Wie müsste eine moderne Sucht- und Drogenpolitik aussehen? Dieser Frage widmen sich der Bundesdrogenbeauftragte Burkhardt Blienert (SPD) sowie Experten aus Sucht- und Drogenhilfe, Wissenschaft und Sozialverbänden bei einer Tagung in Berlin.

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Mit der Cannabis-Freigabe hat die Bundesregierung eine Kehrtwende in der bisherigen Sucht- und Drogenpolitik gemacht. Seit April dürfen Erwachsene in Deutschland die Pflanze selbst anbauen, Joints in der Öffentlichkeit konsumieren und mit 25 Gramm in der Tasche herumlaufen. Vorangegangen ist dieser Entwicklung eine breite Debatte über das Für und Wider, über das Strafrecht, über europäische Gesetze und Bedenken im Völkerrecht.

Auf der Fachtagung zum Thema "Sucht im Fokus: Die Sucht- und Drogenpolitik von morgen" wird schnell deutlich: bei den Expertinnen und Experten aus Sucht- und Drogenhilfe, Wissenschaft und Sozialverbänden kommt diese Neuausrichtung gut an. Die Prohibition ist gescheitert, darin sind sich wohl die meisten Teilnehmenden einig.

Prohibition läuft Gesundheitsschutz entgegen

Historikerin Helena Barop, die sich in ihrer Forschung mit Suchtmitteln und dem historischen Umgang mit ihnen beschäftigt, fasst es folgendermaßen zusammen: Es sind nicht in erster Linie die Drogen, die töten, sondern ihre Verbote. Die These wirkt zunächst steil. Barop aber führt aus, dass die Verbote vor allem einer ordentlichen Gesundheitspolitik im Weg stünden.

Denn zum einen wüssten Konsumierende aufgrund der Beschaffung der Substanzen auf dem Schwarzmarkt nicht, ob und wenn ja wie, das Mittel gestreckt ist. Sie kennen die genaue Potenz nicht. Überdosierungen sind so leicht möglich. Gäbe es die Möglichkeit, die Stoffe in der Apotheke oder bei Ausgabestellen zu beziehen, würde draufstehen, was drin ist, macht Barop deutlich.

Ein weiteres Hindernis der Prohibition: Sie geht einher mit Stigmatisierung. Das könne dazu führen, dass Abhängigkeitserkrankte oder Menschen mit problematischem Konsumverhalten sich nicht trauen, nach Hilfe zu fragen. Ein Faktor, der lange auch für Menschen mit einem problematischen Konsummuster beim Umgang mit Cannabis galt. Das habe sich geändert, wie Christina Rummel festhält. Rummel ist die Geschäftsführerin des Vereins Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen.

Suchthilfeeinrichtungen brauchen finanzielle Sicherheit

Sie verweist auf eine qualitative Befragung, welche die Hauptstelle für Suchtfragen bei 534 Suchthilfe-Einrichtungen durchgeführt hat. Es gebe seit der Freigabe eine höhere Nachfrage nach Beratung mit Cannabis-Bezug. Was bei der Befragung ebenfalls auffällig gewesen sei: Die Einrichtungen haben großen finanziellen Druck. Und auch der Fachkräftemangel werde zum Problem. Rummel wirbt dafür, die Arbeit der Einrichtungen besser finanziell abzusichern. Was es außerdem bräuchte, sei mehr Prävention. "Suchtberatung kann nicht alles abpuffern", sagt sie.

Bei Sucht und Drogen denken wohl die meisten Menschen erst einmal an illegale Substanzen. Aber: Der Spitzenreiter in Deutschland ist nach wie vor Alkohol als Rauschmittel. Deutschland ist Hochkonsumland. Auch Tabakprodukte werden nach wie vor in hohem Maß konsumiert.

Jens Reimer, der stellvertretende Direktor des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung, nennt im Zusammenhang mit Konsum auch das Wohlergehen und die Lebenszufriedenheit einer Gesellschaft. Heino Stöver vom Institut für Suchtforschung der Frankfurt University of Applied Sciences ergänzt um das strukturelle Problem Armut. Neben sexuellem Missbrauch und Vernachlässigung in der Kindheit sei Armut ein weiterer Faktor, der Drogenmissbrauch wahrscheinlicher macht. Die aktuelle Zeit mit ihren vielen Krisen trage zudem bei, dass sich die Gesellschaft unsicherer fühle.

