• Wladimir Putin traut nur wenigen Leuten - und er gehört dazu: Der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu.
  • Schoigu gilt als Allzweckwaffe des russischen Präsidenten. Beim russischen Angriffskrieg auf die Ukraine spielt er eine zentrale Rolle.
  • Der russische Verteidigungsminister und Putin-Vertraute im Portrait.
Ein Porträt
Dieser Text enthält neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Matern sowie ggf. von Expertinnen oder Experten. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hält die Weltgemeinschaft in Atem. Dabei wird die russische Armee nach Ankündigung aus dem Kreml so lange weiter vorrücken, bis alle Ziele erreicht seien. Dazu gehörten nach Aussagen des russischen Verteidigungsministers Sergei Schoigu laut der russischen Nachrichtenagentur TASS die "Entmilitarisierung" der Ukraine sowie die "Entnazifizierung" der Führung der Ukraine.

Mehr News zum Krieg in der Ukraine

Während Putin laut einer Mitteilung des Kremls in einem Telefonat mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Anerkennung der von Russland eingenommenen Halbinsel Krim fordert, spricht Schoigu laut TASS davon, Russland vor der militärischen Bedrohung westlicher Länder schützen zu wollen.

Schoigu wirft Ukraine vor, Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen

Der Putin-Vertraute geht sogar noch weiter und wirft der Ukraine vor, Raketensysteme und Kanonen in der Nähe von Wohngebäuden, Schulen und Kindergärten aufgestellt zu haben und dadurch ukrainische Zivilisten und Kinder zu gefährden. "Während militärischer Zusammenstöße zögert die ukrainische Seite nicht, Zivilisten als menschliches Schutzschild zu missbrauchen", behauptet Schoigu.

Dabei hat es gerade Russland offenbar auf Zivilisten abgesehen. Der Russland-Experte Gustav Gressel erklärte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland dazu, Russland wolle mit "gezieltem Beschuss von Wohnsiedlungen die Moral der Bevölkerung und der darin liegenden Truppen schwächen." Berichte von zivilen Opfern häufen sich, wie der von verschiedenen internationalen Medien aufgegriffene und zuerst von der Associated Press berichtete Fall eines sechs Jahre alten, durch russisches Bombardement getöteten Mädchens in Mariupol.

Schoigu rechtfertigt russischen Angriffskrieg: Ukraine sei durch Westen instrumentalisiert

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba veröffentlichte auf Twitter bereits am Samstag (26.02.2022), nur zwei Tage nach Kriegsbeginn, ein Foto eines getroffenen Hochhauses und schrieb dazu: "Kiew, unsere schöne, friedliche Stadt, hat eine weitere Nacht unter Beschuss von russischen Bodentruppen und Raketen überlebt." Am Mittwoch (02.03.2022) forderte die Ukraine Russland dann zu einer Feuerpause in der Ostukraine auf, um Zivilisten in Sicherheit bringen zu können.

Die russische Seite solle "ihre Feindseligkeiten in Charkiw und Sumy unverzüglich einstellen, damit wir die Evakuierung der Zivilbevölkerung, einschließlich ausländischer Studenten, in sicherere ukrainische Städte arrangieren können", so eine Mitteilung des ukrainischen Außenministeriums am Mittwochabend, die auch auf Twitter veröffentlicht wurde.

Es ist nicht zu erwarten, dass sich Sergei Schoigu von diesen Worten besonders beeindruckt zeigen wird. Der 66-Jährige beherrscht die Propaganda-Sprache seines Freundes Wladimir Putin perfekt. So behauptete Schoigu über den russischen Angriffskrieg, man wolle die Ukraine gar nicht besetzen. Diese sei durch den Westen instrumentalisiert, um Moskau zu schwächen.

Russischer Verteidigungsminister: Annexion der Krim als Akt der "Friedenserhaltung“

Der 66-jährige Schoigu gehört zum engsten Kreis rund um Putin. Der Verteidigungsminister zeichnet für militärische Erfolge verantwortlich, die Putin im Kreml gerne für sich in Anspruch nimmt. Schon bei der Besetzung und Annexion der Krim im Jahr 2014 stand Schoigu als Verteidigungsminister im Fokus, wenngleich der Krieg im Donbass für ihn damals nicht komplett nach Plan verlief.

