Mitte Mai soll das Kabinett die Krankenhausreform auf den Weg bringen. Länder und Kassen drohen mit Klagen gegen das Prestigeprojekt von Karl Lauterbach. Wo steht die größte Gesundheitsreform der vergangenen Jahre?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Busch sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Mitte April hat sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit seinen Kolleginnen und Kollegen der Bundesländer ausgetauscht. Man habe "sehr intensiv diskutiert", sagte er danach auf einer Pressekonferenz. Im Polit-Deutsch heißt das normalerweise so viel wie: Es hat ordentlich gekracht.

Mehr aktuelle News

Der Anlass ist die Krankenhausreform: Lauterbachs wohl wichtigstes Projekt, sein mögliches Erbe als Minister. Dem SPD-Politiker selbst ist kein Wort zu groß: Von einer Revolution hat er gesprochen, vom größten Gesetz zur Veränderung des Gesundheitssystems der vergangenen Jahre. Für Lauterbach steht fest: "Bund und Länder sind zum Erfolg verdammt." Die Reform sei ohne Alternative.

Aber kommt sie wirklich? In der kommenden Woche soll das Bundeskabinett das Projekt in den Gesetzgebungsprozess schicken. Um den Prozess erfolgreich abzuschließen, muss Lauterbach noch Widerstände überwinden.

Der Hintergrund: Viele Kliniken kämpfen ums Überleben

Dass in der Krankenhauslandschaft dringend etwas passieren muss, ist unstrittig. Die Patientenzahlen sind in der Corona-Pandemie eingebrochen und auch danach unter dem Vor-Pandemie-Niveau geblieben. Allerdings sind die Kliniken auf möglichst viele Behandlungen angewiesen. Denn sie finanzieren sich bisher weitgehend über Fallpauschalen – also über Vergütungen der Krankenkassen pro Behandlung.

Diese Situation hat zwei Folgen: Viele Kliniken kämpfen ums wirtschaftliche Überleben, einige haben bereits geschlossen. Oder sie nehmen aus wirtschaftlicher Not medizinische Eingriffe vor, für die sie eigentlich nicht ausreichend ausgestattet sind. Ein Beispiel: Die Hälfte der Kliniken, die heutzutage Wirbelsäulen-Operationen anbieten, haben keine neurologische Abteilung. So ist es aus dem Bundesgesundheitsministerium zu hören.

Deutschland habe eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt bei einer eher mittelmäßigen Qualität, klagt Lauterbach seit Langem.

Die Krankenhausreform: neue Finanzierung, stärkere Spezialisierung

Die geplante Krankenhausreform besteht daher vereinfacht aus zwei Teilen:

  • Die Fallpauschalen sollen nur noch 40 Prozent der Finanzierung ausmachen. 60 Prozent sollen die Krankenkassen künftig über eine Grundfinanzierung decken. Dadurch sollen die Kliniken wirtschaftlich weniger abhängig sein von der Zahl der Behandlungen. Das soll gerade die Versorgung im ländlichen Raum sicherstellen.
  • Gleichzeitig sollen sich die Kliniken stärker spezialisieren. Die Bundesländer sollen den einzelnen Häusern sogenannte Leistungsgruppen zuweisen. Wirbelsäulen-Operationen zum Beispiel sollen dann nur noch Kliniken anbieten, die dafür bestimmte Standards erfüllen. Vor allem in Städten mit vielen Krankenhäusern werden Standorte daher Abteilungen verlieren oder in manchen Fällen ganz schließen müssen.

Die Klagen: Warum Länder und Krankenkassen sauer sind

Doch so groß die Reform ist, so groß sind auch die Widerstände. Der Bund ist zwar für die Finanzierung der Krankenhäuser zuständig. Die Krankenhausplanung ist aber Sache der Länder. Und von denen wollen sich einige nicht von Berlin in ihre Angelegenheit reinreden lassen.

"Die Planungen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach würden in ihrer jetzigen Form bewährte und für die Versorgung der Menschen in diesem Land dringend notwendige Strukturen zerstören", sagt Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) unserer Redaktion. Ein "starres, am grünen Tisch in Berlin festgelegtes Korsett" werde den unterschiedlichen Versorgungslandschaften in Stadtstaaten und Flächenländern nicht gerecht. Die Leidtragenden seien Patientinnen und Patienten vor allem im ländlichen Raum in Flächenländern wie Bayern. "Das wollen wir verhindern", so Gerlach.

