Immer wieder attackiert Russland die Ukraine in der Nacht mit Raketen und Drohnen. Nach längerer Pause traf es nun auch wieder die ukrainische Hauptstadt Kiew. Seit Monaten wartet die Ukraine auf neue Hilfen aus den USA. Bidens Sicherheitsberater versucht in Kiew Hoffnung zu machen. Ein Überblick über Geschehnisse in der Nacht und ein Ausblick auf den Tag.

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Die ukrainische Hauptstadt Kiew ist in der Nacht zu Donnerstag in mehreren Wellen mit Raketen angegriffen worden. In den Morgenstunden waren Explosionen von Flugabwehrraketen im Stadtzentrum zu hören, wie ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur berichtete.

Auf diesem von Serhii Popko, dem Leiter der Militärverwaltung der Stadt, zur Verfügung gestellten Foto sind Feuerwehrleute nach den russischen Angriffen in Kiew, Ukraine, im Einsatz. (Aufnahmedatum: 21. März 2024) © picture alliance/AP/Uncredited

Nach Behördenangaben sind in Kiew infolge des nächtlichen Angriffs zwölf Menschen verletzt worden. Zwei der Verletzten seien ins Krankenhaus eingeliefert, die übrigen ambulant behandelt worden, teilte Bürgermeister Vitali Klitschko am Donnerstag auf seinem Telegram-Kanal mit. Russland soll bei dem Angriff Marschflugkörper, aber auch Iskander- und moderne Hyperschall-Raketen vom Typ Kinschal eingesetzt haben.

Raketentrümmer treffen Wohnhäuser und Kindergarten

Nach Angaben der ukrainischen Flugabwehr hat Russland von strategischen Bombern insgesamt 31 Raketen und Marschflugkörper auf Kiew abgefeuert. Alle seien abgeschossen worden, gab das Militär in Kiew an. Schäden seien durch die herabfallenden Raketentrümmer trotzdem angerichtet worden. Es traf demnach Wohnhäuser, aber auch einen Kindergarten.

Russland beschießt regelmäßig Ziele im Hinterland der Ukraine, zerstört dabei Wohnhäuser, Objekte der Energie- und Wasserversorgung sowie andere Infrastruktur. Außerdem werden Zivilisten getötet oder verletzt. Die Hauptstadt Kiew blieb allerdings zuletzt rund eineinhalb Monate von diesen Attacken verschont.

Aktueller Anlass des Großangriffs könnten sowohl die zuletzt verstärkten ukrainischen Angriffe auf die russische Grenzregion Belgorod als auch eine Drohnenattacke auf den Flugplatz Engels im Wolgagebiet Saratow 500 Kilometer von der Grenze entfernt sein. Auf dem Flugplatz sind strategische Bomber des Typs Tu-95 stationiert, die nun beim Beschuss von Kiew eingesetzt wurden.

Russlands Angriff auf die Ukraine © dpa-infografik GmbH

An russisch-ukrainischer Grenze spitzt sich Lage zu

An der russisch-ukrainischen Grenze zwischen den Städten Belgorod und Charkiw spitzt sich die Lage derweil durch andauernden wechselseitigen Beschuss zu. In Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, tötete ein russischer Raketenangriff am Mittwoch mindestens fünf Menschen. Präsident Wolodymyr Selenskyj äußerte sich in seiner abendlichen Videoansprache bestürzt: "Seit mehr als zwei Jahren sind Charkiw und die Region schrecklichen russischen Angriffen ausgesetzt", sagte er. Aber auch die tödliche Attacke vom Mittwoch werde nur bewirken, dass die Ukraine noch energischer reagiere.

Eine Industrieanlage brennt nach einem Raketenangriff in Charkiw. (Aufnahmedatum: 20. März 2024) © AFP/SERGEY BOBOK

Auf russischer Seite kamen im Gebiet Belgorod in der grenznahen Kreisstadt Graiworon zwei Männer durch Beschuss aus der Ukraine ums Leben, wie Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow mitteilte. Für sein Gebiet, das seit Tagen unter Feuer proukrainischer Milizen liegt, kündigte er Krisenmaßnahmen an. Weil sich die Versorgung verschlechtere, sollten Lebensmittel ausgegeben werden. In sieben grenznahen Kreisen würden Kontrollposten eingerichtet, die den Zugang zu Ortschaften regeln. In diesen Kreisen und in der Gebietshauptstadt Belgorod sollten auch die Schulferien vorzeitig beginnen. Ohnehin sollen aus der Region etwa 9.000 Kinder in Sicherheit gebracht werden, die ersten 1.200 von ihnen schon am Freitag.

In Kiew trafen sich Selenskyj und sein Präsidialamtsleiter Andrij Jermak mit US-Sicherheitsberater Jake Sullivan. Dieser warb um Vertrauen in die fortdauernde Unterstützung durch die USA, auch wenn neue Hilfen derzeit noch im Parlament blockiert würden. Einige andere Länder wie die Niederlande, Litauen und Lettland kündigten Rüstungshilfen für die Ukraine an. Am Donnerstag wird der 757. Kriegstag gezählt.

