Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu wird ausgetauscht. Der 68-Jährige wird Sekretär des nationalen Sicherheitsrates, auf ihn folgt Andrej Beloussow. Dass Putin mit ihm einen Wirtschaftsexperten an die Spitze des Verteidigungsministeriums beruft, sendet aus Sicht von Beobachtern eine klare Botschaft.

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Offiziell wurde kein Grund genannt: Inmitten des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine verliert Verteidigungsminister Sergei Schoigu sein Amt als Verteidigungsminister. Es übernimmt der bisherige Vize-Regierungschef Andrej Beloussow. Schoigu selbst soll fortan Sekretär des russischen Sicherheitsrates werden.

Die Personalie ist aus Sicht von Beobachtern ein klares Zeichen dafür, dass sich Russland weiter auf einen langandauernden Krieg einrichtet. Beloussow ist Wirtschaftsexperte und hatte Putin in der Vergangenheit in Wirtschaftsfragen beraten.

Militär und Wirtschaft verzahnen

Laut Kreml-Sprecher Peskow sei die Entscheidung, den Wirtschaftsexperten an die Spitze des Verteidigungsministeriums zu setzen, gefallen, weil das Ministerium offen für Innovationen sein müsse. Der Nachrichtenagentur "Tass" zufolge, soll Beloussow auch neue Technologien einführen.

"Seine Ernennung ist ein Signal, dass Russland sich auf eine längerfristige Konfrontation in der Ukraine und darüber hinaus vorbereitet. Ein Ziel wird sicher darin liegen, Militär und Wirtschaft noch enger miteinander zu verzahnen", sagt Experte Tobias Fella.

Gesichtswahrende Lösung

Schoigu sei bereits seit längerer Zeit angeschlagen gewesen. "Ihm wurde mehrmals militärische Inkompetenz vorgeworfen – etwa durch Prigoschin", erinnert Fella. Schoigu gilt als enger Vertrauter Putins und war seit 2012 Verteidigungsminister. Auch als die Wagner-Truppen im Juni 2023 mit einem Aufstand scheiterten, hielt Putin weiter an Schoigu fest. Der neue Posten im Sicherheitsrat wird von Beobachtern als gesichtswahrende Lösung gewertet.

"In Schoigus Amtszeit haben sich Strukturen wie die Gruppe Wagner gebildet. Für seinen Nachfolger wird es eine Herausforderung sein, ihre Eingliederung in die russischen Streitkräfte zu garantieren“, sagt Fella. Er vermutet, dass Beloussow auch mit der Vorbereitung und der Durchführung zukünftiger Mobilisierungen betraut werden könnte.

Klare Botschaft aus Moskau

"Moskau will zeigen, dass es bereit und fähig ist, sich in der Ukraine auch gegen Widerstände des Westens durchzusetzen. Die Botschaft ist klar: Im Kreml sieht man derzeit wenig Aussicht auf einen Waffenstillstand in einem langen andauernden Krieg", sagt er.

Moskau wolle dem Westen das Gefühl geben, dass es nahezu jede Waffenlieferungen an die Ukraine kontern kann. "Das Signal: Während der Westen sich von einem Verhandlungspaket zum nächsten hangelt, planen wir auf die lange Sicht", so Fella. Russland wolle den Krieg durch eine Überproduktion im Vergleich zum Westen gewinnen.

Abnutzung des Westens

"Moskau setzt darauf, dass es früher oder später zu innenpolitischen Veränderungen im Westen kommen wird und glaubt, die Ukraine und die westliche Unterstützungsbereitschaft abnutzen zu können", analysiert der Experte. Man hoffe darauf, dass der Westen zu dem Schluss kommt, dass man Moskau stärker entgegenkommen müsse.

Auch Militärexperte Gustav Gressel sagt: "Der Krieg geht in voller Härte weiter." Die allgemeine Erwartungshaltung sei, dass Beloussow die russische Kriegswirtschaft auf Vordermann bringe. "Zum ersten kann die Rüstungsindustrie lange nicht den Bedarf aus Neuproduktion decken, den die Armee gerade hat.

Gute Kontakte nach China

Man greift auf Depots zurück, die die Sowjetunion über Jahrzehnte aufgebaut hat. Ab 2026 werden diese erschöpft", erklärt er. Dann müsste Russland seine militärischen Ambitionen zurückfahren, oder China springe mit Direktlieferungen ein.

Beloussow habe gute Kontakte nach China, welches zum wichtigsten und zentralen Versorgungsdrehpunkt der russischen Kriegswirtschaft geworden sei. "90 Prozent aller Bauteile und Materialien, die aus dem Westen in die russische Kriegswirtschaft fließen, fließen über China oder Hongkong dort hin", sagt Gressel.

Russland nicht überbewerten

China sei der wichtigste Lieferant von chemischen Vorprodukten für die Munitionsproduktion sowie Lieferant von Maschinenbau und Messtechnik, um westliche Technik zu ersetzen. "Die Rüstungsindustrie ist zu einem wichtigen innenpolitischen Faktor geworden. ‚Zivile‘ Nutzgüterindustrie gibt es kaum mehr", sagt Gressel.

Fella rät deshalb dazu, Russland nicht überzubewerten. "Man sollte bedenken, dass der Kreml aktiv versucht, das Bild eines schier übermächtigen Russlands zu zeichnen. Dabei ist auch der Westen aktiv, indem er – wenn auch sicher nicht fehlerlos – versucht, die Unterstützung der Ukraine auf sichere Beine zu stellen. "Denn eine Normalisierung der Beziehung oder Abrüstung sind ferne Szenarien. Es geht jetzt um Risikomanagement", betont er.

Über die Experten:

  • Dr. Tobias Fella ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedens- und Sicherheitsforschung an der Universität Hamburg (IFSH). Er forscht zu den Beziehungen zwischen den USA, Russland und China.
  • Gustav Gressel ist Experte für Sicherheitspolitik, Militärstrategien und internationale Beziehungen. Er absolvierte eine Offiziersausbildung und studierte Politikwissenschaft an der Universität Salzburg. Schwerpunktmäßig befasst sich Gressel mit Osteuropa, Russland und der Außenpolitik bei Großmächten.

Verwendete Quellen:

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