Israel hält unbeirrt am Kriegsziel fest, die Hamas zu zerschlagen. Eine Invasion in Rafah will der Verbündete USA jedoch verhindern - und droht Konsequenzen an.
Israel ist mit der offenen Drohung eines Waffenstopps durch seinen Verbündeten USA für den Fall eines Einmarschs in Rafah weiter unter Druck geraten. Für eine umfassende Invasion in der mit Hunderttausenden von palästinensischen Flüchtlingen überfüllten Stadt im Süden des Gazastreifens werde sein Land nicht die Waffen liefern, sagte US-Präsident Joe Biden in einem Interview des Fernsehsenders CNN, das am Mittwochabend (Ortszeit) ausgestrahlt wurde.
Die US-Regierung hatte wegen Israels Vorgehen in Rafah bereits eine Munitionslieferung zurückgehalten. Ranghohe israelische Beamte hätten darüber ihre "tiefe Frustration" zum Ausdruck gebracht und davor gewarnt, dass dies die indirekten Verhandlungen über eine Waffenruhe und Freilassung von Geiseln gefährden könne, sagten zwei informierte Quellen dem Nachrichtenportal "Axios".
Israel setzt Kampf gegen die Hamas fort
Unterdessen setzt Israels Armee den Kampf gegen die islamistische Hamas im abgeriegelten Gazastreifen fort. Zur Stunde würden Stellungen der Hamas im mittleren Abschnitt des Küstengebiets angegriffen, teilte das israelische Militär in der Nacht zum Donnerstag mit. Israelische Soldaten waren in der Nacht zum Dienstag auch in Teile Rafahs an der Grenze zu Ägypten vorgerückt. Die Armee übernahm dort eigenen Angaben nach die Kontrolle des Grenzübergangs auf der palästinensischen Seite.
"Die USA sagten, sie wollten, dass wir die Operation einschränken, dass wir uns mit einer großangelegten Invasion zurückhalten. Und Israel hat das getan und wird immer noch bestraft", zitierte das "Wall Street Journal" in der Nacht zum Donnerstag Michael Oren, ehemals Botschafter Israels in Washington.
Bericht: Einsatz in Rafah soll Hamas zu Verhandlungslösung zwingen
Er bezeichnete demnach Bidens Androhung eines Waffenlieferstopps im Falle einer Invasion in Rafah als "Präventivschlag" gegen jede israelische Maßnahme zur Ausweitung des Einsatzes gegen die Hamas in der Stadt. Die USA hatten Israels Regierung in den vergangenen Tagen und Wochen immer wieder vor einer großangelegten Bodenoffensive in Rafah gewarnt - Biden sprach von einer "roten Linie". Das "Wall Street Journal" zitierte israelische Analysten, wonach die Hamas mit dem Einsatz in Rafah unter Druck gesetzt werden soll, ein Abkommen zu akzeptieren, das hinter den Forderungen der Terrororganisation zurückbleibe. Die Hamas besteht weiterhin unter anderem auf einem Abzug der israelischen Truppen, was Israel jedoch strikt ablehnt.
Unterdessen kehrte William Burns, Chef des US-Auslandsgeheimdienstes CIA, Medienberichten zufolge nach Kairo zu den Vermittlungsgesprächen zurück, nachdem er am Mittwoch in Israel mit Regierungschef
Die einzige Möglichkeit, die Verhandlungen fortzusetzen, bestehe derzeit darin, weiter anzugreifen, zitierte das "Wall Street Journal" einen ehemaligen Leiter des Nationalen Sicherheitsrates in Israel. "Das ist unsere Art, sie dazu zu bringen, dass sie es ernst nehmen." Die Hamas warf dagegen Israel vor, die Verhandlungen als Vorwand für einen Einmarsch in Rafah zu nutzen. Israels Regierungschef Netanjahu versuche "Ausreden zu erfinden, um Verhandlungen zu vermeiden und die Schuld auf die Hamas und die Vermittler zu schieben", so Izzat al-Rischk, Mitglied des Hamas-Politbüros, in einer Stellungnahme auf Telegram.
