Die Bilder von durch Giftgas getöteten syrischen Kindern, die dieser Tage zu sehen sind, sind nur schwer zu ertragen. Neben Mitleid dürfte sich bei vielen ein Gefühl ohnmächtiger Wut breit machen. Schnell ist man dann auch bei der Frage nach der Schuld. Der, der Täter und der eigenen. Ist man schuldig durch Wegschauen? Das wollte Montagabend Frank Plasberg bei "Hart aber fair" wissen.

Christian Vock
Eine Kritik
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Seit sechs Jahren herrscht Krieg in Syrien. Die Folgen sind verheerend: Hunderttausende Tote und Verletzte, Millionen Menschen auf der Flucht, Fassbomben auf die Zivilbevölkerung, Beschuss von medizinischen Einrichtungen – das Grauen, das in Syrien herrscht, ist kaum in Worte zu fassen und trotzdem zynischer Alltag geworden.

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Doch als bekannt wurde, dass am vergangenen Dienstag bei einem Luftangriff offenbar chemische Waffen eingesetzt wurden, weshalb Dutzende Menschen starben, darunter auch Kinder, scheint sich etwas verändert zu haben.

Zumindest ließ US-Präsident Donald Trump daraufhin einen syrischen Luftwaffenstützpunkt mit Raketen angreifen. So weit die Ausgangslage vor der Sendung.

Darüber sollte zu Syrien gesprochen werden:

"Giftgas gegen syrische Kinder – werden wir schuldig durch Wegschauen?" - das stand konkret auf Plasbergs Agenda. Und genau an dieser Frage hielt der Moderator gerade am Anfang auch lange fest, reichte die Frage dabei immer wieder direkt an seine Gäste weiter.

Um aber den Kontext der Schuld und des Wegsehens noch deutlicher zu machen, wurden immer wieder Bilder von toten syrischen Kindern eingeblendet.

"Sicher darf man weggucken, wenn man die Bilder der toten Kinder nicht ertragen kann. Aber darf man auch weggucken im übertragenden Sinn, wenn es darum geht, dieser Barbarei ein Ende zu setzen?", fragte Plasberg und präsentierte ein Stimmungsbild der Deutschen.

Demnach sagen 56 Prozent der Befragten, dass Trumps Raketen falsch gewesen seien, 29 Prozent hielten den Beschuss für richtig und nur 18 Prozent seien für einen Einsatz der Bundeswehr in Syrien, 75 Prozent aber dagegen.

Die Gäste bei "Hart aber fair":

Jürgen Hardt (CDU), Koordinator für die Transatlantische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt und außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion

Julian Reichelt, Vorsitzender der "Bild"-Chefredaktionen und längere Zeit Reporter in Syrien

Kristin Helberg, Journalistin und Syrien-Kennerin. Schrieb das Buch "Brennpunkt Syrien. Einblick in ein verschlossenes Land"

Fritz Pleitgen, ehemaliger Intendant des Westdeutschen Rundfunks (WDR) und ARD-Korrespondent in Washington und Moskau

Ulrich Scholz, Oberstleutnant a.D. und ehemaliger Planungsstabsoffizier der NATO

Katharina Ebel, Nothilfe-Koordinatorin für SOS-Kinderdörfer in Syrien

Worüber bei "Hart aber fair" nicht gesprochen wurde:

Es ist schnell gesagt und in Diskussionen und Kommentaren immer wieder vorgetragen: Machen wir uns schuldig? Auch Plasberg fragte gestern nach der Schuld, aber auch er vermied es, dieses "Wir" überhaupt einmal zu definieren.

Wer ist denn dieses "Wir"? Der Westen? Die USA? Die Bundesregierung? Die Diskussionsrunde? Frank Plasberg? Sie? Ich? Eine Antwort auf die Frage, wer sich denn nun schuldig gemacht haben soll, blieb den ganzen Abend aus.

Stattdessen nahm Plasberg genau durch diese Unbestimmtheit am Ende doch irgendwie alle Menschen ins Boot der Schuldigen: "Wir Menschen sind schon komisch: Jeder weiß, Krieg ist schlimm, aber wir gewöhnen uns daran," leitete er die Sendung ein.

Einer Lösung des Syrien-Konflikts ist so etwas natürlich nicht dienlich. Was bleibt, ist ein Unbehagen bei jedem, doch irgendwie schuld am Leid der Kinder in Syrien zu sein.

Worüber stattdessen gesprochen wurde:

Zum einen über die Bilder der getöteten Kinder. Während Scholz Trumps Reaktion auf diese Bilder als "Straßenjungenmanier" bezeichnete, fand vor allem Journalistin Helberg ernüchternde Worte.

Für sie sind diese Bilder aus dem traurigen Grund irrelevant, weil genau dieses Morden seit Jahren stattfände und vor allem von unabhängiger Seite dokumentiert sei: "Wir brauchen keine Beweise mehr." Verbrechen begingen alle Kriegsparteien dort, sagt Helberg - nur bei Assad seien sie systematisch.

Zum anderen wurde über den Weg zur Lösung diskutiert. Dank Julian Reichelt kam man dann doch noch irgendwie dem ominösen "Wir" auf die Spur, als es um die Verantwortung Deutschlands ging.

Für Reichelt sind die Beteiligungen Deutschlands an militärischen Interventionen durchweg positiv zu bewerten. Die Option, dass die Bundeswehr – in welcher Weise auch immer – auch militärisch in den Syrienkonflikt eingreifen solle, wurde aber nicht ernsthaft diskutiert - und damit auch nicht die Auflösung der Schuld-Frage.

Was konnte der Zuschauer aus der gestrigen Folge "Hart aber fair" mitnehmen?

Dass die Unbestimmtheit der Diskussion am Ende doch noch einer gewissen Konkretheit wich, war vor allem Kristin Helberg zu verdanken. Die Journalistin, die mit einem Syrer liiert ist, fasste die Lage in Syrien immer wieder greifbar für den Zuschauer zusammen.

Demnach hat Russland in Syrien alle seine Ziele bereits erreicht: nämlich die USA als dortige Ordnungsmacht zu ersetzen, auf Augenhöhe mit dem Westen zu kommunizieren und seine Mittelmeerstützpunkte zu erhalten.

Auf Assad hingegen könne Putin verzichten. Dieser werde in Syrien nie mehr an die Macht kommen, habe sich von Russland, dem Iran und verschiedenen Söldner-Truppen abhängig gemacht.

Ein neuer syrischer Staat kann laut Helberg nur entstehen, wenn das Assad-Regime aus allen Staatsapparaten, in die es sich eingenistet hat, entfernt wird. Dafür brauche man aber Russland.

Was war das Fazit von "Hart aber fair"?

Ob "wir" uns nun schuldig gemacht haben durch Weggucken – wer auch immer dieses "Wir" nun sein mag – der Antwort auf diese Frage kam man gestern Abend nicht wirklich näher.

Fritz Pleitgen erinnerte daran, dass eine Lösung des Syrien-Konflikts nur über Russland und die USA laufen könne. Das war aber nun alles andere als eine besonders neue Erkenntnis.

Umso interessanter war da am Ende die Bemerkung einer TV-Zuschauerin, die zum ersten Mal die Vereinten Nationen ins Spiel brachte. Eine Option, die in der öffentlichen Diskussion offenbar so gut wie überhaupt keine Rolle mehr spielt.

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