Louis Klamroth diskutierte mit seinen Gästen über den Stellenwert des Militärs in Deutschland. Dabei offenbarte eine linke Journalistin die bittere Erkenntnis, wie sich durch den Ukraine-Krieg ihre Position zur Bundeswehr verändert hat. Beeindruckend waren die Schilderungen eines Afghanistan-Veteranen und einer Ukrainerin, die um ihren jüngeren Bruder bangt.

Eine Kritik
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Das war das Thema

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Früher hat sich kaum jemand in Deutschland ernsthaft für die Bundeswehr interessiert. Das hat sich durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine geändert. Die Armee rückt immer weiter ins Bewusstsein der Gesellschaft. Insbesondere die Frage, ob sich Deutschland im Kriegsfall verteidigen könnte. Der Grund: Die Berichte über Mängel bei der Truppe sind lang und viele Menschen machen sich deswegen Sorgen. Durch die Waffenlieferungen an die Ukraine ist die Lage bei der Bundeswehr noch angespannter geworden. Das Thema bei "Hart aber fair": "Die Ukraine kämpft, die Bundeswehr übt noch: Muss Deutschland Krieg können?"

Das waren die Gäste

  • Michael Roth: Für den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses (SPD) ist es "nicht nur eine organisatorische Frage, sondern auch eine Frage des Willens", die Bundeswehr so auszustatten, dass sie ihre Aufgaben an Land, zur See und in der Luft erfüllen kann. Die Soldaten "brauchen Respekt und Anerkennung", sie seien als "Bürger in Uniform" Teil der Gesellschaft. Für Roth steht es außer Frage, dass die Ukraine so lange unterstützt werden muss, bis sie Russland von ihrem Territorium vertrieben hat. "Dieses Volk soll vernichtet werden und dieses Land verteidigt sich", betonte er in einem leidenschaftlichen Monolog.
  • Franz Alt: Der Friedensaktivist und Buchautor ("Frieden ist noch immer möglich") wies auf den Friedensauftrag im deutschen Grundgesetz hin. Es dürfe nach dem Zweiten Weltkrieg "nie wieder Krieg von deutschem Boden ausgehen". Deswegen war Alt, der die Verwüstungen in Hitler-Deutschland als Kind selbst erlebt hatte, nicht ganz wohl bei der Frage, ob Deutschland Krieg können muss. "Wir müssen Frieden können", betonte der 84-Jährige. Die Politiker sollten mehr über Frieden nachdenken und weniger über Krieg.
  • Paul Ronzheimer: Der stellvertretende Chefredakteur der "Bild" bemängelte die fehlende gesellschaftliche Anerkennung der Soldaten in Deutschland im Vergleich zu den USA. Das zeigt sich in seinen Augen auch in der Unterstützung der Regierung Scholz für die Ukraine. "Man hat immer etwas ausgeschlossen, was man später mit viel Verspätung gemacht hat", sagte er über die Debatte zu Waffenlieferungen. Ronzheimer war als Kriegsreporter selbst an der Front von Bakhmut vor Ort. "Man sieht in leere Augen von Menschen, die wie Untote dort herumlaufen", schilderte er eindrücklich seine Erlebnisse vor Ort.
  • Ulrike Winkelmann: Für die Chefredakteurin der linken TAZ war und ist der Ukraine-Krieg eine bittere Lektion. Man müsse nach diesem Angriffskrieg zugeben, "dass wahrscheinlich zu wenig in die Bundeswehr investiert worden ist". Die Mehrheit ihrer Redaktion findet, wenn man A sagt, muss man auch B sagen, d. h. wenn Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Zeitenwende ausruft, muss auch die Bundeswehr dementsprechend ausgerüstet werden. Andere fürchten wiederum, dass wir dadurch in eine Kriegsspirale hineingeraten. "Die Risiken sollte man nicht weglächeln."
  • Mariya Maksymtsiv: Die in Deutschland lebende Ukrainerin bangt um ihren zehn Jahre jüngeren Bruder, der in Bakhmut an der Front kämpft. Alle Versuche, ihn davon abzuhalten, seien gescheitert. "Ich bin ganz schön wütend wegen diesem Krieg. Der muss nicht sein", sagte Maksymtsiv, die immer wieder mit den Emotionen zu kämpfen hatte. Die Debatte um Waffenlieferungen in Deutschland kritisierte sie. "Das dauert alles viel, viel zu lang".

