- Wann hört der Krieg auf und wie kann er beendet werden?
- Fragen, die sich die Welt seit Kriegsbeginn vor knapp einem Jahr stellt.
- Beantworten konnte "Hart aber Fair" die Fragen am Montagabend nicht, kam dafür aber zu spannenden Erkenntnissen über das Innenleben der russischen Gesellschaft sowie die Wünsche der Ukraine.
Auch nach knapp einem Jahr hält der Krieg in der Ukraine noch immer an und es kommen täglich Updates aus dem Kriegsgebiet. Zuletzt wurde hart um die ukrainische Stadt Bachmut gekämpft, wobei russische Truppen nach Angaben der Söldnertruppe Wagner nun einen Vorort der umkämpften Stadt erobert haben.
Eine Einnahme Bachmuts würde Russland den Weg zu einer Offensive auf Kramatorsk erleichtern – eine der wichtigsten unter ukrainischer Kontrolle befindlichen Stadt im Donbass.
Das ist das Thema bei "Hart aber Fair"
Ein Ende des Krieges in der Ukraine ist derzeit nicht in Sicht.
Das sind die Gäste
- Vassili Golod: "Niemand weiß, wie lange dieser Krieg noch dauert", sagte der Ukraine-Korrespondent der ARD. Man könne und dürfe sich aber nicht an einen Krieg gewöhnen. "Ich habe die Ukraine noch nie so geeint erlebt wie in 2022 und jetzt gerade", so Golod. Selbst, wenn es morgen einen Waffenstillstand gäbe, wären Gebiete immer noch besetzt, es gäbe unendliches Leid, russische Pässe würden verteilt und Kinder deportiert. "Ein Waffenstillstand beendet nicht das Leid", sagte Golod.
Amira Mohamed Ali (Linke): Aus Sicht der Linkspolitikerin führen die deutschen Waffenlieferungen und ihre Ankündigung zu einer Eskalation im Krieg. "Wir sehen bis heute von Deutschland keinen überzeugenden Einsatz für eine diplomatische Initiative", kritisierte sie. Es drohe ein Krieg mit immer mehr Opfern zu werden, der immer länger dauere. Putin sei ein irrationaler Mensch, bei dem man nicht wisse, was er als nächstes tue.- Hans-Lothar Domröse: Der ehemalige deutscher Nato-General sagte mit Blick auf die Mobilisierungen in Russland: "Es geht im Kern um den Überlebenskampf der Ukraine. Es kommt eine gewaltige Front auf uns zu." Einen Atomwaffeneinsatz sah er aber nicht kommen, Putin habe damit über zwanzigmal gedroht. "Natürlich besorgt mich das, aber es ist relativ unrealistisch", so Domröse.
- Katharina Barley (SPD): "Wir haben klargemacht: So ein völkerrechtswidriger Überfall läuft nicht einfach so durch, wie Putin sich das offensichtlich vorgestellt hat", so die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. Putin habe nicht mit einer so entschlossenen Gegenwehr des Westens gerechnet. "Ich wäre dafür, zu fragen, was passiert eigentlich mit dem, was eingefroren ist", sagte Barley. Andere Länder, zum Beispiel die USA, würden solches Geld nutzen, um der Ukraine zu helfen.
- Gesine Dornblüth: Die Autorin meinte: "Weite Teile der russischen Gesellschaft sind zwar keine fanatischen Kriegsbefürworter, aber sie sind apathisch und mischen sich nicht ein." Die Gründe würden auch in der sowjetischen Vegangenheit liegen. Wer in der russischen Gesellschaft Gewalt anwende, profitiere – von häuslicher Gewalt bis in die Justiz. In Bezug auf das Kriegsgeschehen sagte sie: "Es ist doch gar nicht so, dass Diplomatie und Waffenlieferungen sich widersprechen, sie müssen sich ergänzen." Putin könne aber gestoppt werden, er testet den Westen. "Es ist nicht so, dass wenn ihm klare Kante gezeigt wird, Putin automatisch weiter eskaliert", so Dornblüth.
- Ina Ruck: "Man bemerkt teilweise die Sanktionen, aber der Krieg ist hier in der Stadt auch sehr gut ausblendbar", meine die ARD-Studioleiterin aus Moskau. In anderen Regionen würden sich die Friedhöfe füllen. "Es ist interessant, dass es die Stimmung nicht dreht", sagte Ruck. Die Menschen würden untereinander über den Krieg sprechen, es sich aber nicht öffentlich trauen. "Ich habe neulich im Schnee, mit dem Finger hingemalt, die Worte ‚Nein zum Krieg‘ gesehen. Ich habe mich sofort umgeschaut, wo Überwachungskameras sind und mich gefragt, wer das gemacht hat, ohne erwischt zu werden."
