Der Klimaschutz kommt kaum voran - und dann gerät auch noch die Konjunktur ins Stocken: Bei Maybrit Illner ist am Donnerstagabend wenig Platz für gute Nachrichten. Nur der Wirtschaftsminister gibt sich betont zufrieden.

Eine Kritik

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"Die Erde erwärmt sich, aber die Konjunktur kühlt sich ab." Das ist Maybrit Illners Befund zu Beginn ihrer Sendung – und um dieses Spannungsverhältnis soll es gehen: Sind Investitionen in den Klimaschutz möglich, wenn gleichzeitig das Wirtschaftswachstum ins Stocken gerät? Riskieren wir dadurch sogar unseren Wohlstand? Das Thema verspricht auf jeden Fall reichlich Diskussionsstoff.

Wer sind die Gäste?

Peter Altmaier: Der Bundeswirtschaftsminister will die Lage nicht schlechtreden. Im Klimaschutz habe Deutschland "mehr gemacht, als bekannt ist", meint der CDU-Politiker. Auch wirtschaftlich stehe das Land gut da: "Wir haben 45 Millionen Beschäftigte – so viele wie noch nie in der deutschen Geschichte."

Robert Habeck: Der Grünen-Vorsitzende ist wie Altmaier ein Talkshow-Dauergast, findet im Gegensatz zu ihm aber wenig Positives am aktuellen Zustand der Wirtschaft: "Wir messen Wachstum falsch", sagt Habeck. Gefragt sei ein Wirtschaftsmodell, das Lebensqualität und weniger Naturverbrauch in den Mittelpunkt stelle.

Nina Treu: "Der deutsche Wohlstand wird auf Kosten anderer und auf Kosten der Umwelt erwirtschaftet", sagt die Aktivistin und Mitbegründerin des "Konzeptwerk Neue Ökonomie". Sie fordert einen Systemwechsel, vielleicht sogar eine Revolution: Energiewende, Verkehrswende, Agrarwende, massive Umverteilung. "Ich glaube, dass die meisten nicht verstanden haben, dass es ums Überleben geht."

Carolin Roth: Die Journalistin sieht Deutschland in eine Rezession hineinrutschen. "Das ist schon ein Abstieg, das ist nicht mehr abzuwenden." Ob sich in dieser Situation auch noch ein neues Wirtschaftsmodell umsetzen lässt? Da ist die Ökonomin skeptisch: Die Weichenstellungen dafür hätten ihrer Meinung nach schon vor 20, 30 Jahre gestellt werden müssen.

Mario Gutmann: Der Betriebsratsvorsitzende des Autozulieferers Bosch in Bamberg ist irgendwie auf jeden wütend: Auf die Politik, die keine Weichen für die Zukunft stelle. Aber auch auf diejenigen, die dem Klimaschutz erste Priorität einräumen wollen. "Die stehen heute alle auf der Straße und demonstrieren. Aber ich weiß nicht, wo die mal arbeiten wollen", meint der Industriemechaniker.

Karl Haeusgen: Es ist vielleicht ein wenig überraschend, dass sogar der Vizepräsident des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau das neue Klimapaket der Bundesregierung für zu wenig ambitioniert hält. Der Unternehmer spricht sich aber auch dafür aus, Menschen reinen Wein einzuschenken: "Wenn wir dem Klimaschutz die Priorität geben, die er haben muss, dann hat das seinen Preis." Und diesen Preis müssten sowohl die Bürger als auch die Unternehmen zahlen.

Was war das Rede-Duell des Abends?

Richtig Fahrt nimmt die Diskussion erst in der zweiten Hälfte auf – etwa als Robert Habeck mehr Investitionen fordert und warnt: "Wir sind weltökonomisch abgehängt." Da platzt dem Unternehmer Karl Haeusgen der Kragen: "Hören Sie doch bitte endlich mal auf mit dieser Selbstbeschimpfung!", sagt er.

Am Vertrauensverlust der Automobilindustrie in Folge des Dieselskandals sei die Industrie nicht selber schuld, meint Haeusgen. Viel mehr hätten der "mediale und politische Theaterdonner" den Diesel kaputtgemacht. Darüber lässt sich sicher streiten, Haeusgen aber ist der Meinung: "Wir können stolz sein auf die Industrie."

Was war der Moment des Abends?

Anti-Wachstums-Aktivistin Nina Treu mag vielen Zuschauern mit ihrer unnachgiebigen Art ein wenig auf die Nerven gehen. Doch sie schafft es damit auch, Minister Altmaier und Unternehmer Haeusgen immer wieder anzustacheln. Und sie erweist sich als schlagfertig.

Karl Haeusgen etwa beklagt, im "Panikmodus" könne man über ein Thema wie den Klimaschutz nicht vernünftig reden. "Dann hätten Sie mal vor 25 Jahren anfangen sollen, wo die Tatsachen schon auf dem Tisch lagen - dann hätten wir auch nicht so einen Stress machen müssen", kontert Treu. Das sei richtig, muss der Unternehmer da einräumen.

Wie hat sich Maybrit Illner geschlagen?

Zum Ende hin wird es unruhig und alle reden durcheinander. Ansonsten aber gelingt es Maybrit Illner, die Kontrolle über die Diskussion zu behalten.

Als der Wirtschaftsminister ins Schwafeln gerät, schneidet sie ihm kurzerhand das Wort ab. Vor unbequemen Fragen verschont sie ihre Gäste auch nicht.

Was ist das Ergebnis?

In einem sind sich bis auf Altmaier eigentlich alle einig: Es sieht nicht gut aus für die deutsche Wirtschaft. Viel mehr zeichnen sie ein düsteres Bild. Dieser Abschwung sei mehr als eine konjunkturelle Delle, Deutschland drohe den Anschluss in wichtigen Zukunftsbereichen zu verlieren. Den radikalen Wechsel zu einer wachstumslosen Wirtschaft können deren Verfechter aber auch nicht recht schmackhaft machen.

Was also würde helfen? Vielleicht eine Abkehr von der schwarzen Null - also mehr Schulden für höhere Investitionen. Das sehen inzwischen sogar Wirtschaftswissenschaftler so. Auch die Finanzjournalistin Carolin Roth sagt, es sei derzeit für Staaten günstig, sich Geld an den Kapitalmärkten zu besorgen: "Wenn nicht jetzt, wann dann?"

Grünen-Chef Habeck drängt ebenso darauf, Geld auszugeben. Die Bundesregierung investiere 500 Millionen Euro in die Künstliche Intelligenz - viel zu wenig, meint Habeck: "Das machen mittlere chinesische Städte alleine."

Allerdings: Wirtschaftsminister Altmaier will von höheren Schulden nichts wissen. "Ich möchte keine Schulden machen zulasten der jüngeren Generation", sagt er und betont: "Die schwarze Null steht im Grundgesetz."

Die Lage bleibt also vertrackt. Der Blick in den konjunkturellen Abgrund trägt an diesem Abend nicht gerade dazu bei, mit gutem Gefühl ins Bett zu gehen.


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