Moskau droht wegen der Angriffe auf Belgorod

In Moskau kündigte die Vorsitzende des Föderationsrates, Valentina Matwijenko, eine "angemessene Antwort" auf die Angriffe auf Belgorod an und drohte mit Vergeltung. Die Attacken der ukrainischen Streitkräfte zielten auf zivile Objekte und Städte, sagte die Vertraute von Kremlchef Wladimir Putin – ohne dafür Beweise vorzulegen.

Sie warf den USA, Großbritannien und der Nato vor, das Vorgehen der ukrainischen Armee zu koordinieren. Auch dafür führte sie keine Belege an. Zu den Angriffen haben sich proukrainische Paramilitärs bekannt, aber keine regulären Streitkräfte Kiews. Putin hatte schon am Sonntagabend gesagt, Russland könnte in der Grenzregion auf ukrainisches Gebiet vorstoßen, um mit einer Pufferzone Angriffe auf Belgorod zu verhindern.

US-Sicherheitsberater Sullivan in Kiew

Selenskyj sprach mit US-Sicherheitsberater Sullivan über Rüstungszusammenarbeit, wie er nach dem Treffen berichtete. Er dankte den USA für ihre Unterstützung. "Putin muss verlieren – und das ist eine Frage von Leben und Tod für die demokratische Welt", sagte der ukrainische Staatschef.

Sullivan als Sicherheitsberater von Präsident Joe Biden unterstrich die vielen laufenden US-Hilfsprogramme für das von Russland angegriffene Land. Zugleich forderte er den US-Kongress auf, neues Geld für die Ukraine freizugeben. Die Unterstützung für Kiew hängt seit Monaten im Streit zwischen Republikanern und Demokraten im US-Parlament fest.

Selenskyj wirbt um indische Unterstützung

Der ukrainische Präsident sprach auch mit dem indischen Regierungschef Narendra Modi über ein geplantes Gipfeltreffen zu seiner Friedensformel, das in der Schweiz stattfinden soll. Selenskyjs Plan sieht einen Abzug russischer Truppen aus der Ukraine vor. Es geht ihm aber auch um das Einhalten internationalen Rechts, atomare Sicherheit und die weltweite Nahrungsmittelversorgung. Mit diesen Themen versucht die Ukraine, Entwicklungs- und Schwellenländer auf ihre Seite zu ziehen.

Nach Angaben des Präsidialamtes unterstrich Selenskyj, wie wichtig eine Teilnahme Indiens an dem Gipfel sei. Indien unterhält traditionell enge Beziehungen zu Russland und ist einer der wichtigsten Kunden für russisches Öl, das vom Westen nicht mehr gekauft wird. Neu-Delhi verhält sich neutral zu dem seit über zwei Jahren dauernden Angriffskrieg gegen die Ukraine, hat Moskau aber vor dem möglichen Einsatz von Atomwaffen gewarnt.

Niederlande finanziert Munition für Kampfjets

Die niederländische Regierung will die Ukraine im Krieg gegen Russland mit Munition im Wert von 150 Millionen Euro unterstützen. Das teilte das Verteidigungsministerium in Den Haag mit. Es gehe um Bomben für die F-16-Kampfflugzeuge, die die Ukraine bekommen soll. Die Niederlande gehören zu der Länderkoalition, die der Ukraine US-Kampfflugzeuge vom Typ F-16 bereitstellt. Ukrainische Piloten werden zurzeit in Rumänien auf diesen Maschinen ausgebildet. Wann das Training abgeschlossen ist und die F-16 eingesetzt werden können, ist unklar. Die Niederlande wollen insgesamt 24 F-16 in die Ukraine schicken. Wie das Verteidigungsministerium außerdem mitteilte, stellen die Niederlande rund 200 Millionen Euro bereit, um gemeinsam mit anderen Ländern Drohnen für die Ukraine anzuschaffen.

Das baltische Land Litauen teilte mit, es steuere 35 Millionen Euro zu einer tschechischen Initiative bei, Artilleriemunition für die Ukraine zu beschaffen. Prag will außerhalb der EU etwa 800.000 Granaten kaufen. Auch Lettland wird sich an der Initiative beteiligen. Eine Summe wurde aber nicht genannt. Die Ukraine beklagt seit Monaten einen Mangel an Artilleriemunition. Wegen fehlender Geschosse ist die Armee zunehmend in die Defensive geraten.

Das wird am Donnerstag wichtig

Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten beginnen in Brüssel ihr zweitägiges Frühjahrstreffen. Dabei wird es auch darum gehen, wie die Militärhilfen für die Ukraine aufgestockt werden können und die europäische Verteidigungsindustrie gestärkt wird. (dpa/tas)


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