Die Kleinen werden gehenkt, die Großen laufen gelassen – so lautet ein weit verbreitetes Vorurteil über das deutsche Rechtssystem. Die Vorwürfe werden besonders oft nach aufsehenerregenden Prozessen gegen bekannte Personen laut. Bei "Hart aber fair" geht Moderator Frank Plasberg dem mit seinen Gästen auf die Spur. Kommen Promis wirklich leichter vor Gericht davon?

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Was ist das Thema?

Vor dem Gesetz sind alle gleich. Stimmt das wirklich? Jeder zweite Deutsche glaubt, dass Reiche und Prominente vor Gericht bevorzugt werden. Geheime "Deals" und so manches Urteil scheinen den Argwohn in der öffentlichen Meinung zu bestätigen.

Die ARD-Talksendung "Hart aber fair" geht am Montagabend den Vorwürfen nach und orientiert sich dabei vor allem an den jüngsten Fällen von Bernie Ecclestone, Uli Hoeneß und Sebastian Edathy.

Wer sind die Gäste?

In seinem 2014 erschienenen Buch "Einspruch" wettert der ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) gegen das deutsche Rechtssystem. Widersprochen wird ihm in Plasbergs Sendung von Medienanwalt Ralf Höcker, der unter anderem Jörg Kachelmann und Felix Magath juristisch vertreten hat.

Rechtsanwalt Ingo Lenßen ist vor allem durch "scripted reality"-Sendungen wie "Lenßen & Partner" einem größeren Publikum bekannt. Neben ihm auf der Bank sitzt die Autorin und Journalistin Anna von Bayern. Als Vorsitzender des Deutschen Richterbundes vertritt Christoph Frank seinen Berufsstand.

Wer waren die Kontrahenten des Abends?

Gab es einen "Promi-Bonus" für Ecclestone und Hoeneß? Norbert Blüm ist davon überzeugt. Er übernimmt bei Plasberg die Rolle des Chefanklägers und malt ein düsteres Bild der deutschen Justiz. Schlampige Gutachten und falsche Urteile gehörten demnach in den Gerichtssälen zum Alltag. 75 Millionen Euro für die Einstellung des Verfahrens seien für Formel-1-Chef Ecclestone nur ein "Almosen". "Ich habe es überhaupt nicht gern, dass Geld Recht ersetzt", gibt Blüm, selbst kein Jurist, kund.

Dagegen wehrt sich vor allem Ralf Höcker. "Sie dürfen nicht Einzelfälle verallgemeinern", wirft der Medienanwalt Blüm vor. "Deals gibt es auch für normale Menschen", führt Höcker auf. Der Faktencheck der Redaktion bestätigt ihn: 245.000 Mal wurden 2013 Verfahren auf diese Weise beendet. "Reiche müssen die gleichen Rechte haben wie Arme", betont Höcker. Zudem hätten Prominente den Nachteil, dass über ihren Fall jeden Tag in den Medien berichtet wird. Auch die anderen Juristen verteidigen ihre Branche gegen Blüm. In der Hauptverhandlung gab es kaum Beweise für eine Schuld von Ecclestone, weist Richtervertreter Frank hin.

Was war die These des Abends?

Ein philosophischer Ausflug der Talkrunde zeigt die Spannung, die zwischen dem Rechtsempfinden von Laien und manchen Urteilen von ausgebildeten Juristen herrscht. "Es geht nicht nur um Recht im Sinne des geschriebenen Rechtes. Es geht auch um Ethik und Moral", meint Blüm und entspricht damit wohl dem hohen Anspruch vieler Menschen an die Justiz.

Doch Recht und Gerechtigkeit sind nicht immer dasselbe. "Moral ist individuell", findet die Journalistin von Bayern. Und die Anwälte in der Sendung verweisen auf ihre Aufgabe, so viel Schaden wie möglich von ihren Mandanten abzuwenden. Was einem Beschuldigten nicht nachgewiesen werden kann, muss er auch nicht zugeben. "Es gibt keine Bringschuld", meint Höcker.

Was ist das Ergebnis des Abends?

Ob ein Urteil angemessen ist oder nicht, darüber gehen die Meinungen nicht nur bei "Hart aber fair" auseinander. Ecclestones Millionenzahlung kann man, wie Lenßen, eher pragmatisch als Gewinn für die Staatskasse sehen, im Falle eines möglichen Freispruchs wäre sie leer ausgegangen. Auch die dreieinhalb Jahre Haft für Hoeneß kann man nach Meinung von Höcker für einen Ersttäter als "nicht wenig" empfinden, da die Strafe eben nicht nur von der Höhe des Steuerbetrugs abhängt.

Doch kurze Verfahrensdauern und Besprechungen hinter geschlossenen Türen wecken auch Misstrauen. "Nach Deals bleibt ein fader Nachgeschmack", merkt von Bayern an. Der Vorwurf von Kinderpornografie, wie im Fall Edathy, müsse zudem in vieler Menschen Augen immer zu einer besonders schweren Strafe führen – unabhängig von der heiklen Rechtslage.

Urteile sind aber auch immer von der Person des Richters abhängig – und sogar von der Tageszeit, zeigen in der Sendung vorgestellte Studien. Vor der Mittagspause urteilen Richter demnach härter als danach, am Morgen milder als kurz vor Feierabend. "Wir haben eben keine Rechtsprechungsautomaten", drückt es Höcker aus. Auch Fehler gehörten dazu.

Dem interessantesten Aspekt in dieser Hinsicht wird bei "Hart aber fair" leider nur wenig Zeit gewidmet: Was ist, wenn ein Richter schwere Fehler begeht, sogar juristische Grundlagen missachtet? Laut Frank gibt es zwar den Tatbestand der Rechtsbeugung, doch Verurteilungen kommen nur selten vor. Dem nachzuspüren hätte spannender sein können als alte Fälle wieder aufzuwärmen.

Am Ende entdeckt Plasberg seiner Meinung nach doch noch "ein Zeichen für die Zwei-Klassen-Justiz". Denn einen Vorteil hätten vermögende Menschen vor Gericht auf jeden Fall: Sie könnten mehr Geld für Anwälte ausgeben. Diese müssten nicht zwangsläufig die besseren sein, doch sie könnten oft mehr Zeit für juristische Kniffe und Auswege aufwenden, gibt Lenßen zu. Ein Umstand, der wohl auch zur Haftentlassung von Ex-Arcandor-Manager Thomas Middelhoff am Montag geführt hat.

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