Schleppende Aufarbeitung, zu lange Schulschließungen, zu viel Macht für die Ministerpräsidenten: Mehr als ein Jahr nach dem offiziellen Ende der Corona-Pandemie kam die Politik im ZDF-Talk bei "Maybrit Illner" nicht gut weg. Schauspieler Jan Josef Liefers erregte sich über die harten Maßnahmen gegen die Kulturszene - und ein "Angst-Papier" aus dem Bundesinnenministerium.

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Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Thomas Fritz dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Das war das Thema bei "Maybrit Illner"

Eine Aufarbeitung der Corona-Pandemie ist längst überfällig. Das sehen viele Bürger so, passiert ist bisher wenig. Viele beklagen einen Vertrauensverlust in Politik, Wissenschaft und Medien. Sie beschäftigt die Frage: Was wurde damals richtig, was falsch entschieden?

Maybrit Illner widmete sich mehr als ein Jahr nach dem offiziellen Ende der Pandemie dem Virus und seinen Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft. Das Thema "Der Corona-Schock – eine Pandemie und die Folgen".

Das waren die Gäste

  • Malu Dreyer: Die SPD-Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz betonte, dass keinem Menschen die damals ergriffenen Beschränkungen leicht gefallen seien. Jeder habe gerungen "mit der Frage, was die (richtigen) Maßnahmen sind, um die Menschen zu schützen". Weil vor allem die alten Menschen im Zentrum der Schutzmaßnahmen standen, sei die "seelische Gesundheit der Kinder nicht ausreichend gesehen" worden, gab Dreyer zu. Für die SPD-Frau ist es nun am wichtigsten, aus der Pandemie zu lernen, etwa über das Format der Bürgerräte. "Natürlich gibt es Dinge, die wir heute anders machen würden."
  • Christian Drosten: Der Professor und Direktor des Instituts für Virologie an der Charité Berlin erklärte noch einmal, wie schwierig es war, bei den sich ständig verändernden Virustypen mit der Forschung und auch mit der Kommunikation hinterher zu sein. "Das war auch für Wissenschaftler ungewohnt" - wie ein Virus Menschen infiziert und sich in Wellen immer wieder anpasst. Drosten nahm für sich in Anspruch, "keine Angst verbreitet", sondern eher kühl die Fakten und Unsicherheiten kommuniziert zu haben. Das Streitthema Schulschließungen? Er habe darauf hingewiesen, die Schulen nicht flächendeckend dicht zu machen – in Deutschland geschah dies deutlich länger als in anderen europäischen Staaten. Dies seien am Ende aber immer Entscheidungen der Politik gewesen, so Drosten.
  • Jan Josef Liefers: Der Schauspieler geriet in der Pandemie nach der Aktion #allesdichtmachen in die Schusslinie, weil er mit Kolleginnen und Kollegen die Maßnahmen der Regierung in ironischen Videos kritisiert hatte. "Es sind ganze Berufsgruppen sehr sehr lange auf Eis gelegt worden. Das hat auch zu großen Krisen geführt, auch Lebenskrisen", beklagte Liefers. "Dann sahen wir uns eingeordnet auf der Liste irgendwo zwischen Spaßbad und Puffbesuch. Das halte ich für einen kapitalen Fehler bis heute." Kunst könne Menschen gerade in Krisen Halt geben. Liefers zeigte sich von den Reaktionen auf #allesdichtmachen immer noch bestürzt: "Wir haben nicht dazu aufgerufen, den Reichstag zu stürmen (…) Darauf kam eine Breitseite und ein Kanonenfeuer, von denen ich finde, dass sie einer Demokratie wie der bundesrepublikanischen nicht gut zu Gesicht stehen."
  • Georg Mascolo: Der Journalist und Co-Autor der "Corona-Protokolle" hält die bisher schleppende Aufarbeitung der Pandemie für dringend notwendig. Er kritisierte den Versuch der Regierung, die Protokolle des Robert-Koch-Instituts zurückzuhalten. "Wir reden hier nicht über Staatsgeheimnisse oder militärische Geheimnisse, sondern eine Gesundheitskatastrophe." Das Vorgehen der Regierung erwecke den Eindruck, als habe man etwas zu verbergen - für Mascolo ein handwerklicher und politischer Fehler. Dass die Ministerpräsidentenkonferenz das mächtigste Entscheidungsgremium in der Pandemie war, darf sich nach Mascolos Ansicht nicht wiederholen. Wissenschaftliche Erkenntnisse seien teilweise nicht mehr durchgedrungen – auch beim Thema Schulschließungen. "Man braucht einen anderen Krisenmechanismus."

