• Die Proteste in Lützerath waren am Sonntagabend Thema bei Anne Will. Um konkreten Klimaschutz ging es nur wenig, im Vordergrund standen Sicherheitsfragen und die Glaubwürdigkeit der Grünen.
  • "Es ist sehr heuchlerisch, was gerade passiert", sagte Greta Thunberg im Einzelinterview und Innenminister Herbert Reul verriert, welchen Satz er sich von Klimaaktivistin Neubauer gewünscht hätte.
Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Marie Illner dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Die Zustimmung für die Grünen leidet unter der Lützerath-Räumung. Die Partei hatte die Räumung des Braunkohleortes mitbeschlossen. Die Siedlung in Nordrhein-Westfalen wird abgerissen, um Kohle abzubauen. Darüber, wie die Räumung ablief, was der Ort symbolisiert und ob er die Grünen zerreißt, debattierte Anne Will mit ihren Gästen.

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Das ist das Thema bei "Anne Will"

Lützerath ist so gut wie geräumt: Nach großen Protesten gegen den Abbriss des Dorfs und den Abbau der darunterliegenden Kohle sind nur noch wenige Aktivisten vor Ort. Zuvor hatten Aktivisten die Siedlung am Tagebau Garzweiler jahrelang besetzt gehalten. Ist Lützerath eine Zerreissprobe für die deutsche Klimapolitik? Anne Will debattierte am Sonntag mit ihren Gästen über die symbolische Bedeutung und die Fragen, ob der Protest legitim ist und die deutsche Klimapolitik konsequent genug.

Das sind die Gäste

Herbert Reul (CDU): Der Innenminister in NRW berichtete von der Räumung Lützeraths: "Irgendwann wurde es immer enger, dann flogen Steine, dann flogen Molotow-Cocktails". Zum Vorwurf, Polizisten hätten Demonstranten mit Stöcken auf die Köpfe geschlagen, versprach er: "Wir werden das prüfen" und ergänzte: "Wir haben ein zwei Videos im Netz gesehen, wo wir sagen: Das sieht nicht gut aus". Insgesamt sei der Einsatz aber "hochprofessionell" gelaufen. Es gäbe aktuell wenig präzise Informationen zu Verletzten, es handele sich vielmehr um Stimmungen.

Ricarda Lang (Grüne): "Mich schmerzt, dass Lützerath nicht gerettet werden kann", gab die Bundesvorsitzende zu. Sie habe aber vor der Entscheidung "Kein Klimaschutz" oder "Mehr Klimaschutz" gestanden. "Auch wenn es nicht 100 Prozent sind, aber das war die Alternative, dann werde ich mich am Ende immer für mehr Klimaschutz entscheiden", so Lang. Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine brauche man mehr Kohle, als eingeplant. "Das ist nicht gut, aber das ist für die Energiesicherheit notwendig."

Michael Hüther: Der Direktor vom "Institut der deutschen Wirtschaft Köln" meinte: "Lützerath hat das Potential, die Grünen arg unter Stress zu setzen." Lützerath sei für das, was in diesem Jahr klimapolitisch passiere "völlig irrelevant", es handle sich um reine Symbolpolitik. Man sollte über Innovation und die Praxis des Klimaschutzes sprechen und nicht über Sicherheitsfragen.

Greta Thunberg: "Es erscheint mir seltsam, dass wir ein Dorf opfern, um die anderen zu retten", sagte die Klimaaktivistin im Einzelgespräch mit Anne Will vor der Demonstration. Deutschland sei historisch gesehen einer der größten Umweltverschmutzer weltweit. "Als Aktivistin ist es nicht meine Rolle, Kompromissen zwischen Regierungen und sehr zerstörerischen Unternehmen zuzusehen", sagte sie. Es sei ihre Rolle, auf Wandel zu drängen. "Wir können einfach nicht akzeptieren, dass RWE, ein fossiler Energie-Konzern, Deals mit der Regierung machen darf und dadurch die Leben von vielen Menschen auf der ganzen Welt gefährdet."

Luisa Neubauer: "Es war schön zu sehen, wie viele Menschen verstanden haben, was hier Phase ist, worum es hier eigentlich geht", sagte die Klima-Aktivistin in Bezug auf die knapp 35.000 Demonstranten. "Das war vielleicht nicht legal, aber in den Augen der Demonstranten legitim", kommentierte sie die Tatsache, dass viele bis zur Kante des Tagebruchs vorgedrungen waren. Der Einsatz der Polizei sei unverhältnismäßig gewesen. "Das ist etwas aus dem Ruder gelaufen", meinte sie.

