Märkte und andererseits durch Unternehmenshilfen entgegenwirken. Beim Eingriff in den Gas-Markt gehe es um "wenige Wochen bis dann ein Modell vorgelegt wird und wir das dann umsetzen können."

Angesichts drohender Insolvenzen befürwortet Klingbeil noch einmal die Unternehmenshilfen und sagt: "Die Rechnung müssen wir eh bezahlen. Die Frage ist, ob wir das jetzt, am Anfang tun, indem wir in die Märkte eingreifen, indem wir abfedern oder ob es dann am Ende Insolvenzen sind, ob es Arbeitslosigkeit ist und ich möchte, dass wir den ersten Schritt gehen, dass wir jetzt eingreifen, dass wir jetzt unterstützen."

Lars Klingbeil: AKWs, wenn nötig, aber "kein Wiedereinstieg in die Atomenergie"

Zur Debatte über die Energieversorgung gehört auch die Diskussion über den Weiterbetrieb von Kernkraftwerken. Man habe sich, so Klingbeil, in der Koalition vorgenommen, Deutschland "energiepolitisch neu aufzustellen" indem man die erneuerbaren Energien ausbaue. "Das ist eine riesige Chance für Deutschland, für den Wirtschaftsstandort, für zigtausend Arbeitsplätze, die in dem Land geschaffen werden können, wenn wir bei erneuerbaren Energien endlich aus der Blockadehaltung rauskommen, die es die letzen Jahre vor allem durch die Union immer gegeben hat."

Über eine eventuelle Stromlücke ist Klingebeil bei Robert Habeck und sagt: "Wenn es hilft, dass wir die Atomkraftwerke einige Wochen, einige Monate länger laufen lassen, dann muss das passieren", erklärt Klingbeil, Gleichzeitig macht Klingbeil aber auch deutlich: "Was nicht passieren wird, ist, dass wir einen Wiedereinstieg in die Atomenergie machen."

Von der Energie-Krise wechselt Interviewer Deiß zur Frage nach der in- und externen Kommunikation der Bundesregierung. Zu seiner Aussage über Wirtschaftsminister Robert Habeck "Am Ende zählen in der Politik nicht nur schöne Worte", sagt Klingbeil, dass es in der Politik insbesondere in der Krise um handwerkliche Entscheidungen gehe "und das habe ich mit diesem Satz deutlich gemacht und da gibts auch nichts für zu entschuldigen."

Vom Wirtschaftsminister geht es zum Bundeskanzler und da zeigt Matthias Deiß in einem Einspieler Szenen, in denen Olaf Scholz und Lars Klingbeil frappierend häufig die gleichen Sätze verwenden. Dazu sagt Klingbeil: "Wissen Sie, über manche Kritik kann ich wirklich nur lächeln." Er habe seinerzeit als Generalsekretär eine sehr zerstrittene Partei erlebt: "Da hat man sich gefreut, wenn mal zwei Sozialdemokraten das Gleiche gesagt oder gedacht haben."

So schlug sich Matthias Deiß:

Journalist Deiß, das merkt man von Beginn an, ist bissig, will Klingbeil keine Abschweifungen durchgehen lassen und tut das auch nicht. Er hakt sofort nach, wenn er glaubt, dass die Antwort in eine andere Richtung geht. Das ist handwerklich gut, gleichzeitig kann man sich aber auch über die Art der Fragen streiten, denn Deiß geht es neben dem Inhaltlichen auch viel um Außenwirkung und Umfragewerte – manchmal ein bisschen zu viel.

Etwa, als es gleich zu Beginn um das von Klingbeil einst ausgerufene "Jahrzehnt der Sozialdemokratie" geht. "Eine Kanzlerpartei auf Platz drei – das gab es noch nie. War das mit dem Jahrzehnt vielleicht voreilig und auch ein bisschen vermessen?", fragt Deiß da, später geht es um die Zufriedenheitswerte der Bundesregierung.

