Einen Tag nach der Todesfahrt auf dem Berliner Weihnachtsmarkt diskutierte Sandra Maischberger mir ihren Gästen über Anschläge, Angst und politische Konsequenzen. Ein Terrorexperte sprach von einem "11. September für Deutschland" - und wunderte sich über die laschen Sicherheitsvorkehrungen in Berlin.
Länder wie die USA und Israel haben ihre Bürger vor Besuchen deutscher Weihnachtsmärkte gewarnt. Berechtigterweise, wie wir seit Montagabend wissen. 12 Menschen starben und rund 50 wurden verletzt, als ein noch unbekannter Täter mit einem Lkw über den beliebten Markt an der Gedächtnis-Kirche raste.
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Müssen wir uns an eine neue Terrorbedrohung gewöhnen? Brauchen wir eine stärkere Polizeipräsenz? Befindet sich Deutschland gar im Krieg?
"11. September für Deutschland"
Ein ungewöhnlicher Start für eine Talkrunde: Gleich am Anfang stand eine Richtigstellung. Wenige Stunden zuvor hatte Klaus Bouillon gesagt: "Wir müssen konstatieren: Wir sind in einem Kriegszustand, obwohl das einige Leute, die immer nur das Gute sehen wollen, nicht sehen möchten." Auf Nachfrage Maischbergers gab der Vorsitzende der Innenministerkonferenz der Länder zu, das Wort Krieg sei "zu hart gewesen".
Göring-Eckhardt kritisierte den CDU-Mann für sein Hin und Her. "Es geht um Besonnenheit. Wir sollten keine Dinge sagen, die wir abends schon zurücknehmen müssen", sagte sie. "Das, was wir sehen, ist kein wirklicher Krieg, auch wenn es schrecklich ist", meinte Stefan Aust. Es sei vielmehr Teil eines "großen internationalen Bürgerkrieges".
Terrorexperte Shlomo Shpiro aus Tel Aviv bezeichnete den Anschlag als "11. September für Deutschland", weil der Terror in Berlin, im Zentrum Deutschlands angekommen sei. Er sagte politische und gesellschaftliche Veränderungen voraus. Aber mit welchen konkreten Konsequenzen?
Polizei: "IT wie im 18. Jahrhundert"
Die Frage versuchte Bouillon zu beantworten. Er sprach sich für den von einem Unionspolitiker erwarteten Forderungskatalog aus: Verstärkung der Polizei, neue Waffen, mehr Videoüberwachung, den Einsatz der Bundeswehr im Innern, bessere Koordinierung und Vernetzung der Sicherheitsbehörden in den Ländern und in Europa sowie stärkere Überwachung von sozialen Medien.
"Ich war erschrocken. Ich konnte mir das nicht vorstellen, aber was die IT betrifft, arbeiten wir teilweise wie im 18. Jahrhundert", stellte der saarländische Innenminister fest. Die Sicherheitsbehörden seien mitunter "hilflos".
Mehr Sicherheit und weniger Freiheit? Oder weniger Sicherheit und mehr Freiheit? Wie so oft nach verheerenden Anschlägen kreiste die Debatte um diese Fragen.
Göring-Eckhardt sprach sich gegen Massenüberwachung und einen Hochsicherheitsstaat aus, aber für die bessere Überwachung von Menschen, die "wirklich etwas planen". Dafür sei mehr Polizei nötig und eine bessere Vernetzung der Ermittler. Ihr salomonischer Slogan: "Menschlichkeit und Offenheit bewahren und gleichzeitig für Sicherheit sorgen."
Shpiro, der den Ort des Anschlages zehn Minuten vor der Tat verlassen hatte und sich über die nicht vorhandenen Sicherheitsvorkehrungen wunderte, sagte das noch deutlicher. "Man kann Menschenrechte behalten und die innere Sicherheit verbessern." Dafür müsse Sicherheit aber zur Priorität gemacht werden, anstatt bei der Polizei zu sparen.
Die Gefahrenlage sei hierzulande noch nicht so schlimm wie in seiner Heimat, aber es "wird in die Richtung wie in Israel gehen, was die Sicherheit betrifft", erklärte der Terrorexperte. Eine düstere Prognose. In dem hoch militarisierten Mittelmeerstaat gehören Anschläge praktisch zum Alltag.
Söder: Brauchen grundsätzliche Überprüfung der Flüchtlingspolitik
Schließlich erhitzte noch die Frage die Gemüter, ob man den Anschlag von Berlin mit Kritik an der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel verknüpfen sollte. Zunächst galt ein pakistanischer Flüchtling als Tatverdächtiger, inzwischen ist der Mann wieder frei.
Der oder die Täter befinden sich auf der Flucht. Das hielten CSU und AfD nicht davon ab, die Tat umgehend politisch zu instrumentalisieren. Der zugeschaltete bayerische Finanzminister Markus Söder betonte: "Es braucht eine grundsätzliche Überprüfung der Flüchtlingspolitik." Die Leute würden sich fragen: Wo ist der Staat? Ist der Staat noch stark?
Dem entgegnete Göring-Eckhardt kopfschüttelnd: "Das hat nichts mit Besonnenheit zu tun. Wir sollten uns nicht die Freiheit von Terroristen nehmen lassen und nicht die Menschlichkeit von Populisten nehmen lassen."
Selbst Söders Unions-Kollege Bouillon plädierte dafür, zunächst einmal die Ermittlungsergebnisse abzuwarten. Er nannte dessen Einlassungen "unglücklich". Zumindest Aust stimmte dem CSU-Mann indirekt zu: Die Flüchtlingspolitik habe zur "Destabilisierung der Gesellschaft geführt".
Der frühere Spiegel-Chefredakteur formulierte auch das Fazit der sachlich gebliebenen Diskussion. "Die RAF gab es 28 Jahre und man kannte diese Leute. Jetzt kommen die ganzen Leute aus aller Herren Länder, die man überhaupt nicht kennt, wo man nicht weiß, mit welchen Gruppen sie zusammenarbeiten."
Man müsse sich auf eine lange Zeit einstellen, so Aust, in der "solche Dinge passieren können". Mit "solche Dinge" meinte er: Terroranschläge in Deutschland.
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