In der Schweiz suchen die Ukraine und andere Staaten an diesem Wochenende einen Weg zum Frieden allerdings ohne Russland. Die Friedensforscherin Nicole Deitelhoff erklärt, was von der Konferenz zu erwarten ist.

Ein Interview

60 Hektar, ein großer Hotelkomplex und freier Blick über den Vierwaldstätter See und die Alpen: Der Berg Bürgenstock in der Schweiz ist am Wochenende Schauplatz für eine Friedenskonferenz. Politikerinnen und Politiker sollen dort beraten, wie ein Weg zu einem Frieden in der Ukraine aussehen kann. Der Angreifer Russland ist allerdings nicht eingeladen.

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Nicole Deitelhoff ist Professorin an der Universität Frankfurt und Direktorin des Leibniz-Instituts für Friedens- und Konfliktforschung. Im Interview mit unserer Redaktion spricht die Politikwissenschaftlerin über ein positives Signal der Konferenz und den langen Weg zu Friedensverhandlungen.

Frau Deitelhoff, was nützt eine Friedenskonferenz, zu der eine von zwei Kriegsparteien gar nicht eingeladen ist?

Nicole Deitelhoff: Man muss sich klar darüber werden, was diese Konferenz eigentlich erreichen soll. Es geht in der Schweiz nicht darum, Friedensverhandlungen einzuleiten. Es geht darum, internationale Unterstützung aus allen Weltregionen für einen Friedensprozess zu sammeln.

Ist diese Unterstützung wirklich zu erwarten? Einige Staaten haben die Einladung ausgeschlagen – oder schicken nur rangniedere Vertreter in die Schweiz.

Sehr positiv ist, dass sich Indien entschieden hat, an der Bürgenstock-Konferenz teilzunehmen. Indien ist ein einflussreicher Staat in der Gruppe der 20 großen Industrie- und Schwellenländer, aber auch im Brics-Zusammenschluss mit Brasilien, Russland, China und Südafrika. Bisher hat sich die indische Regierung in diesem Konflikt sehr zurückgehalten, um die Beziehungen zu Russland nicht zu gefährden. Die Teilnahme Indiens macht aber deutlich, dass man dort nicht bereit ist, eine Verletzung territorialer Integrität einfach hinzunehmen.

China dagegen hat die Einladung offenbar ausgeschlagen, weil Russland nicht eingeladen ist.

Das ist wirklich ein Dämpfer. China signalisiert damit deutlich, wie eng es an der Seite Russlands steht. Dabei sieht sich Peking angeblich in einer Vermittlerrolle und wollte die eigene Friedensinitiative noch einmal stärken. Davon war aber seit längerem nichts mehr zu hören. Wenn China nicht einmal bereit ist, an der Konferenz teilzunehmen, verringert das die Glaubwürdigkeit als Vermittler.

Welche Rolle kann die Gastgeberin spielen, also die auf Neutralität bedachte Schweiz?

Man muss sich bewusst machen, warum die Schweiz diese Konferenz ausrichtet. Sie will damit zumindest auch dem internationalen Druck auf sich etwas entgegensetzen. Die Schweiz wurde in den vergangenen zwei Jahren enorm kritisiert. Sie hat sich Sanktionen westlicher Staaten gegen Russland zunächst nicht angeschlossen, hat sich lange geweigert, russische Vermögenswerte einzufrieren. Sie gibt keine Waffenbestände an die Staaten der Europäischen Union weiter. Die Konferenz ist für die Schweiz deswegen auch ein Befreiungsschlag.

Inwiefern?

Man will zeigen: Wir haben andere Ressourcen und Expertise – das ist unser Beitrag in diesem Konflikt. Die Schweizer Regierung ist also auch darauf angewiesen, dass diese Konferenz etwas auf den Weg bringt. Am Ende geht es darum, einen Fahrplan zu entwickeln, wie es weitergehen kann.

"Dieser Prozess wird nicht in wenigen Monaten beendet sein. Er wird eher Jahre kosten."

Nicole Deitelhoff

Die Konferenz sucht also einen Weg, der irgendwann zu Friedensverhandlungen führen kann.

Ja, in gewisser Weise. Friedensverhandlungen liegen fast immer am Ende eines sehr langen Weges. Da steht man ganz am Anfang. Es geht jetzt zunächst darum, die Probleme zu finden, die relativ einfach lösbar sind. Deswegen stehen in Bürgenstock auch nur wenige Punkte auf der Tagesordnung, bei denen es viele gemeinsame Interessen gibt. Etwa die Ernährungssicherheit und die freie Schifffahrt, also nicht der Kern des Konflikts. Wenn diese Punkte gelöst werden, kann das mehr Zutrauen für einen Friedensprozess und die großen Fragen schaffen.

Zurzeit wollen beide Kriegsparteien die großen Fragen noch nicht angehen. Russland bombardiert unerbittlich die Millionenstadt Charkiw. Und auch die Ukraine scheint nicht vom Maximalziel abzurücken, alle besetzten Gebiete zu befreien. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat am Dienstag im Bundestag gesagt: "Wir werden diesen Krieg zu unseren Bedingungen beenden."

Selenskyj ist trotzdem bereit, in einen Friedensprozess zu investieren, das ist ein Unterschied. Ansonsten ist es richtig: Beide Seiten vertreten Maximalpositionen. Das ist allerdings nicht überraschend. Man geht nicht in Verhandlungen, indem man öffentlich die eigene Kompromisslinie aufzeigt. Für beide Seiten ist es wichtig, dass solche Linien vertraulich bleiben. Man muss eben sehen: Beide Regierungen haben sich innenpolitisch enorm an einen Sieg gebunden. Wenn sie zu früh von diesem Maximalziel abrücken, würden sie Friedensverhandlungen vielleicht gar nicht mehr erleben – weil sie vorher gestürzt werden.

Das klingt nach einer festgefahrenen Situation. Haben Sie als Friedensforscherin noch die Hoffnung, dass wir in den nächsten Monaten oder Jahren ein Ende dieses Krieges erleben?

In den nächsten Jahren ja – da habe ich Hoffnung. Alle Konflikte enden irgendwann, und die meisten enden tatsächlich mit einer Verhandlungslösung. Allerdings ist die Verhandlungslösung in der Regel nicht das erste Ende, sondern eher das dritte oder vierte Ende eines Konflikts. Das heißt: Wir müssen damit rechnen, dass viele Initiativen scheitern werden. Trotzdem sind sie den Versuch wert. Steter Tropfen höhlt auch hier den Stein. Dieser Prozess wird nicht in wenigen Monaten beendet sein. Er wird eher Jahre kosten.

Über die Gesprächspartnerin

  • Prof. Dr. Nicole Deitelhoff hat Politik-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften in Darmstadt und Buffalo (USA) studiert. Seit 2016 ist sie Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Leibniz-Instituts für Friedens- und Konfliktforschung. 2023 erhielt sie eine Loewe-Spitzen-Professur des Landes Hessen an der Goethe-Universität Frankfurt. Sie beschäftigt sich unter anderem mit Normen und Institutionen der internationalen Beziehungen und Herrschaft und Widerstand in der globalen Politik.
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