Die Bundesregierung will das "Krankenhausversorgungsverbesserungesetz" (so der umständliche offizielle Name der Reform) daher so formulieren, dass der Bundesrat als Vertretung der Bundesländer ihm gar nicht erst zustimmen muss. Mehrere Länder halten es aber für verfassungswidrig, wenn das Gesetz auch ohne Zustimmung des Bundesrats verabschiedet wird.

Bayern hat bereits mit einer Klage gedroht. Judith Gerlach pocht auf die Planungshoheit der Länder. "Das bedeutet, dass die Länder selbst über Ausnahmen von auf Bundesebene vorgegebenen Strukturanforderungen entscheiden können müssen, um die Versorgung ihrer Bevölkerung sicherzustellen."

Lauterbach gibt sich bisher unbeeindruckt: Die eigenen Verfassungsexperten seien versiert. Man werde das Gesetz so gestalten, dass es keine Zustimmung im Bundesrat braucht.

Heike Baehrens, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, sagt unserer Redaktion: "In den Gesetzentwurf sind viele Anliegen der Länder bereits eingeflossen." Rechtsverordnungen zu Details der Reform könne der Bund zudem nur zusammen mit den Ländern beschließen. "Sie werden also auch in den weiteren Prozess eingebunden."

Allerdings droht noch eine andere Klage. Wenn sich Kliniken verstärkt spezialisieren, werden Umbauten nötig sein. Die Kosten will Lauterbach über einen 50 Milliarden Euro schweren "Transformationsfonds" decken. Die eine Hälfte sollen die Länder beisteuern, die andere Hälfte die Krankenkassen – und die Kassen wollen diese Mehrkosten nicht tragen. Die Chefin des Verbands der Ersatzkassen, Ulrike Elsner, sagte der Ärzte-Zeitung, man denke über eine Klage gegen den Fonds nach.

Kritik von Patientenschützern

Auch Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, sieht die Reformpläne kritisch. "Der Bundesgesundheitsminister verfolgt bei der Krankenhausreform einen straffen Zeitplan, in dem die Patienten nicht vorkommen", sagt er unserer Redaktion.

"Ohne Zweifel braucht die stationäre Versorgung hierzulande eine Reform, aber nun mal nicht am Patienten vorbei."

Eugen Brysch, Deutsche Stiftung Patientenschutz

Aus seiner Sicht geht Lauterbach die wirklich wichtigen Fragen nicht an. Immer noch fehle ein klinisches Fall-Management. "Denn Patienten und ihre Angehörigen leiden in Krankenhäusern täglich unter fehlenden Ansprechpartnern, Verschiebungen medizinischer Untersuchungen, langen Wartezeiten und Terminabbrüchen." Dieses Missmanagement lasse der Minister bei seinem aktuellen Plan links liegen, findet Brysch.

"Ohne Zweifel braucht die stationäre Versorgung hierzulande eine Reform, aber nun mal nicht am Patienten vorbei", sagt er. Während städtische Ballungszentren überversorgt seien, blute der ländliche Raum aus. "Um diese gefährliche Entwicklung zu stoppen, muss zumindest die klinische Grundversorgung in strukturarmen Gebieten gesichert sein."

"Den kalten Strukturwandel wollen wir mit der Reform beenden."

Heike Baehrens, SPD-Fraktion

SPD-Politikerin Baehrens sieht die Reform dagegen auch als Hilfe für ländliche Gebiete. Schon jetzt müssten viele Krankenhäuser aufgeben – aus wirtschaftlichen Gründen, aber auch weil ihnen die Fachkräfte fehlen. "Diesen kalten Strukturwandel wollen wir mit der Reform beenden", sagt sie.

In ihrem Wahlkreis Göppingen etwa habe in den vergangenen Jahren schon einer von zwei Krankenhaus-Standorten schließen müssen. Baehrens glaubt: "Mit der Reform hätte er vielleicht zumindest für die ambulant-stationäre Grundversorgung erhalten bleiben können."

Lesen Sie auch

Die Ampel steht geschlossen – ausnahmsweise

Wenn das Kabinett am 15. Mai grünes Licht gibt, beginnt die Beratung der Reform im Parlament. Das Ziel der Koalition lautet, das Verfahren in diesem Jahr abzuschließen.

Über eines muss sich der Gesundheitsminister wohl nur wenige Sorgen machen: Die oft zerstrittene Ampelkoalition steht bisher geschlossen hinter dem Projekt. Man sei sich über Anliegen und Ziele sehr einig, sagt Heike Baehrens. "Ich setze darauf, dass das gute Miteinander auch das parlamentarische Verfahren tragen wird."

Verwendete Quellen

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.