- Andrij Melnyk: Der Vize-Außenminister der Ukraine und ehemaliger Botschafter in Deutschland sagte: "Dieser Krieg kann nur auf dem Schlachtfeld beendet werden." Putins Ziel sei nach wie vor, die Ukraine zu vernichten. Man werde keine deutschen Soldaten erbitten und auch keine Atombomben. "Alles andere wäre völkerrechtlich zulässig und deswegen können wir auf die moralische Verpflichtung unserer Partner hoffen", so Melnyk. Man gehe davon aus, dass eine Kampfjet-Allianz geschmiedet werde. Die Zeit spiele aber gegen die Ukraine.
Das ist der Moment des Abends bei "Hart aber Fair"
Barley hatte gerade Mohamed Alis Forderung, die Waffenlieferungen zu stoppen und auf diplomatische Initiativen zu setzen, abgelehnt, als sie nachsetzte: "Mir ist noch wichtig, etwas zu der Strategie zu sagen, die wir tatsächlich jetzt über Jahrzehnte verfolgt haben: Wir liefern keine Waffen in Krisengebiete", so Barley. Die Krisengebiete der letzten Jahre hätten sich überwiegend so dargestellt, dass die Konfliktregionen sehr unübersichtlich seien und Konflikte seit Jahren bestünden.
"Das ist jetzt eine völlig andere Lage. Wir haben ganz klar einen Aggressor, der ohne, dass die Ukraine ihm irgendeinen Anlass gegeben hat, dieses Land überfallen hat mit dem klaren Ziel, sich zumindest Teile einzuverleiben", so die SPD-Politikerin. Das Einzige, was die Ukraine tun wolle, sei sich zu verteidigen. "Da haben wir juristisch das Recht und moralisch die Pflicht, dieses Land zu unterstützen, dass es sich verteidigen kann", meinte Barley. Der Applaus im Studio war unüberhörbar.
Das ist das Rede-Duell des Abends
Linken-Frau Mohamed Ali warnte, nach dem Ruf nach Kampfjets verlange man vielleicht Bodentruppen oder die Ausbildung von ukrainischen Soldaten. "Wir müssen sehen, dass die ernsthafte Gefahr besteht, dass dieser Krieg sich ausweitet", meine sie. Domröse kommentierte, auch mit Blick auf eine Petition von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer dazwischen: "Ja dann würden sie sagen: Lass den Vergewaltiger doch machen. Wo erkennen Sie denn, dass Putin aufhört, wenn Sie sagen, wir machen jetzt mit Alice Schwarzer weiter." Mohamed Ali reagierte empört: "Entschuldigen Sie, ich habe mit keinem Wort gesagt, dass Putin mit seinem Krieg Recht hat", verteidigte sie sich.
Barley mischte sich ein: "Dieser Aspekt ist wirklich noch gar nicht zur Sprache gekommen: Es geht um das ukrainische Volk. Das sind die Menschen, die sterben, die vergewaltigt werden, die veschkeppt werden", erinnerte sie. Die Ukrainer müssten entscheiden, was sie wollen. "Diesen Menschen jetzt zu sagen, hört auf zu kämpfen, was passiert denn dann?", fragte die SPD-Frau. Putin habe den Krieg nicht begonnen, um Waffenstillstandsverhandlungen zu führen und sich wieder zurückzuziehen. Mohamed Ali kommentierte nur: "Das ist eine unsachlich geführte Debatte."
So hat sich Louis Klamroth geschlagen
Es wurde ziemlich viel durcheinander und dazwischen geredet, Klamroth gelang es aber, wen nötig dazwischen zu gehen. Seine Fragen stellten eine gute Mischung zwischen Analyse der Lage an der Front, emotionaler Bestandsaufnahme und Ausblick in die Zukunft dar.
Sie lauteten beispielsweise: "Kehrt in der Ukraine so etwas wie Alltag ein?", "Was erwarten Sie für die nächsten Wochen?" und "Könnte Putin überhaupt verhandeln, ohne sein Gesicht zu verlieren?". Teilweise hätte er die Antworten noch etwas besser herausarbeiten können. Auffällig war das zum Beispiel bei der Frage: "Warum ja zu Kampfpanzern, aber Nein zu Kampfjets?"
Lesen Sie auch: Was sich Klamroth dringend hinter die Ohren schreiben muss
Das ist das Ergebnis bei "Hart aber Fair"
Mit der Forderung, Waffenlieferungen einzustellen, fand Mohamed Ali sich auf einsamem Posten wieder. Die Debatte blieb hier deshalb ein Stück weit aus, Ergebnis nur: Waffenlieferungen und diplomatische Initiativen können sich auch ergänzen und sind nicht schwarz-weiß.
Wirklich interessant wäre es einmal zu debattieren, was Putin in möglichen Verhandlungen angeboten werden soll oder mit welchen Hebeln er unter Druck gesetzt werden kann. Hier kommt nur immer wieder der Hinweis, diese Debatte gehöre nicht in Talkshows. Ersatzverhandlungsraum können sie natürlich nicht sein, doch die Verhandlungsmasse sollte für den Zuschauer schon klarere Konturen bekommen.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.