Seit Anfang dieser Woche steht die Organspende wieder auf der Agenda des politischen Berlins. Eine Abgeordnetengruppe brachte erneut die Widerspruchsregelung ins Spiel. Unsere Redaktion wollte nun wissen, wie die Deutschen zu dem Thema stehen.

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Nach einem Anlauf vor vier Jahren brachte Anfang der Woche eine überfraktionelle Abgeordnetengruppe in Berlin die "Einführung einer Widerspruchsregelung" in Bezug auf die Organspende erneut in den Bundestag ein. Die Widerspruchsregel besagt, jeder ist zunächst Organspender, außer man widerspricht aktiv. Derzeit sind Organentnahmen nur mit ausdrücklicher Zustimmung erlaubt. Der erste Anlauf für eine Widerspruchslösung war 2020 im Bundestag gescheitert.

Widerspruchsregelung bei Organspende trifft auf breite Zustimmung

Der erneute Vorstoß traf auf große Unterstützung aus unterschiedlichster Richtung. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) begrüßte den neuen Versuch, um das "Sterben auf der Warteliste" zu beenden. "Wir müssen uns ehrlich machen: Ohne dass wir allen zumuten, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, werden die Organspendezahlen nicht signifikant steigen." Lauterbach hatte sich bereits 2020 – so wie auch der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) – für die Widerspruchsregelung starkgemacht.

Ebenfalls unterstützt wird der Vorstoß von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). "Die Widerspruchslösung kann für mehr gerettete Leben sorgen, da sich die Menschen so aktiv mit der Frage der Organspende auseinandersetzen müssen", sagte der DKG-Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Viel zu viele Menschen würden weiter vergeblich auf ein Spenderorgan warten.

Der Bundesverband der Organtransplantierten (BDO) nannte den neuen Vorstoß "dringend und wichtig". Der Verband, der auch die wartenden Patienten vertritt, mahnte aber weitere Schritte darüber hinaus an. Das Modell müsse Teil des Gesamtkonzepts sein, sagte BDO-Chefin Sandra Zumpfe dem RND. Notwendig seien auch eine kontinuierliche Aufklärung, die Unterstützung der Transplantationsbeauftragten und Entnahmekliniken, aber auch eine stärkere Anerkennung und Betreuung der Hinterbliebenen von Organspenderinnen und -spendern.

Es gibt aber auch Kritik

Es gibt auch Gegenstimmen. So sagte die FDP-Rechtspolitikerin Katrin Helling-Plahr der dpa, dies wäre ein massiver Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen. "Anstatt auf staatliche Bevormundung zu setzen, sollten wir die selbstbestimmte Entscheidung über eine Spende verbindlicher gestalten. Darüber, wie eine verbindliche oder verpflichtende Entscheidungslösung ausgestaltet werden kann, werden wir im Deutschen Bundestag diskutieren."

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte der "Augsburger Allgemeinen": "Wer schweigt, stimmt nicht automatisch zu." Grundsätzlich sei jeder medizinische Eingriff ohne Zustimmung des Betroffenen eine Körperverletzung. In den Vorzeigeländern Europas mit deutlich mehr Organspendern hätten erst organisatorische und strukturelle Maßnahmen zu steigenden Zahlen geführt. "Deshalb braucht es jetzt finanzielle Anreize für Krankenhäuser, ein effizientes Transplantations-Netzwerk, Bildungsprogramme und die Schulung von Koordinatoren im Umgang mit Angehörigen."

Mehrheit der Deutschen für automatische Organspende

Wie stehen jedoch die Deutschen zu dem kontrovers diskutierten Thema? Das Meinungsforschungsinstitut Civey fragte im Auftrag unserer Redaktion bei 5.000 Bürgerinnen und Bürgern nach. Das Ergebnis fiel denkbar knapp aus.

So stimmen 38 Prozent der Befragten mit "Ja, auf jeden Fall" der Frage "Sollten alle volljährigen Personen automatisch als Organspendende registriert werden, wenn sie nicht ausdrücklich widersprechen?" zu. Noch einmal zehn Prozent tendieren zu "Eher ja", was zu einer Gesamtzustimmung von 48 Prozent führt.

Mit 36 Prozent gibt es fast genauso viele strikte Ablehner wie Befürworter der Widerspruchsregelung. Sechs Prozent tendieren zu "Eher nein". Somit sprechen sich 42 Prozent der Befragten gegen den Vorstoß der Abgeordnetengruppe aus. Die restlichen zehn Prozent der Befragten antworteten mit "Unentschieden".

Junge eher dagegen, Ältere eher dafür

Dieselbe Frage wurde noch einmal nach Altersgruppen ausgewertet. Hier fällt auf, dass die Widerspruchsregelung besonders bei älteren Menschen besser ankommt. Jüngere stehen dem Thema eher ablehnend gegenüber. So sprechen sich nur 41 Prozent der 18- bis 29-Jährigen für die automatische Organspende aus. Bei der Altersgruppe Ü65-Jahre sind es 54 Prozent.

Gegen die automatische Registrierung sprechen sich mit jeweils 46 Prozent die Altersgruppen der 30- bis 39-Jährigen sowie die der 50- bis 64-Jährigen aus. Knapp dahinter liegen die 18- bis 29-Jährigen mit 45 Prozent. Nur 37 Prozent der Ü65-Jährigen sind gegen solch eine automatische Registrierung.

Leicht höhere Zustimmung bei Männern als bei Frauen

Betrachtet man die gleiche Fragestellung unter dem Gesichtspunkt des Geschlechts, zeigt sich ebenfalls ein eindeutiges Bild. Männer tendieren eher zur automatischen Registrierung als Frauen.

Mit 53 zu 39 Prozent stimmen mehr Männer der Widerspruchsregelung zu, als sie ablehnen. Frauen lehnen sie mit 46 Prozent zu 43 Prozent eher ab. Jedoch können sich elf Prozent der befragten Frauen nicht entscheiden. Bei den Männern sind es nur acht Prozent.

Egal wie die Debatte am Ende ausgeht, Fakt ist jedoch, dass mehr Organe wie Nieren, Lebern oder Herzen für schwer kranke Patienten seit Jahren dringend benötigt werden. Im vergangenen Jahr gaben 965 Menschen nach ihrem Tod ein Organ oder mehrere Organe für andere frei, wie die koordinierende Deutsche Stiftung Organtransplantation ermittelte. Zugleich standen aber 8.400 Menschen auf Wartelisten. Damit Spenden überhaupt infrage kommen, müssen zwei Fachärzte unabhängig voneinander den Hirntod eines Verstorbenen feststellen. (mit Material der dpa)

Informationen zur Methode

  • Civey hat für 1&1 Mail & Media vom 26.06. bis 28.06.2024 online rund 5.000 Bundesbürgerinnen und Bundesbürger ab 18 Jahren befragt. Die Ergebnisse sind aufgrund von Quotierungen und Gewichtungen repräsentativ unter Berücksichtigung des statistischen Fehlers von 2,5 Prozentpunkten (Gesamtergebnis).
  • Weitere Informationen zur Methodik finden Sie unter https://civey.com/unsere-methode.
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