Diese Momentaufnahme-Fragen kann man natürlich stellen, man hätte sie aber auch zugunsten von inhaltlich relevanteren Fragen weglassen können oder zumindest nach der Relevanz der Umfragen für die Bundesregierung umbauen können.

So schlug sich Lars Klingbeil:

In der Art und Weise, wie Klingbeil auf die Fragen antwortete, war der SPD-Politiker genauso routiniert, ruhig und souverän, wie es Bundeskanzler Scholz eine Woche zuvor im "ZDF-Sommerinterview" war, nur rhetorisch war Klingbeil hier Scholz ein wenig voraus. Gleichzeitig teilt Klingbeil offenbar Scholz Ansichten über Kommunikation.

Als es um die Sichtbarkeit der SPD geht, antwortet Klingbeil auf die Frage, wie er diese erhöhen will: "Indem wir die Dinge tun. Politik ist ja immer weiter verkommen zu einer Inszenierung, wo auch von Journalisten bewertet wird, welcher Politiker tritt wie rhetorisch auf." Klingbeil verweist auf die inhaltlichen Erfolge seiner Partei und sagt: "Wenn Politik nur noch ist: Inszenierung, schöne Rhetorik und all das, dann hat die SPD vielleicht einiges aufzuholen, aber mir geht es auch um das, was tatsächlich für die Menschen in diesem Land passiert."

Klingbeils Kritik an politischer Inszenierung und der Rolle mancher Medien ist in Gänze sicher nicht von der Hand zu weisen, aber zum einen ist die Situation nicht so schwarz-weiß wie von Klingbeil dargestellt, denn schließlich spricht nichts dagegen, beides zu tun, handeln und das Handeln zu kommunizieren.

Zum anderen muss Kommunikation nicht gleich Inszenierung sein, man kann Kommunikation auch offen, ehrlich und bürgernah gestalten, ohne das Ganze zu inszenieren. Ehrlichkeit, Kommunikation Offenheit und auch der Mut, Fehler einzugestehen, werden von den Bürgern durchaus honoriert. Das haben etwa Robert Habeck und Annalena Baerbock in den vergangenen Monaten bewiesen.

Das Fazit:

Lässt man einmal die Faszination Deiß’ für Umfragen und Klingbeils Nicht-Faszination für Worte und Taten beiseite, war es von beiden Seiten ein gutes, weil informatives Interview. Von beiden Seiten, weil Deiß auf klare Aussagen bestand und Klingbeil dieser Forderung nachkam, so dass am Ende einige klare und ehrliche Positionen von Lars Klingbeil herauskamen.

Über eine mögliche Polarisierung, insbesondere in Ostdeutschland, durch die Energiekrise auf der einen und die Solidarität mit der Ukraine auf der anderen Seite und die damit verbundene Unsicherheit der Menschen sagt Klingbeil: "Viele haben Sorgen und viele haben Nöte und das mischt sich mit einer Gruppe, die schon 2015 gegen Flüchtlinge demonstriert hat, die gegen die Corona-Maßnahmen demonstriert hat, die jetzt eng an der Seite Russlands steht und jetzt auch versucht, die aktuelle Lage zum Spalten zu nutzen. Wir haben alle auch das Video der AfD gesehen, wo AfD-Politiker, weil sie dachten, sie werden gerade nicht gefilmt, sagen, sie hoffen, dass der Winter richtig drastisch wird und dass sie dann Zulauf bekommen."

Gleichzeitig differenziert Klingbeil aber bei den Gründen: "Für mich ist wichtig, dass wir denen, die ernsthafte Sorgen haben, zeigen: Als Politik arbeiten wir gerade jeden Tag daran, dass es besser wird." Und als Deiß behauptet, dass trotz der Bemühungen der Politik "viele spüren, dass es am Ende nicht reichen könnte", antwortet Klingebeil ehrlich, dass es ein harter Winter werde und es vor allem um die gehe, die in existenziellen Nöten seien: "Ich sage heute nicht, dass Schluss ist mit den Entlastungspaketen. Aber natürlich werden wir nicht alles zu 100 Prozent kompensieren."


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