Anne Will hat am Sonntagabend mit ihren Studiogästen über Russlands Truppenaufmarsch sowie die Chancen und Grenzen von Diplomatie diskutiert. Bei fast allen Fragen herrschte Geschlossenheit, nur eine Eingeladene fiel immer wieder mit konträren Positionen auf: Linkspolitikerin Sahra Wagenknecht. Manche ihrer Aussagen brachten eine Expertin sogar auf die Palme.

Eine Kritik
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Die Münchener Sicherheitskonferenz ist vorbei, zum ersten Mal seit 30 Jahren war Russland nicht zu Gast. Hauptthema bei der Veranstaltung war der Kreml trotzdem. Nach dem diplomatischen Besuch von Kanzler Olaf Scholz wurden mit dem Teilabzug russischer Truppen zunächst Entspannungssignale wahrgenommen. Doch das Aufatmen hielt nicht lange an. Die Nato wähnt ein Täuschungsmanöver, auch die USA warnen: Russland plant einen Vorwand, um einen Angriff zu rechtfertigen.

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Das ist das Thema bei "Anne Will"

Mehrmals hat der Westen deutlich gemacht: Marschiert Russland in die Ukraine ein, erwarten den Kreml harte Sanktionen. "Helfen solche Drohungen, um einen Krieg zu verhindern?", wollte Moderation Anne Will von ihren Gästen wissen. "Oder ist die Diplomatie bereits am Ende?" Im Studio ging es außerdem um die Glaubhaftigkeit Russlands, Kommunikationstaktiken im Krisenmanagement und die Frage: "Was hat der Westen Russland überhaupt anzubieten oder entgegenzusetzen?"

Das sind die Gäste

  • Lars Klingbeil: Der SPD-Vorsitzende sieht das Ende der Diplomatie noch nicht gekommen. "Solange es die kleinste Hoffnung gibt, dass wir eine militärische Auseinandersetzung durch Diplomatie, durch Gespräche abwenden können, solange müssen wir mit maximalem Einsatz genau diesen Weg gehen", betonte er. Es stehe jedoch "Spitz auf Knopf", Russland bereite sich auf eine Invasion vor. "Wir sind vorbereitet, wenn die territoriale Integrität der Ukraine erneut verletzt wird", so Klingbeil. Der Westen sei bereit, hart, abgestimmt und entschieden zu reagieren. Über die genauen Sanktionsinhalte müsse man Russlands Präsident Wladimir Putin aber bewusst im Unklaren lassen.
  • Norbert Röttgen: "Wenn es zu militärischer Gewalt kommt, wird sie unter Vorwand stattfinden", war sich der CDU-Außenpolitiker sicher. "Wir können nur alles versuchen, Krieg zu verhindern", erinnerte er. Das wichtigste, was der Westen tun könne, sei der Versuch, die Kalkulation von Putin zu beeinflussen. Dazu müsse man ihm klarmachen: "Es wird eine einheitliche Front geben, es wird hohe finanzielle, wirtschaftliche, geostrategische Kosten geben, und das musst du in deine Kalkukation einbeziehen", bemerkte Röttgen.
  • Sahra Wagenknecht: "Die Aggressivität, mit der von amerikanischer Seite ein russischer Einmarsch geradezu herbeigeredet wird, die ist schon bemerkenswert", meinte dagegen die Linkspolitikerin. Russland habe "faktisch kein Interesse" in die Ukraine einzumarschieren, es gehe dem Land nur darum, Sicherheitsgarantien zu bekommen. Die Nato-Ausdehnung sei eine Provokation an Russland gewesen, ebenso die "fortgesetzte Aufrüstung". Wagenknecht sagte: "Wenn man so auf Dauer mit einem Land umgeht, ist man irgendwann an dem Punkt, an dem wir heute stehen." Der einzige Gewinner der Situation seien die Amerikaner, "die gewinnen geopolitisch und wirtschaftlich dabei", glaubte die Linkspolitikerin.
  • Constanze Stelzenmüller: Die Publizistin und Außenpolitik-Expertin vom "Brookings Institute" sieht das Risiko eines russischen Angriffs massiv gestiegen. "Wir befinden uns bereits im Zustand massiver russischer Aggression – der Drohung mit militärischen Mitteln, um politische Ziele zu erreichen", erinnerte sie. Die russische Seite treffe Vorbereitungen, um einen sehr schnellen Einmarsch zu ermöglichen. "Wie was passiert, kann aber keiner seriös vorhersagen", betonte Stelzenmüller. Abschreckung funktioniere aber dann am besten, wenn der Westen auch selbst bereit sei, Kosten zu tragen.
  • Ursula von der Leyen: Wenn Putin einen Krieg mit der Ukraine vom Zaun breche, werde der Westen mit massiven Konsequenzen antworten, betonte die EU-Kommissionspräsidentin erneut. Dazu habe man gemeinsam mit den USA, Großbritannien und Kanada ein großes Sanktionspaket zusammengeschnürt. "Wir antworten mit dem stärksten Hebel, den wir haben an der schwächsten Stelle, die Russland hat – nämlich mit Wirtschafts- und Finanzsanktionen", sagte von der Leyen.

