• Linken-Chefin Janine Wissler berichtete von einer dramatischen Nacht im türkischen Erdbeben-Gebiet.
  • Ein syrisch-deutscher Journalist flehte die Welt an, die vom Beben betroffene syrische Grenzregion nicht zu vergessen.
  • Und ein Wissenschaftsjournalist warnte vor einem potenziell noch verheerenderem Beben in der Megacity Istanbul.
Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Thomas Fritz dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Das war das Thema

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Experten rechnen mit bis zu 20.000 Toten und noch mehr Verletzten: Das verheerende Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion mit der Stärke 7,5 und bislang knapp 4.000 Verstorbenen (Stand: Montagabend) war das Thema bei "Hart aber fair" und Moderator Louis Klamroth. Die Natur-Katastrophe traf eine dicht besiedelte Region, in der sich beiderseits der Grenzen Millionen syrischer Kriegsflüchtlinge aufhalten, teils in riesigen Zeltstädten. Vor allem in der syrischen, von Rebellen kontrollierten, Region Idlib ist Hilfe ein Problem, weil keine staatlichen Strukturen existieren.


Die Gäste

  • Ranga Yogeshwar: Der Wissenschaftsjournalist und Autor erinnerte an das katastrophale Erdbeben in Haiti 2008, wo es rund 300.000 Opfer gab. Ein Beben in Hightech-Ländern mit erdbebensicheren Gebäuden wie in Japan habe andere Folgen als in dieser Region der Türkei und Syriens. Die Türkei habe seit dem Erdbeben von Gölcük 1999 zwar viel gemacht für die Erdbebensicherheit, "aber zu wenig beim Bauen". Zudem erklärte Yogeshwar über die Magnitudenskala auf: Ein Beben der Stärke 7,0 sei 100-mal stärker als eines der Stärke 5,0.
  • Serap Güler: Die CDU-Bundestagsabgeordnete sprach nach einem Telefonat mit dem Bürgermeister von Adana von einer "wirklich dramatischen" Lage. Straßen und Flughäfen seien teilweise beschädigt, Hilfe kann daher nur schwer in die Region rein. Am meisten sei jetzt "Muskelkraft gefragt". Die Menschen brauchen zudem Zelte, Decken, Lebensmittel und Medikamente. Besonders für viele syrische Flüchtlinge ist die Lage dramatisch. "Die haben mindestens zweimal alles verloren."
  • Gerd Friedsam: Der Leiter des Technischen Hilfswerks (THW) erklärte, die internationale Hilfe müsse nun schnellstmöglich anlaufen. 72 Stunden nach dem Beben habe man reelle Chancen zu überleben. Aber sogar nach zwei Wochen sei es in Einzelfällen noch möglich. Das Problem: In dem betroffenen Gebiet sind die Temperaturen derzeit vor allem in der Nacht eisig, das Thermometer fällt unter Null Grad. Dass viele Kriegsflüchtlinge auf syrischem Gebiet noch in riesigen Zeltstädten und nicht in festen Gebäuden hausen, habe vielen von ihnen wahrscheinlich das Leben gerettet, so Friedsam.
  • Falah Elias: Der aus Syrien stammende WDR-Reporter hat ein paar Stunden um seine Familienangehörigen in der betroffenen Region gezittert. "Gott sei Dank geht es ihnen gut." Elias wies darauf hin, dass die Region Idlib im Nordwesten Syriens Niemandsland sei. Nur die Weißhelme helfen dort derzeit mit weitgehend primitiver Ausrüstung. Die Assad-Regierung hat keine Hoheit über das Gebiet, das durch von der Türkei unterstützte Milizen kontrolliert wird.
  • Cem Özdemir: Der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft (B‘90/Grüne) kritisiert die türkischen Bauvorschriften, die oft nur auf dem Papier gelten. "Das Problem ist die Umsetzung", aber Özdemir wollte angesichts der katastrophalen Situation vor Ort gar nicht groß in die Tagespolitik einsteigen. Ob Erdogan das Beben im Wahlkampf hilft, wollte er ebenfalls nicht beurteilen. "Jetzt ist der Moment der Hilfe und wir helfen. Darauf können sich die Menschen in der Türkei verlassen und auch in Syrien."