Zu der Zeit kursierten Gerüchte, wonach es seinen Soldaten verboten worden sei, Bilder vom Krieg in den sozialen Medien zu posten, um schlechte Publicity zu vermeiden. Schoigu war dann auch der erste russische Offizielle, der auf die besetzte Krim fuhr. Den Bruch des Völkerrechts, der mit der Annexion einherging, nannte Schoigu einen Akt der "Friedenserhaltung". Für seine dortigen militärischen Leistungen erhielt er eine Verdienst-Medaille.

"Person des Jahres" in Russland: Schoigu ist mit Assad im Austausch

Nach dem Militäreinsatz auf der Krim zeichnete Schoigu auch für Russlands militärische Aktivitäten in Syrien verantwortlich. Mitte Februar traf er sich dort laut Associated Press mit dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, um mit ihm über die weitere militärisch-technische Zusammenarbeit zu sprechen. Schoigu überwachte in Syrien Übungen der russischen Marine, die den größten Einsatz im Mittelmeer seit Ende des Kalten Krieges darstellten.

Nicht nur in Syrien und der Ukraine ist Schoigu aktiv. Er gilt auch als Stratege hinter Einsätzen in Georgien, Libyen, Armenien und Kasachstan. In Russland wurde er mehrfach als "Person des Jahres" ausgezeichnet.

Schoigu war zunächst Gouverneur von Moskau und trat 2012 als Verteidigungsminister die Nachfolge von Anatoli Serdjukow an. Zu dem Zeitpunkt befand sich die russische Armee mitten in einer ihrer größten Umbrüche. Seither ist Schoigu für die Modernisierung des Militärs wesentlich verantwortlich und gründete darüber hinaus die Jugendarmee, um junge Menschen für die Armee zu begeistern und den militär-patriotischen Geist in die Jugend zu tragen.

Schoigu bekämpft Nawalny und modernisiert die russische Armee

Wichtige Personen des Militärs waren bei Ernennung Schoigus positiv gestimmt. Und sie sollten Recht behalten. Kurz vor Weihnachten 2021 verkündete Schoigu, dass über 70 Prozent der Militär-Ausrüstung modernisiert seien, bei den Atomstreitkräften sei man sogar bei fast 90 Prozent angelangt.

Für Putin ist Schoigu nicht nur aufgrund der militärischen und außenpolitischen Erfolge einer der wichtigsten Männer. Auch innenpolitisch hat der Verteidigungsminister seine Finger im Spiel. So gilt er als einer der wichtigsten Drahtzieher bei der Bekämpfung des Oppositionellen und wohl bekanntesten Regimegegners Alexey Nawalny. Nawalny hatte auch die korrupten Machenschaften Schoigus rund um eine über 20 Millionen Euro teure Immobilie offengelegt.

Perfekte Inszenierung: Gemeinsam mit Putin beim Jagen in Sibirien

So zupackend und effizient Schoigu gesehen wird, so leise, introvertiert und wortkarg ist sein Auftreten zumeist. Lächeln sieht man den Verteidigungsminister in seinem öffentlichen Amt jedenfalls kaum. Dafür kursieren Fotos von ihm und Putin beim gemeinsamen Urlaub in der Taiga. Die beiden Männer inszenieren sich dann beim Motorboot fahren oder beim Wandern in der Natur.

Die Bilder Putins beim Jagen mit freiem Oberkörper sind mittlerweile weltweit bekannt. Solche Inszenierungen, zusammen mit Schoigu, entstanden in den letzten Jahren oft beim gemeinsamen Sommerurlaub in der Heimat Schoigus, im südsibirischen Tuwa. In dieser Republik an der Grenze zur Mongolei wurde Schoigu in der 300.000-Einwohner-Stadt Tschadan im Mai 1955 geboren.

Schoigu: Vom Leiter des Katastrophenschutzamtes zum Verteidigungsminister

Sein Vater gehörte der nationalen tuwinischen Minderheit an und arbeitete sich in der Politik in ein hohes Amt empor, seine Mutter war Agraringenieurin. Schoigu studierte in den Siebzigern Ingenieurswissenschaften in Krasnojarsk, Sibirien. Nach seinem Abschluss arbeitete er zunächst in der Schwerindustrie für verschiedene Baukonzerne, bevor der dann im Jahr 1990 zum Komitee für Architektur und Bauwesen nach Moskau kam.

