Die Steuerschätzer senken ihre Prognose dramatisch, und die Koalition muss irgendwie sparen – nur bekommt "Maybrit Illner" einfach nicht heraus, wo. Sie prallt am neuen schwarz-roten Traumpaar ab.

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Friede, Freude, jeder kriegt was ab vom Kuchen: Mehr Harmonie als zwischen SPD-Finanzminister Olaf Scholz und Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus bei "Maybrit Illner" war selten in der Großen Koalition.

Dabei wollte die Gastgeberin eigentlich mit den alarmierenden Zahlen der neuesten Steuerschätzung sowohl die Ausrichtung als auch die Standfestigkeit der Regierung Merkel abklopfen - ein aussichtsloses Unterfangen an diesem launigen, aber unergiebigen Donnerstagabend.

Was war das Thema bei "Maybrit Illner"?

Große Zahlen, große Aufregung: 70,6 Milliarden Euro weniger als bisher prognostiziert werden dem Bund wohl bis 2023 zur Verfügung stehen, das ergab die aktuelle Steuerschätzung. Weil’s so schön dramatisch klingt, packte die Redaktion von "Maybrit Illner" gleich noch die erwarteten Einbußen für Gemeinden und Länder drauf, und platzierte damit im Handumdrehen die stolze Summe von 124 Milliarden Euro wie ein Damoklesschwert über der Regierung.

Und stellte eine Frage mit Streitpotenzial: "Zukunft ohne Gerechtigkeit – wofür hat die Regierung noch Geld?"

Wer waren die Gäste?

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte herzlich wenig Lust, vor laufender Kamera seine Haushaltsplanung umzuschmeißen. Die Zahlen, die nun kursieren, hält er ohnehin für übertrieben. Der Großteil der 70 Milliarden Euro sei schon eingepreist, die eigentliche Finanzierungslücke bis 2023 betrage nur 10 Milliarden Euro. "Bei Einnahmen von 1,375 Billionen Euro haben wir also 10 Milliarden Euro weniger. Wen das erschreckt, der muss mal zur Akkupunktur."

Auch Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus wollte "den Alarmismus rausnehmen", und fasste die Zahlen der Steuerschätzung in eine schmissige Formulierung: "Wir haben weniger Mehr als gedacht." Tatsächlich erwarten die Steuerschätzer ein weiteres Einnahmenplus, eben nur ein geringeres als bisher erwartet. Brinkhaus will nun vorsichtiger haushalten, mit einer klaren Priorität: Kein Ausbau des Sozialstaats, sondern das Land "zukunftsfest" machen – durch eine Mindesinvestitionsquote.

FDP-Chef Christian Lindner hat angesichts der neuen Zahlen bereits einen Ausgabenstopp gefordert. Bei "Illner" legte die neue Generalsekretärin Linda Teuteberg mit ihrem vehementen Einsatz für eine Entlastung der Bürger nach. Allerdings versteifte sich die Brandenburgerin auf die komplette Abschaffung des Soli-Beitrags, und lief damit in einen Konter von Olaf Scholz, der den Soli sowieso nur für die einkommensstärksten zehn Prozent belassen will: "Sie sind also für eine Steuersenkung von 130.000 Euro für jemanden, der 5 Millionen Euro verdient."

Dagmar Rosenfeld, Chefredakteurin der "Welt", sekundierte Teuteberg auf ihrem Feldzug für Abgabensenkungen: "Jetzt ist der Moment, wo Unternehmen endlich entlastet werden müssen." Im internationalen Vergleich sei die Wirtschaft sehr hoch belastet, in einer Zeit, in der etwa in den USA Steuern gesenkt würden, sei es "fahrlässig", das nicht ebenfalls zu tun.

Für Investitionen als bessere Stärkung für die Wirtschaft sprach sich Linkspartei-Vorsitzende Katja Kipping aus. Die kleinen und mittelständischen Unternehmen würden nicht nur unter der Steuerlast leiden, sondern vor allem auch an fehlenden Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Digitalisierung. Dafür brauche es aber eine Abkehr vom Dogma der Schuldenbremse: "Die Schwarze Null ist unsozial, kurzsichtig und unsexy."

Auch Markus Feldenkirchen vom "Spiegel" verlangte neue Prioritäten: "Mich stört so ein bisschen die Fantasielosigkeit in der Debatte." Er brachte angesichts der immer besseren Finanzlage für die oberen zehn Prozent eine höhere Kapitalertragssteuer ins Spiel, auch bei den Subventionen lasse sich ansetzen – siehe die Steuerprivilege für Flugbenzin und Diesel.

Was war der Moment des Abends?