Das war der Moment des Abends

Linken-Chefin Janine Wissler erlebte das Erdbeben in der osttürkischen Großstadt Diyarbakir, wo sie Vertreter der prokurdischen HDP-Opposition traf. Sie wurde in der Nacht in ihrem Hotelzimmer durch die heftigen Erdstöße geweckt. "Alles hat gewackelt. Es war ganz furchtbar. Ich bin dann auf die Straße gegangen", berichtete Wissler. Dort hätten sich viele Menschen hin geflüchtet, bei Minusgraden nur mit Sandalen an den Füßen.

In der Nacht hätten die Menschen mit bloßen Händen versucht, Leute rauszuholen, sie hat zehnstöckige Häuser gesehen, die eingestürzt waren. Erst auf der Fahrt zum Flughafen realisierte sie, was für Ausmaße das Beben hatte. Ihr Fazit: "Man fühlt sich so hilflos". Es sei "absolut beängstigend" gewesen, wenn die Erde unter den Füßen wackelt.

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Das war das Rededuell des Abends

Der syrische Journalist Falah Elias warf Cem Özdemir und der internationalen Gemeinschaft vor, bei den Hilfsbemühungen Syrien wieder zu einem "vergessenen Thema" zu machen. Das Land werde immer nur am Rande erwähnt. Er schlug vor, über die Türkei Hilfe zu schicken oder sie über die Anti-IS-Koalition zu organisieren.

In den Augen von THW-Chef Friedsam ist das in der Realität gar nicht so einfach, denn in Teilen der syrischen Grenzregion ist die Sicherheitslage sehr schlecht. "Natürlich geht Sicherheit für unsere ehrenamtlichen Einsatzkräfte immer vor", betont er. Man müsse schauen, ob man die vorhandenen Strukturen vor Ort nutzen könne. Er selbst würde seine Einsatzkräfte "nicht nach Syrien schicken", gab er zu.

So hat sich Louis Klamroth geschlagen

Die kurzfristige Themenänderung schien den neuen Moderator in Teilen der Sendung zu überfordern. Seine Nachfragen wirkten manchmal ein wenig naiv. Ob ein Erdbeben nur schlimmer ist, wenn die Magnitude stärker sei oder ob es auch, wenn es länger dauere "einen Unterschied macht", wollte er ernsthaft von Ranga Yogeshwar wissen. Wenn die Strukturen länger unter Stress stünden, dann habe das natürlich Auswirkungen, so der Experte.

Auch Louis Klamroths Nachfrage, ob es helfe, wenn die Leute mit dem Handy unter den Trümmern ihre Standorte schicken, führte zu keinem großen Erkenntnisgewinn. "Ja, natürlich", antwortete THW-Chef Friedsam.

Das ist das Fazit

Ein abschließendes Fazit war am ersten Tag nach der Katastrophe natürlich schwierig, denn das volle Ausmaß ist noch überhaupt nicht abzusehen. THW-Chef Friedsam, der schon bei dem verheerenden türkischen Beben 1999 mit rund 18.000 Toten vor Ort war, sagte: "Eine solche Zerstörung, das wird Jahrzehnte brauchen, um das wieder normal zu gestalten".

Ranga Yogeshwar sprach die Hoffnung aus, dass "wir länger darüber nachdenken und nicht nur an den einem Abend". Und er richtete einen dringenden Appell an die türkischen Behörden, in Zukunft erdbebensicher bauen zu lassen. Man könne auch bei alten Gebäuden teilweise noch was machen.

Der Grund für seine Ermahnung: Ein heftiges Erdbeben in Istanbul, das Experten für überfällig halten. "Da wartet man eigentlich darauf, dass 'The Big One' kommt", sagte der Experte. In der Metropolregion leben 15,5 Millionen Menschen. Nicht auszudenken, was ähnlich starke Erdstöße dort anrichten würden. "Das", sagte Yogeshwar voraus, "wäre die völlige Katastrophe."

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