Das ist der Moment des Abends bei "Anne Will"

Reibung gab es an diesem Sonntagabend eigentlich nur mit einem Studiogast: Der Linkspolitikerin Wagenknecht. Massiven Gegenwind erntete sie von allen Seiten, besonders eindrücklich von Publizistin Stelzenmüller. Mitte der Sendung holte sie zum Richtigstellen aus: "Die Behauptung, dass das kollektive Nato-Budget 18 Mal so groß sei, wie das von Russland, auf die Zahl kommen Sie nur, wenn Sie das gesamte amerikanische Militärbudget mit einberechnen", erinnerte sie Wagenknecht.

Nur ein Bruchteil der US-Streitkräfte sei aber der Nato zugewiesen. "Das ist eine Milchmädchenrechnung", entlarvte Stelzenmüller. Schon ging es weiter: "Man kommt auf die Vorstellung, nur der Westen provoziere nur dann, wenn man sehr viel ausblendet", warf sie Wagenknecht vor und verwies auf die Kriege in Tschetschenien und Georgien sowie die Annexion der Krim. "Das Einzige, was Russland wirklich bedroht, ist die demokratische Transformation", betonte Stelzenmüller. So zu tun, als seien die übrigen Nato-Staaten Marionetten der USA, sei "abenteuerlich".

Das ist das Rededuell des Abends

Auch beim Rededuell des Abends hatte Wagenknecht ihren Anteil: Gerade hatte CDU-Politiker Röttgen erläutert, wie Putins Kalkulation durch Abschreckung des Westens beeinflusst werden soll, da funkte Wagenknecht schon dazwischen: "Aber wir haben doch jetzt immer wieder gesehen, dass das nicht funktioniert." Man müsse endlich respektieren, dass Russland Sicherheitsinteressen habe. "Der Westen täte besser daran, sie in Verhandlungen zu akzeptieren, ein neutraler Status für die Ukraine wäre im Interesse aller", behauptete Wagenknecht.

Norbert Röttgen konnte das so nicht stehen lassen: "Der Westen ist verhandlungsbereit, gesprächsbereit, dialogbereit, wir haben Formate geschaffen, das bieten wir alles an", betonte er. Dass Russland ein Opfer sei, was sich nur wehren würde, sei eine Sichtweise, "die vom Kreml auch zu 100 Prozent geteilt oder von Ihnen so übernommen worden ist", sagte er zu Wagenknecht.

So hat sich Anne Will geschlagen

Anne Will war hartnäckig wie immer, aber bei manchen Fragen biss auch sie sich die Zähne aus. So bekam sie bei der Frage "Was hat der Westen Russland anzubieten oder entgegenzusetzen?" nur vage Antworten – und das, obwohl sie die Frage in dutzenden Variationen stellte.

Von Lars Klingbeil wollte sie wissen: "Was hat der Besuch von Scholz in Moskau gebracht, wenn das Kriegsrisiko zum Ende der Woche massiv gestiegen ist?", Ursula von der Leyen fragte sie: "Was bieten Sie außer schöner Worte an?" Und Norbert Röttgen sollte beantworten: Geschlossenheit des Westens, Pendeldiplomatie, Truppenverlegungen, Waffenlieferungen - "Hat das erkennbar alles gar nichts gebracht?"

Alle Antworten ließen erkennen: Scheinbar ist die Krise diplomatisch ausgereizt.

Das ist das Ergebnis bei "Anne Will"

Viele Aussagen, die im Russland-Konflikt inzwischen als Allgemeinplätze gelten, wurden auch am Sonntagabend wiederholt: Die Souveränität der Ukraine, die Geschlossenheit des Westens, die Härte der Sanktionen, die unbedingte Verhinderung eines Krieges. Zu lange hielt sich die Sendung aber mit der Diskussion über die Opferrolle Russlands auf, die Wagenknecht immer wieder hervor brachte.

Nur im vorab aufgezeichneten Interview mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen blitzte ein Punkt auf, den es sich zu vertiefen gelohnt hätte. "Wir sind jetzt schon zu erpressbar", sagte sie mit Blick auf die Abhängigkeit Europas in Sachen Energiesicherheit. "Wir müssen raus aus der Abhängigkeit von russischem Gas und rein in die Produktion von grünem Wasserstoff und erneuerbaren Energien", forderte sie. Davon gerne mehr.

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