Noch herrschen in ganz Deutschland sommerliche Temperaturen und die Heizperiode scheint in weiter Ferne. Experten warnen aber jetzt schon vor explodierenden Nebenkostenabrechnungen. Angesichts dessen diskutierte Anne Will mit ihren Gästen über die Frage: "Wie hart trifft uns die Krise?". Sie bekam eine einstimmige Antwort, für Reibereien war trotzdem gesorgt.

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Aktuell fließt kein Gas durch die Pipeline Nordstream 1, denn es werden routinemäßige Wartungsarbeiten durchgeführt. Angekündigt ist der Weiterbetrieb für Donnerstag (21. Juli), doch es mehren sich die Stimmen, die fürchten, dass der Gashahn abgedreht bleibt.

Zuletzt stellte der russische Energiekonzern Gazprom weitere Bedingungen - der Siemens-Konzern solle seine Verpflichtungen bei der Wartung von Gasturbinen, die für einen zuverlässigen Betrieb der Pipeline notwendig sind, vollständig erfüllen. Gazprom hatte bereits durchgesetzt, dass eine in Kanada gewartete Turbine trotz der Sanktionen gegen Russland geliefert wird.

Das ist das Thema bei "Anne Will"

Ob und wie viel Erdgas nach den Wartungsarbeiten durch die Ostseepipeline Nordstream 1 fließen wird, ist aktuell noch offen. Schon jetzt steht aber fest: Der Füllstand der deutschen Gasspeicher ist mit 65 Prozent zu niedrig, um gut über den Winter zu kommen. "Wie hart trifft uns die Krise?", wollte Anne Will deshalb am Sonntagabend (17. Juli) von ihren Studiogästen wissen. Im Vordergrund standen Hausaufgaben der Bundesregierung, die Wirksamkeit der aktuellen Maßnahmen und die Ursachen der steigenden Preise.

Das sind die Gäste

Ricarda Lang (Grüne): Die Vorsitzende der Grünen sagte mit Blick auf die bisherigen Entlastungspakete: "Das wird für den Herbst und Winter nicht reichen. Wir werden in diesem Jahr weitere Entlastungen auf den Weg bringen müssen." Dabei müsse man aus den vorherigen Entlastungspaketen lernen und zielgenauer werden. Sie forderte ein "Moratorium für Gas- und Stromsperren" sowie ein "Kündigungs-Moratorium für Mieterinnen und Mieter". Lang sagte: "Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen jetzt oder im Herbst ihre Wohnung verlieren oder im Kalten und Dunkeln sitzen."

Jens Spahn (CDU): "Wir werden nicht alle Deutsche so stellen können, als gäbe es diese Krise nicht", war sich der stellvertretende Fraktionsvorsitzende sicher. Er analysierte: "Putin will Europa in eine Energiekrise führen. Die Gaszufuhr wird seit Wochen und Monaten reduziert." Es sei sehr wahrscheinlich, dass es Deutschland im Herbst und Winter schwer erwischen werde. Spahn teilte in Richtung Ampel-Koalition aus: "Was langsam nicht mehr geht, bei Frau Esken und allen, ist, dass wir jeden Tag immer nur hören, was warum nicht geht." Man müsse endlich zu Entscheidungen kommen.

Rainer Dulger: Der Arbeitgeberpräsident fürchtete: "Wir stehen vor der größten Krise, die das Land je hatte". Die Betriebe seien bereits jetzt an der Grenze ihrer Möglichkeiten. "Wir wissen in den Betrieben gar nicht, welches Feuer wir zuerst austreten sollen", so Dulger. Aktuell sehe es so aus, als ob Russland das Gas stark verknappe oder auf Dauer gar nichts mehr liefere.

Marcel Fratzscher: "Der Sozialstaat im Augenblick funktioniert nicht und er versagt, weil es auch an politischem Willen mangelt", sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). In Deutschland kämen Einkommensarmut und ein Vorsorgeproblem zusammen. "Natürlich sind Entlastungspakete besser als nichts, aber die höheren Preise sind nicht temporär. Sie bleiben", erinnerte Fratzscher. Höhere Löhne seien das beste Instrument.

Das ist der Moment des Abends bei "Anne Will"

Ein bisschen parteipolitisch aufgeladen war das Statement mit Sicherheit, trotzdem hatte Grünen-Chefin Ricarda Lang einen Punkt, als sie in Richtung Jens Spahn kritisierte: "Sie sagen hier, wir müssen einen Gaspreisdeckel machen."

Außerdem fordere Markus Söder ein 365-Euro-Ticket, Steuersenkungen in allen Bereichen und eine Verlängerung des Tankrabatts. Lang meinte: "Gleichzeitig stellt sich Ihre Fraktion hin und sagt: Wir müssen jetzt sparen, wir müssen zurück zur schwarzen Null, wir müssen zurück zur Schuldenbremse. Sparen, Sparen, Sparen". Das gehe nicht auf.

Das ist das Rede-Duell des Abends

Man könnte es als Fachgeplänkel abtun, aber das Rede-Duell zwischen Fratzscher und Lang stand symbolisch dafür, wie viel Uneinigkeit es bei der Inflations-Bekämpfung gibt. Fratzscher befand zunächst: "Im Augenblick sehen wir keine Lohn-Preis-Spirale, sondern ganz im Gegenteil: Preise werden nicht nur im Energiebereich, sondern auch in anderen Bereichen hochgesetzt." Eine solche Spirale halte er für "einen falschen Mythos".

Arbeitgeberpräsident Dulger hielt dagegen: "Ich teile die Einschätzung nicht. Die Ursachen der Inflation sehen wir auf der Angebotsseite. Wir müssen darüber reden, was die Ursachen dafür sind." Das Problem werde sich allein durch Lohnpolitik nicht lösen lassen. "Wir müssen auch die Ursachen bekämpfen", mahnte er. Dazu zähle es, staatliche Abgaben zum Beispiel bei Energiekosten zu reduzieren.

So hat sich Anne Will geschlagen

Es gab Sendungen, da ist Anne Will schon deutlich vehementer aufgetreten. Am Sonntagabend fragte Will nicht besonders hartnäckig nach weiteren Maßnahmen und der Bewertung der bisherigen Entlastungspakete. Ob die Entscheidung zwischen "Frieren oder weniger Essen" übertrieben sei, wollte sie ebenso wissen wie "Warum reichen die Einmalzahlungen nicht?".

Am deutlichsten wurde Will, als sie Grünen-Chefin Lang vorhielt: "Worauf warten sie eigentlich noch?", als es um weitere Entlastungen ging. Unpassend nur: Die Grünen sind vermutlich die Koalitionspartner, die bei Sozialpolitik wenig auf der Bremse stehen.

Das ist das Ergebnis bei "Anne Will"

Ein wenig fehlte der rote Faden, jedenfalls wurde die zu Beginn der Sendung aufgeworfene Frage recht eintönig beantwortet. "Wie hart trifft uns die Krise?", beantwortete die Runde einstimmig mit "Hart". Da gerieten interessantere Fragen aus dem Blick – allen voran die nach möglichen politischen Maßnahmen. Der kurze Anriss des "Gaspreisdeckels" war hier schon das höchste der Gefühle, auf Langs Forderungen nach zwei Moratorien kam Will nicht mehr zurück. Erst zu Ende der Sendung erinnerte Spahn an eine wichtige Lücke: Man müsse debattieren, "was für den nächsten Winter zu tun wäre, damit wir in den Gasmangel gar nicht erst hineinkommen", forderte Spahn.

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