Biden: Invasion in Rafah wäre falsch
Der Einsatz in Rafah zielt nach Angaben Netanjahus darauf ab, die verbliebenen Geiseln zu befreien und die letzten Bataillone der Hamas in der Stadt zu zerschlagen. US-Präsident Biden machte im CNN-Interview deutlich, das israelische Militär sei noch "nicht in die Bevölkerungszentren vorgerückt - was sie getan haben, ist direkt an der Grenze". Er habe Netanjahu und dessen Kriegskabinett klargemacht, dass sie nicht mit US-Unterstützung rechnen könnten, "wenn sie tatsächlich in diese Bevölkerungszentren gehen". Es sei "einfach falsch" - und die USA könnten dafür nicht die Waffen und Artillerie bereitstellen. Nach Aussagen der Vereinten Nationen halten sich gegenwärtig insgesamt 1,2 Millionen Menschen in Rafah auf, mehr als die Hälfte der gesamten Bevölkerung Gazas.
Auch Deutschland hat Israel wegen der vielen Zivilisten in Rafah immer wieder vor einem Einmarsch in der Stadt gewarnt. Das "Wall Street Journal" zitierte derweil Analysten, wonach Israel Armee in verschiedenen Teilen der Stadt in Wellen angreifen könnte. Die jeweils betroffenen Zivilisten sollten sich zuvor in Sicherheit bringen. Am Montag hatte Israel etwa 100 000 Palästinenser aufgefordert, den östlichen Teil Rafahs aus Sicherheitsgründen zu verlassen. Die Bewohner sollten sich in das Gebiet Al-Mawasi nahe der Küste begeben, ihre Versorgung mit Nahrungsmittel, Wasser und Medikamenten könne dort gewährleistet werden.
UN: Bislang keine Hilfsgüter über Grenzübergang Kerem Schalom
Der Grenzübergang Rafah bleibt indes weiter geschlossen. Zusammen mit Kerem Schalom ist er das Hauptnadelöhr für Hilfslieferungen in den südlichen Gazastreifen. Trotz der israelischen Ankündigung zur Öffnung von Kerem Schalom wurden nach Angaben der Vereinten Nationen bis zum Mittwochabend (Ortszeit) keine Hilfsgüter in den Gazastreifen geliefert. Dies sagte Sprecher Stéphane Dujarric in New York. Er ging auf Fragen, was die Lieferungen aufhalte, nicht im Detail ein. Auch über den Grenzübergang Rafah sei keine Hilfe in den Gazastreifen gekommen, wo vor allem Treibstoff dringend benötigt wird.
Kerem Schalom war am Mittwoch nach mehrtägiger Schließung gerade erst wieder geöffnet worden. Israel hatte ihn am Sonntag nach einem Raketenangriff der Hamas, bei dem vier israelische Soldaten getötet worden waren, für humanitäre Transporte geschlossen.
Geburtsklinik in Rafah stoppt Aufnahme von Patientinnen
Hilfsorganisationen haben die Sorge geäußert, dass der israelische Militäreinsatz in Rafah sowie die Sperrung des dortigen Grenzübergangs nach Ägypten die Lage der Zivilbevölkerung im Gazastreifen weiter verschlechtern könnten. Seit Monaten werfen sie Israel vor, zu wenige Hilfslieferungen in das umkämpfte Gebiet zu lassen.
Die wichtigste Geburtsklinik in Rafah stoppte nun die Aufnahme neuer Patientinnen, wie die Verwaltung des Emirati-Krankenhauses der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch telefonisch bestätigte. Als Gründe wurden die fortwährenden Angriffe der israelischen Armee auf die Hamas in der Stadt und die Treibstoffknappheit genannt. (dpa/sbi)
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