Das war der Moment des Abends

Für Georg Mascolo ist es immens wichtig, dass die Gesellschaft etwas aus der Pandemie lernt. Und dass wir wieder dazu in der Lage sind, andere Meinungen zuzulassen. "Träfe uns die nächste Pandemie und wir müssten im Ernst sagen, wir haben keinerlei Erfahrungen aus alldem gezogen. Wir sind so blank wie beim ersten Mal. Wir sind sogar noch zerstrittener und uneiniger in der Frage, wie wir damit umgehen wollen. Wir sind auch in der Gesellschaft keinen Schritt weiter gekommen in der Frage, dass wir zurückgeschaut haben und sich dann doch an der einen oder anderen Stelle noch einmal Argumente angehört haben und zu anderen Positionen gekommen sind", sagte er in einem längeren Redebeitrag. "Dann fände ich das den schrecklichsten Zustand und einen, den wir uns alle nicht wünschen sollten. Deswegen muss aus meiner Sicht diese Aufarbeitung kommen."

Diskutierten bei "Maybrit Illner" (v.l.): Georg Mascolo, Jan Josef Liefers, Maybrit Illner, Malu Dreyer und Christian Drosten. © ZDF/Jule Roehr

Das war das Rededuell des Abends

Jan Josef Liefers ging es in der Pandemie gegen den Strich, "dass Angst als Instrument benutzt wurde, um Wichtigkeit und Aufmerksamkeit zu erzeugen". Er bezog sich damit auch auf das sogenannte "Angst-Papier" aus dem Bundesinnenministerium aus dem Jahr 2020. "Sollten wir den jungen Leuten unter Umständen einreden, dass sie Schuld sind, wenn Oma und Opa nächstes Jahr nicht mehr am Tisch sitzen?", zitierte Liefers frei aus dem Papier. "Das war einer der perfidesten Momente für mich in dieser ganzen Pandemie!"

Mascolo stimmte zunächst zu ("Absolut"), ordnete Liefers' Kritik dann aber ein. Eine kleine Arbeitsgruppe ("Scharzer Schwan") im Bundesinnenministerium habe tatsächlich ein paar dieser Papiere produziert. "Und als das erste bekannt wird, gibt es einen richtigen kleinen Aufstand in der Regierung." Mascolo: "Dieses Papier, das Angst-Papier, war ein Fehler, aber es war nicht die Regierungslinie."

Punkt für Mascolo. Wobei sich Liefers darauf berief, dass den Menschen trotzdem jede Menge Angst gemacht worden sei in der Pandemie – durch die Politik und Teile der Medien.

So hat sich Maybrit Illner geschlagen

Eine Debatte, die den Namen Debatte verdiente. Weil nicht – wie so oft – drei Unterstützer des Ukraine-Krieges und ein "Putin-Versteher" oder gar vier Menschen mit ähnlichem Meinungskorridor am Tisch saßen. Maybrit Illner moderierte die Diskussion ausgewogen, wenn auch teilweise etwas pathetisch: "In diesem Haus ist nur Platz für die Wahrheit."

Bisweilen hätte man sich etwas mehr Biss gewünscht. Christian Drosten wollte die Frage nicht beantworten, ob Nationalspieler Joshua Kimmich vom FC Bayern, der sich lange nicht gegen Corona impfen lassen wollte, durch die öffentliche Verurteilung Unrecht getan wurde. Nachhaken? Fehlte leider.

Auch bei der Medienkritik von Liefers, in dessen Augen weite Teile der Presse in der Pandemie vor allem die Maßnahmen der Regierung unters Volk brachten und zu wenig in Frage stellten, blieb Illner stumm. Dabei hätte es zur Aufarbeitung dazugehört, sich auch selbst oder ihre Kolleginnen und Kollegen auf mögliche Fehler oder Fehlurteile abzuklopfen. Schließlich konnte man der Sendung auch ankreiden, dass das wichtige Thema Impfpflicht nur am Ende kurz angerissen wurde.

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Das ist das Fazit

Die kurze Debatte zur Impfpflicht irritierte auch Georg Mascolo. Denn bei dem Thema sei besonders viel Vertrauen beschädigt worden - durch das Hin und Her der aktuellen Regierung. Erst schloss sie eine Impfpflicht kategorisch aus, später kam die angekündigte Kehrtwende. "Es ist der größte und wahrscheinlich auch der bleibendste Schaden", sagte Mascolo. "Etwas, was uns noch lange beschäftigen wird."

Jan Josef Liefers sah das genau so und wollte gern noch ausführlicher schimpfen – aber er konnte nicht. Liefers wies mit Blick auf die Uhr dreimal darauf hin, dass die Sendung ja gleich vorbei ist. Was Maybrit Illner etwas unangenehm zu sein schien.

Fazit: Es gibt noch viel über die Pandemie zu besprechen. Da war von den Tausenden Menschen, die immer noch leiden, an Post oder Long Covid oder Impfschäden, noch gar nicht die Rede. Georg Mascolo fasste die Corona-Jahre treffend zusammen: "Das ist etwas, was wir noch nie erlebt haben und hoffentlich nie wieder erleben werden." Bis Mitte Mai 2024 – diese Zahl wurde in der Sendung unverständlicherweise nicht einmal genannt – sind in Deutschland laut Robert Koch-Institut mehr als 183.000 Menschen aufgrund einer Coronainfektion gestorben.

Wochit/dpa

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