Egal, was Maybrit Illner auch versuchte, sie konnte einfach keinen Keil treiben in das Groko-Duo Olaf Scholz und Ralph Brinkhaus. Der Ansatz war vielversprechend: Der prall gefüllte Wunschzettel muss entschlackt werden, fraglich etwa, ob sich sowohl das SPD-Herzensprojekt "Respekt-Rente" als auch die CDU-Forderung nach einer Senkung der Unternehmenssteuer wie geplant umsetzen lassen.

Olaf Scholz ließ sich aber nicht in die Karten gucken, verwies nur maliziös grinsend auf einen "sehr klugen" Entwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil zur Grundrente: "Der wird sie sprachlos machen." Und seinen Kollegen Brinkhaus wollte Scholz ausdrücklich loben, weil sie im Duett schon so einige Ansprüche aus Ressorts zurückgewiesen hätten.

Am Ende, orakelte "Spiegel"-Redakteur Markus Feldenkirchen, werden beide Parteien einen Weg finden, ihre Lieblingsprojekte zu finanzieren: "Das ist das tragende Muster dieser Koalition der Unglücksraben." Das wollte Brinkhaus so nicht stehen lassen: "Sehen Herr Scholz und ich unglücklich aus?" – "Nein, Sie beide sind die kuscheligsten Vertreter dieser Großen Koalition."

Allgemeines Gelächter, aber Feldenkirchen führte seinen Punkt unbeirrt aus: Die Spitzenpolitiker mögen mit der Groko glücklich sein, die jeweilige Basis ist es eher nicht. So gesehen könnte die demonstrativ zur Schau gestellte Harmonie zwischen Scholz und Brinkhaus auch nur die Ruhe vor dem Sturm sein.

Was war das Rededuell des Abends?

Irgendwas scheint sich da aufgestaut zu haben bei Ralph Brinkhaus. Nicht nur, dass er gegen Ende der Sendung Markus Feldenkirchen anblaffte, als der Journalist den Europa-Wahlkampf als "bräsig" bezeichnete ("Den ganzen Abend meckern Sie, ist der 'Spiegel' nur negativ?").

Zuvor hatte er sich schon bei Illner über die Runde beschwert: "Das ist wie eine Zeitreise, wir diskutieren jahrelang die selben Themen. (…) Das hab ich bei Frau Maischberger gemacht, das machen wir dauernd in allen Talkshows, sind wir gerecht oder sind wir ungerecht?" Um dann einen Begriff als Lösung zu präsentieren, der ungefähr genauso vage und umstritten sein dürfte wie "Gerechtigkeit": "zukunftsfest".

Wie hat sich Maybrit Illner geschlagen?

Den unsanften Seitenhieb von Brinkhaus unterbrach Illner ungerührt: "Ich versuch's auch bei Ihnen nochmal mit meiner Frage." Abschweifungen duldete die Moderatorin an diesem Abend nicht, sie drängte immer wieder auf klare Antworten, genau die richtige Taktik bei einem so breiten Thema, zumal das Groko-Duo den wirklich heiklen Fragen routiniert auswich.

Was ist das Ergebnis?

Kann diese Koalition auch sparen? Oder bröckelt sie ohne den Kitt, den die sprudelnden Steuereinnahmen ihr bislang verliehen haben? Das kann nur die Zeit zeigen. Ein wichtiger Meilenstein für die Zukunft der Groko wird sicher der Entwurf zur "Respekt-Rente", dem Olaf Scholz offenbar entgegenfiebert wie "Game of Thrones"-Fans dem großen Serienfinale.

Für genau so hitzige Diskussionen wie der Fantasy-Epos sorgten in den vergangenen Wochen Kevin Kühnerts Einlassungen über die Enteignung von BMW – ein Thema, das Illner wohl unbedingt mitnehmen wollte, am Anfang der Sendung aber eher lust- und ziellos abspulte.

Journalistin Dagmar Rosenfeld entwickelte die These, dass sozusagen zwei SPDs existieren – eine "linksromantische" um Kühnert und die "Pragmatiker" um Andrea Nahles, zu denen auch Olaf Scholz gehört. Tatsächlich wird es darauf ankommen, wer sich in der Partei langfristig durchsetzt, neue Bewegung könnten ja schon die Europawahlen bringen.

An einen großen Knall in der Groko nach dem 26. Mai will allerdings so recht niemand glauben – bleibt also das Mantra, das Scholz und Brinkhaus fast wortgleich verbreiten: "Wir sind gewählt bis 2021." An diesem Abend könnte man den Eindruck gewinnen: Mit den beiden als Führungsfiguren könnte es sogar noch viele Groko-Jahre weitergehen.

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