Werden Deutschlands Pflegeheime zu Corona-Fallen? Und wie schützt man die Risikogruppen? Frank Plasberg findet keine Lösungen – aber eine Menge aufgestaute Wut.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Bartlau dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

"Wir haben keine Lösungen", sagt Frank Plasberg am Ende dieses Montagabends bei "Hart aber fair", und es sollte ein versöhnliches Schlusswort sein – schön, dass wir drüber geredet haben, trotz alledem!

Mehr aktuelle News

Aber wer gut aufgepasst hatte in den letzten 75 Minuten, könnte es auch als Kapitulation verstanden haben, weil sich in der Coronakrise nun mal Problem auf Problem stapelt, ohne dass schnelle Besserung in Sicht wäre. Und wenn man sich fragt, wo eigentlich das Positive geblieben ist, lautet die Antwort frei nach Erich Kästner: Weiß der Teufel, wo das geblieben ist. Bei "Hart aber fair" war es jedenfalls nicht zu entdecken.

Das ist das Thema bei "Hart aber fair"

Frank Plasberg und seine Gäste widmeten sich einer besonders gefährdeten Gruppe – den rund 3,5 Millionen Menschen in Deutschland, die pflegebedürftig sind. Aber nicht nur sie, auch das Personal und ihre Angehörigen kamen zu Wort zum Thema: "Das Virus und die Pflege – werden Altenheime zur Corona-Falle?"

Lesen Sie auch: Alle Entwicklungen rund um das Coronavirus in unserem Live-Blog

Das sind die Gäste

Der Altersmediziner Johannes Pantel beobachtet eine Verlagerung des Infektionsgeschehens aus dem öffentlichen Raum in Krankenhäuser und Pflegeheime. "Statistisch gesehen sind das für ältere Menschen gefährliche Orte."

Der Hauptgrund: Es fehlt an Schutzausrüstung, wie Pflegekraft Silke Behrendt-Stannies schildert. Die Bestände reichten nicht aus, was da ist, werde strengstens gehütet: "Das ist wie Bargeld herumliegen lassen." Eigentlich müssten die Mitarbeiter viel besser geschützt werden: "Wenn wir ausfallen, haben wir schnell eine Dramatik, die nicht mehr einzufangen ist."

Eine Herausforderung, mit der Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann seit Wochen konfrontiert ist. Er könne nun einmal "kein Material herzaubern", sagt der CDU-Politiker. "Wir verwalten derzeit den Mangel." Für die nächsten Wochen erwartet er sich aber eine Entspannung, weil die Produktion von Schutzmaterial in Europa massiv angelaufen sei.

Bernd Meurer, Präsident des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste, kann auch von den ambulanten Pflegediensten keine besseren Nachrichten in Sachen Schutzausrüstung liefern: "Mehr oder weniger gibt es überall nichts."

Das nächste Problemfeld zeigt Gerd Fätkenheuer auf, der ärztliche Leiter der Klinischen Infektiologie an der Uniklinik Köln. Sein Krankenhaus habe große Probleme gehabt, weil Infektionen der Mitarbeiter unerkannt blieben: "Wir haben immer noch einen Mangel bei den Tests."

Per Schalte redet Frank Plasberg mit Wiebke Worm. Die Hamburgerin pflegt ihren Ehemann seit 2013 in der eigenen Wohnung. Sie ärgert sich, dass die "Riesengruppe pflegende Angehörige" bei der Verteilung von Schutzausrüstung allein gelassen werde. "Wenn Jens Spahn sagt, es werde genug getan für Angehörige – das ist definitiv nicht der Fall."

Der Moment des Abends

Was sagen eigentlich die Menschen, über die im TV-Studio mit bedrückten Mienen geredet wird? Eine Redakteurin von "Hart aber fair" hat sich mit Tablet und Mundschutz auf den Weg in ein Altenheim gemacht, um mit Bewohnerinnen über die Auswirkungen des Coronavirus auf ihr Leben zu reden.