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Mojib Latif: "Niemand steht über dem Gesetz, auch wenn die Ziele noch so hehr sein mögen", kommentierte der Klimaforscher das Verhalten der Demonstranten. Bei der Diskussion darüber bleibe das eigentliche Thema auf der Strecke. "Das Klimaproblem ist ein globales Problem. Wir lösen es entweder gemeinsam oder gar nicht", so Latif. Deutschland habe die Pflicht, beim Klimaschutz voranzugehen. Lützerath sei ein Symbol dafür. "Wenn es bei uns in Deutschland schon am Tempolimit scheitert, dann frage ich mich, wie das bei den großen Themen funktionieren soll", sagte Latif.

Das ist der Moment des Abends bei "Anne Will"

Im Einzelgespräch mit Thunberg fragte Anne Will: "Haben sich die Grünen von RWE austricksen lassen?" Thunberg antwortete: "Es ist sehr heuchlerisch, was gerade passiert." Auf Wills Nachfrage, warum, erklärte sie: "Erst an den Demonstrationen für Lützerath teilnehmen und dann Lützerath zu opfern!" Die Klimaaktivistin fragte: "Wie kann Lützerath ein Symbol für das Ende sein, wenn sie planen weiterzumachen?"

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Das Dorf zu opfern und den Tagebau zu nutzen, sei nicht das, was wissenschaftlich für den Klimaschutz nötig sei. Die deutsche Bundesregierung sei auf dem falschen Weg. Sie ärgerte sich: "Egal, was Klimaaktivsten sagen, es wird aus dem Kontext gerissen und von dem eigentlichen Problem abgelenkt."

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Das ist das Rede-Duell des Abends

Konfrontiert mit Bildern von Steinwürfen und Molotow-Cocktails auf den Demonstrationen in Lützerath, distanzierte sich Klima-Aktivistin Luisa Neubauer noch einmal deutlich von Gewalt. "Die Tatsache, dass wir zu friedlichen Protesten aufrufen, das habe ich immer wieder gesagt", sagte sie. Es gebe einen Aktionskonsens der einzelnen Bündnisse in der Klimabewegung, der dies festhalte.

Reul schaltete sich ein und wollte wissen, warum man bei den Protesten nicht von der großen Tribüne aus gesagt habe: "Kommt zurück, lasst das sein." Er fragte: "Warum hat man nicht Einfluss genommen?" Diese Gewalt schade der Sache. "Das ist das eigentliche Problem, aber nicht mein Problem", so Reul.

Das Anliegen Klimaschutz werde durch wenige, die sich nicht an die Regeln gehalten haben, diskreditiert. Die Veranstalter hätten auf der Bühne nur betont, jeder sei für sich selbst verantwortlich. "Das birgt zumindest die Gefahr, dass Leute, die Gewalt ausüben wollen, sich nicht gebremst fühlen", mahnte er. Neubauer entgegnete: "Der Aktionskonsens ist klar". Eine bewegte Zivilgesellschaft habe mit friedlichen Mitteln das Thema Lützerath auf den Tisch gebracht.

So hat sich Anne Will geschlagen

Anne Will machte ihren Job am Sonntagabend (15.) gut. Und das vor allem aus diesem Grund: Sie stellte harte Fragen in alle Richtungen. "Was ist schiefgelaufen?", wollte sie von Innenminister Herbert Reul in Bezug auf die Vorwürfe zur Polizeigewalt wissen. Von Neubauer wollte sie wissen, warum sie auf der Demonstration nicht gesagt habe "Leute, bleibt friedlich!" und zu Grünen-Politikerin Ricarda Lang sagte sie: "Ich glaube, Sie wären da nicht gut angekommen" und meinte einen Besuch in Lützerath. Ein wenig bissfester hätte Will noch bei den Fragen "Radikalisiert sich die Klimabewegung?" und "Zerreißt Lützerath die grüne Partei?" sein können.

Das ist das Ergebnis bei "Anne Will"

Krux der Sendung: Die Diskussionsteilnehmer mussten über Sicherheitsfragen statt über den Klimaschutz diskutierten. Dadurch kam die Klimapolitik-Debatte inhaltlich nicht wirklich voran, aber die Debatte war trotzdem unerlässlich.

Take-Home-Message: Wenn die Klimaschutz-Bewegung sich zersplittert, verliert sie an Schlagkraft. Und: die Klimaschutz-Bewegung darf nicht vergessen, dass der demokratische Rechtsstaat nicht nur mit Durchsetzung der eigenen Moral funktioniert, sondern auf den größten Strecken mit Kompromissen.

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