Bei "Hart aber Fair" ging es am Montagabend um die Spaltung zwischen Ost und West. Wo ist sie überwunden und wo noch vorhanden – vielleicht stärker denn je? Ein CDU-Politiker forderte mehr Respekt für die Lebensleistung der Ostdeutschen ein und Katrin Göring-Eckardt rasselte ziemlich mit AfD-Mann Tino Chrupalla zusammen, als es um die Meinungsfreiheit in Deutschland ging. Moderator Klamroth nagelte den CDU-Gast an einer Stelle fest: "Den Satz können Sie nicht mehr sagen, oder?"

Eine Kritik
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In einer kürzlich veröffentlichten Gesellschaftsstudie sagen 20 Prozent der Befragten: Die größte Spaltung in Deutschland verläuft zwischen Ost und West. In ihrer Doku "Hört uns zu! Wir Ostdeutsche und der Westen" spürte Journalistin Jessy Wellmer diesem Graben nach und fragte: Was steckt hinter dem Frust vieler Ostdeutscher? Bei "Hart aber Fair" gab es im Anschluss die Diskussion zur Sendung.

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Das ist das Thema bei "Hart aber Fair"

Im Sommer wurde in Thüringen der erste AfD-Landrat gewählt, in Sachsen-Anhalt der erste hauptamtliche Bürgermeister der AfD. Im Osten liegt die Partei in den Umfragen deutlich weiter vorne als im Westen – in Brandenburg kommt sie ein Jahr vor der Landtagswahl auf 32 Prozent. Liegt das daran, dass der Osten nach wie vor benachteiligt ist? Bei "Hart aber Fair" diskutierte die Runde am Montag über die Fragen: "Gibt es eine Chance für Einigkeit?" oder "Wird der Graben sogar tiefer?"

Das sind die Gäste

  • Katrin Göring-Eckardt (Grüne): "Was wir gerade erleben, ist, dass die Identität auf beiden Seiten so eine Art Selbstversicherung ist, eigentlich möchte man sich so ein bisschen zurückziehen. Dabei wäre es viel cooler, wenn wir sagen würden: Wir trauen uns was zu, gemeinsam, gegenseitig und dann entsteht auch eine neue Hoffnung für dieses gemeinsame Land", so die Vizepräsidentin des Bundestags.
  • Tino Chrupalla (AfD): "Wir haben Patriotismus und Heimatliebe in der DDR nicht abgewöhnt bekommen – das ist vielleicht auch ein Unterschied zu den alten Bundesländern", meinte der Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion. Über die DDR herrsche in Westdeutschland oft ein falsches Weltbild.
  • Mario Voigt (CDU): Der Spitzenkandidat in Thüringen sagte über seine Wurzeln: "Für mich ist das Identität, ist das Heimat. Und es macht mich auch stolz, weil viel erreicht wurde." Es sage aber viel aus, dass drei von vier Führungsfiguren innerhalb der ostdeutschen Gesellschaft immer noch Westdeutsche seien.
  • Ann-Katrin Müller: Die großen Unternehmen, die sich beispielsweise in Dresden und Magdeburg ansiedeln würden, würden zwar Arbeit schaffen, aber auch für Verdrängung sorgen, so die Journalistin beim "Spiegel". Man höre Wirtschaftsvertreter, die sagen: "Sie kriegen das gute Fachpersonal, welches sie eigentlich anwerben wollten, nicht, weil es – durch die AfD befördert – sehr viel Rassismus vor Ort gibt", so Müller.
  • Anne Hähnig: Die Redaktionsleiterin der "Zeit" in Ostdeutschland sagte: "Wir sind Opfer unserer eigenen Illusionen von 1989." Damals habe es die Illusion gegeben, Ost und West würden sehr schnell zusammenwachsen und der Osten werde das Wirtschaftswunder des Westens nachholen. "Heute stellen wir fest, dass das nicht der Fall ist", so Hähnig. Diese Enttäuschung führe zu einer stärkeren Identifikation mit Ostdeutschland.