Die Einsichten sind vielleicht nicht überraschend, natürlich wird es fad und einsam, wenn Singen und Turnen ausfällt - aber die Erkenntnis sickert doch noch einmal tiefer ein, wenn man es aus dem Munde von Betroffenen hört. "Es fühlt sich an wie im Gefängnis", sagt eine Frau, die an ihrem 84. Geburtstag das Ständchen von ihren Kindern nur vom Fenster aus entgegennehmen kann, wegen des Kontaktverbots. "Und trotzdem seh ich das ein."

Das ist das Rede-Duell des Abends

Der Beitrag scheint Johannes Pantel geradezu aufzustacheln – der Gerontopsychiater sieht eine Art Generationenkonflikt heraufziehen und kritisiert immer wieder Menschen, die nach einer stärkeren Isolation der älteren Risikogruppe zugunsten der Jüngeren rufen.

Plasberg spielt noch einmal die Wortmeldungen von Kanzleramtsminister Helge Braun und Gesundheitsminister Jens Spahn ein, die laut über längere und striktere Ausgangsbeschränkungen für Menschen ab 60 nachdenken. "Da bleibt mir die Spucke weg", sagt Pantel. "Das ist verfassungswidrig." Er warnt davor, Menschen über 60 pauschal als gefährdet zu bezeichnen, die meisten seien nicht pflegebedürftig, körperlich fit – und auch, wie er später sagt, durchaus vernunftbegabt: "Wenn es ein Gesetz gibt, sind sie die ersten, die Mundschutz tragen".

So hat sich Frank Plasberg geschlagen

Wie so oft in dieser Sendung findet der Gastgeber nach dieser Äußerung sofort den passenden Einspieler: Pantel konfrontiert er mit einer Umfrage, laut der ältere Menschen ihre Gefährdung unterschätzen. Klingt nicht besonders vernünftig. Auch wenn Pantel sich "nicht widerlegt fühlt" - der Punkt geht an Plasberg.

Wobei: Wie einen Wettkampf führt der Moderator die Runde an diesem Abend nicht. Eher mit gebotener Seriosität und Fingerspitzengefühl auf schwierigem Terrain, vor allem in den emotionalen Gesprächen mit Pflegerin Silke Behrendt-Stannies und Wiebke Worm.

Das ist das Ergebnis

Die Nerven liegen offenbar schon jetzt blank. Altenpflegerin Behrendt-Stannies berichtet von einer täglichen "Achterbahnfahrt" und warnt, man könne "die Leute nicht einsperren, bis es einen Impfstoff gibt". Johannes Pantel fordert schon jetzt eine Exit-Strategie aus den strikten Maßnahmen nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für den Pflegebereich und das ganze Gesundheitssystem.

Eindringlich spricht er über die potenziellen langfristigen Folgen der Isolation, nicht nur, aber gerade bei älteren Menschen: Verschlimmerung chronischer Leiden, Depressionen, Aggressionen.

Virologe Gerd Fätkenheuer zerpflückt Gedankenspiele, die Risikogruppen in verschärfte Quarantäne zu stecken und die Beschränkungen für den Rest der Bevölkerung aufzuheben: Wenn man das durchrechne, würden noch immer mehr als 100.000 Menschen unter 50 sterben. "Will man das? Diese Strategie würde zur Katastrophe führen."

Es bleibt also wohl vorerst nur ein Leben auf Sparflamme und bestmöglicher Schutz für die älteren und Menschen mit Vorerkrankungen – wie auch immer der gewährleistet werden soll, wenn nicht einmal genug Masken beschafft werden können. In ganz Nordrhein-Westfalen, gibt Gesundheitsminister Laumann zu, gibt es nur eine einzige Firma, die medizinischen Vlies herstellen kann. Eine einzige. Wo war nochmal das Positive geblieben?

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.