Blienert wirbt, Ideologie in der Drogenpolitik außen vorzulassen

Neben all den Perspektiven aus der Wissenschaft und Suchthilfe geht es darum, nach vorne zu blicken: Wie müsste eine moderne Sucht- und Drogenpolitik aussehen?

Der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, Burkhardt Blienert (SPD), stellt klar: Auch in der Drogenpolitik muss immer wieder überprüft werden, ob die Analyse noch die richtige ist. Wichtig sei hierfür der Austausch unterschiedlichster Perspektiven. Was es brauche, sei ein gemeinsames Vorgehen von Bund, Ländern und Kommunen. Gemeinsam müssten Lösungen für ein komplexes Problem gefunden werden.

Gesundheit ist in Deutschland Ländersache, finanziert werden Angebote auch oft durch die Kommunen. Das bedeutet: Insgesamt ist Sucht- und Drogenhilfe in Deutschland kleinteilig. Wie unterschiedlich die Länder handeln, zeigen etwa die Drogenkonsumräume. Bislang gibt es 32 Stück davon. In den ostdeutschen Bundesländern, mit Ausnahme Berlin, sowie in Schleswig-Holstein und Bayern gibt es gar keine.

Die Idee der Drogenkonsumräume ist es, einen Ort für schadensreduzierten Konsum zu schaffen. Menschen können dort ihre mitgebrachten Substanzen in einem sicheren Rahmen konsumieren und bekommen auch beispielsweise neue Spritzen, um Infektionen vorzubeugen. Außerdem gibt es niedrigschwellige Gesprächsangebote, die womöglich in ein Hilfs- oder Beratungsangebot führen.

Auch für die Möglichkeit des Drug-Checkings hat der Bundestag eine rechtliche Grundlage erlassen. Die Bundesländer können demnach Modellvorhaben erlauben, wenn damit eine Beratung verbunden ist. In Berlin gibt es solch ein Angebot mittlerweile, auf der Webseite werden seither aktuelle Warnungen veröffentlicht, über Verunreinigungen und Hochdosierungen. In Mecklenburg-Vorpommern gab es ebenfalls ein solches Modell bei einem Festival.

Fokus auf Prävention

Auf Prävention legt Blienert für die Zukunft weiterhin ein besonderes Augenmerk. Menschen müsse die Chance gegeben werden, gesund aufzuwachsen und zu leben. Er selbst spricht sich etwa dafür aus, über den Alkohol-Konsum von Minderjährigen zu streiten und Werbeverbote von Suchtmitteln, wie Alkohol oder Glücksspiel anzustreben.

Auch das Thema der mentalen Gesundheit einer Gesellschaft muss mehr in den Fokus genommen werden. Die Grundlage von allem sei, nicht ideologisiert an die Sache heranzugehen. Stattdessen müsste Evidenz für Maßnahmen herangezogen werden. Dogmen würden nicht weiterhelfen. "Wir müssen vor die Welle kommen", stellt er klar. Wichtig sei es außerdem, die Menschen in den Mittelpunkt zu stellen.

Als Beauftragter der Regierung für Sucht- und Drogenfragen ist es nicht Blienerts Aufgabe, Gesetze zu schreiben – das ist Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), in dessen Ministerium er ansässig ist, vorbehalten. Blienert macht außerdem deutlich: Um Veränderungen durchzusetzen, braucht es Mehrheiten. Die Cannabis-Freigabe hat gezeigt, wie stark darum gerungen werden kann.

Den Auftrag, den der Bundesdrogenbeauftragte von dem Fachpublikum mitbekommt: Die Regierung muss ins Machen kommen. Um Konsumierende zu schützen und Suchtkranken zu helfen, gehe es darum, gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, pragmatische Lösungen zu finden und Hilfseinrichtungen auf einen sicheren finanziellen Boden zu stellen.

Verwendete Quellen

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