Das ist der Moment des Abends bei "Hart aber Fair"

Hart aber fair
Mario Voigt mahnte an, dass es oft an Respekt gegenüber Ostdeutschen mangele. © Bild: WDR/Dirk Borm

Voigt war sich sicher: "Der Respekt vor der Lebensleistung der Ostdeutschen wird zu wenig gewürdigt." Viele Leute hätten von einem Tag auf den anderen vieles verloren und es habe viele Veränderungen gegeben. "Die sind fleißig, die sind beständig, die sind bodenständig, die kämpfen – die haben echt ihr Leben verändert", blickte er auf die Wende zurück. Seine Eltern hätten den Job gewechselt, seine Schwester sei in den Westen gegangen und wieder zurückgekommen.

"Das ist Normalität für viele Familien im Osten", hielt er fest. Die Menschen hätten momentan das Gefühl, dass ihr kleiner Wohlstand in Gefahr ist. "Wenn wir das sehen, dann begreift man auch, worum es gerade in der öffentlichen Debatte geht: da geht es weniger um die Identität – da geht es um die Sorge, dass das, was da geschaffen worden ist, verloren geht." Das müsse man ernst nehmen.

Das ist das Rede-Duell des Abends

Anstoß gaben Äußerungen von Chrupalla. Er habe eine tolle Kindheit in der DDR gehabt, aber es habe auch Repressalien, Einschränkungen der Meinungsfreiheit und Gängelungen gegeben. "Das sind teilweise Dinge, wo viele Bürger im Osten Déjà-vus erleben. Das kommt in der aktuellen Politik wieder zurück", meinte Chrupalla.

Göring-Eckardt erinnerte ihn: "Diktatur ist schon etwas anderes." In ihrer Kindheit in der DDR sei klar gewesen: "Ich musste draußen was anderes sagen als zuhause", so die Grünen-Politikerin. Ihre Eltern hätten ihr beigebracht, dass ihre freie Meinung draußen ein Problem sei. "Das ist doch heute wieder so", kommentierte Chrupalla. "Nein, ich kann überall alles sagen, wir sind ein freies Land", hielt Göring-Eckardt dagegen. "Einmal vielleicht", meinte wiederum der AfD-Politiker. "Das ist total albern zu sagen, man darf das nicht", unterstrich Göring-Eckardt. Der laute Applaus im Studio gehörte ihr.

So hat sich Louis Klamroth geschlagen

Klamroth gelang eine gute Mischung aus offenem Ohr für ostdeutsche Gefühlslage einerseits und kritischen Fragen andererseits. So wollte er beispielsweise von mehreren Gästen mit ostdeutschen Wurzeln wissen: "Fühlen Sie sich als Deutscher oder als Ostdeutscher?" Gleichzeitig nahm der kein Blatt vor den Mund, als es um den Vorwurf der "Selbstverzwergung" der Ostdeutschen ging und die Frage: "Ist es nicht ein Armutszeugnis für die Politik, dass es 33 Jahre nach der Wiedervereinigung noch solche ökonomischen Unterschiede gibt?" Recht bissig zeigte er sich außerdem, als er CDU-Mann Voigt in die Mangel nahm: "Ich bilde keine Mehrheiten mit Extremisten. Den Satz können Sie nicht mehr sagen, oder?", so Klamroth. "Doch, kann ich weiterhin sagen", meinte Voigt.

Das ist das Ergebnis bei "Hart aber Fair"

33 Jahre nach Wiedervereinigung gab es auch in Klamroths Sendung überraschend viel zu besprechen: Ungleiche Löhne, ungleich verteiltes Vermögen, Unternehmensansiedlung, Demokratieverständnis oder Aufschwung der AfD – um nur einige Stichworte zu nennen. Bei allen Gräben gab es aber auch hoffnungsvolle Momente: So prophezeite Hähnig beispielsweise, dass sich die Situation im Osten schnell verbessern werde – weil der Fachkräftemangel die ökonomischen Bedingungen ändere.

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