Beim berühmten August-Putsch gegen Michail Gorbatschow im Sommer 1991 unterstützte Schoigu den späteren ersten demokratisch gewählten Präsidenten Russlands, Boris Jelzin. Dieser zeigte sich wenige Jahre später erkenntlich und ernannte Schoigu zum Leiter des Katastrophenschutzkomitees. Bis er im Mai 2012 Verteidigungsminister wurde, machte Schoigu sich einen Namen als Organisationstalent, das stets ruhig und abgeklärt vorgeht.

Schoigu: "Ich bin nicht der liebe Gott, leider nicht mal sein Stellvertreter"

Im Katastrophenschutz stieg Schoigu in den Generalsrang auf und bewies sein Gespür für öffentlichkeitswirksame Auftritte. Beim Krisenmanagement bei Erdbeben oder Überschwemmungen war er stets persönlich vor Ort und erwarb sich in der Bevölkerung den Ruf als pragmatischer Zupacker.

Im Jahr 1999 erhielt er für sein Engagement den Titel "Held Russlands" und kommentierte die Verleihung mit den Worten: "Ich bin nicht der liebe Gott, leider nicht mal sein Stellvertreter". In den folgenden Jahren ordnete er sich Jelzins Nachfolger Wladimir Putin unter und bewies ihm seine Loyalität. Wie seine Berufung zum Verteidigungsminister zeigte, gelang das dem verheirateten zweifachen Familienvater.

Schoigu kanzelt Kramp-Karrenbauer ab: "Grundschülerin"

Der Kreml weiß um den Wert seines beliebten Ministers - und auch um dessen außenpolitische Wirkung. Vor zwei Jahren gab er der russischen Tageszeitung Moskovski Komsomolez ein ausführliches Interview und zeigte sich äußerst offensiv. Der Westen wolle Russland zerstören und deshalb brauche Russland eine starke Armee, erklärte Schoigu.

Ganz im Stil von Putins Propaganda legte er dar, dass Russland von Feinden umzingelt sei und sich auch nach innen militärisch verteidigen müsse. Und auch zu Deutschland hat sich Schoigu in den vergangenen Jahren geäußert. Die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer kanzelte er im Rahmen einer Fragerunde vor Journalisten im November 2020 als "Grundschülerin" ab.

Sanktionen der EU gegen Schoigu – er bleibt Putins wichtigster Mann

Obwohl der russische Verteidigungsminister der Welt spätestens seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim im Jahr 2014 bekannt war, wurde er erst am 23.02.2022, kurz vor Beginn der Ukraine-Invasion, auf die EU-Sanktionsliste gesetzt. Doch das dürfte Putin und seinem engen Vertrauten herzlich egal sein. Der Verteidigungsminister hat den Auftrag, die Ukraine niederzuringen - bei möglichst geringen Verlusten auf russischer Seite.

Obgleich Russland langsamer vorankommt, als Putin es offenbar angenommen hat, ist Schoigu weiterhin die einflussreichste Stimme, auf die der russische Präsident hört - und wird es wohl auch bleiben, wie der russische Sicherheitsexperte Andrej Soldatow der BBC erklärte: "Schoigu ist nicht nur für das Militär zuständig, sondern zum Teil auch für die Ideologie – und in Russland geht es bei der Ideologie meist um Geschichte. Und er hat die Kontrolle über die Erzählung."

Verwendete Quellen:

  • apnews.com: A shelling, a young girl, and hopeless moments in a hospital
  • apnews.com: Russia sends warplanes to Syria for huge naval drills in Med
  • bbc.com: Ukraine conflict: Who’s in Putin’s inner circle and running the war?
  • eur-lex.europa.eu: Amtsblatt der Europäischen Union L 42 I
  • mk.ru: Interview Sergei Schoigu
  • rnd.de: Militärexperte Gressel: „Der Kreml hat diesen Krieg vor den Soldaten geheim gehalten“
  • tass.ru: Schoigu: Die russische Armee wird die Spezialoperation in der Ukraine fortsetzen, um ihre Ziele zu erreichen
  • twitter.com: Dmytro Kuleba
  • twitter.com: MFA of Ukraine
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.