Das war der Moment des Abends

Für Bundeswehr-Einsatzveteran Rüdiger Hesse steht außer Frage, dass die Bundeswehr trotz aller Ausstattungsmängel verteidigungsfähig ist. In den Auslandseinsätzen hätten er und seine Kameradinnen und Kameraden mit viel Improvisationstalent "bewiesen, dass wir es können", d. h. einen Krieg führen. Aber die entscheidende Frage ist für ihn. "Will die Gesellschaft das?" In Afghanistan sei es nicht gewollt gewesen.

Hesse, der den Verein "Combat Veteran" zur Unterstützung von Veteranen gegründet hat, beobachtet seit dem Ukraine-Krieg eine größere Wertschätzung für die Truppe. Trotzdem müsse noch viel getan werden, vor allem für Unterstützung von Kriegsopfern, deren Schäden nicht körperlich sichtbar sind. "Die psychisch Verwundeten stehen ständig in Erklärungsnotstand", kritisierte Hesse, der selbst an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Nach dem Motto: Nun reiß dich mal zusammen!

Das war das Rededuell des Abends

Franz Alt versuchte die Runde und die Zuschauer mit einem leidenschaftlichen Appell für eine schnelle Verhandlungslösung zu überzeugen. Er kritisierte, dass Gespräche mit Putin von vielen kategorisch ausgeschlossen werden. "Ich würde auch mit dem Teufel verhandeln", sagte Alt.
Da widersprach SPD-Mann Roth vehement. "Putin will nicht verhandeln". Er halte weiter daran fest, dass die Ukraine denazifiziert wird, demilitarisiert wird und dass der Landraub akzeptiert wird von der internationalen Staatengemeinschaft "Auf dieser Grundlage kann niemand verhandeln."

Das ist das Fazit

"Muss Deutschland Krieg können?" Die Antwort auf die Frage im Titel der Sendung fiel beim Montagstalk überraschend einhellig aus. Von Friedensaktivist Franz Alt mal abgesehen. Wenn sogar die Chefredakteurin der linksgerichteten TAZ die Aufrüstung der Bundeswehr unterstützt, dann muss etwas Gravierendes geschehen sein – wie der russische Angriffskrieg.

Doch auf dem Weg zu einer wirklich gut ausgerüsteten Armee ist es noch ein weiter Weg. "Unseren Arsch retten derzeit die Amerikaner", kommentierte Michael Roth die umfassende US-Unterstützung in der Ukraine. Aber auch nur, weil Präsident Biden sehr wohlwollend auf Europa blicke, so Roth. Das könnte sich unter einem neuen republikanischen Präsidenten schnell ändern. Donald Trump hatte sich immer wieder abfällig über die Nato geäußert und sogar mit einem Austritt gedroht.

Schließlich diskutierte die Runde sogar darüber, ob ein Feiertag abgeschafft werden soll, um mit den Mehreinnahmen (rund 3,5 Milliarden Euro) die Bundeswehr zu unterstützen. Michael Roth war klar dagegen, weil nicht nur die Arbeitnehmer zur Kasse gebeten werden sollten, sondern die Kosten auf breite Schultern verteilt werden müssen.

Und die Perspektiven im Ukraine-Krieg? Paul Ronzheimer geht davon aus, dass das Land nach dem Beginn einer neuen Offensive ab dem Frühjahr Gebiete im Osten und Süden zurückerobern kann. Dann könnten die Amerikaner die Lage im Herbst neu bewerten, ob es sich lohnt, den Krieg weiter zu unterstützen oder Friedensverhandlungen forciert werden müssen. Die Lieferung von Jets ist für den Bild-Reporter kein Tabu, vor allem komme es aber auf mehr Munition an.

Michael Roth nannte es eine "theoretische Diskussion", dass Deutschland Kampfjets liefern könnte, weil Deutschland schlichtweg keine Kampfjets liefern kann.
Mariya Maksymtsiv wünscht sich weiter eine starke militärische Unterstützung für ihr Land, weil "nie im Leben" die Menschen eine Verhandlungslösung befürworten, bei der Putin 20 Prozent des Landes bekommen würde. Und dann hatte sie noch einen ganz privaten Wunsch. Wenn der Krieg vorbei wäre, würde sie ihren Bruder gern nach Deutschland einladen und mit ihm einen Kaffee zu trinken. Man kann ihr und den Millionen Landsleuten nur wünschen, dass der Zeitpunkt nicht mehr lange auf sich warten lässt.

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