Seit Monaten signalisiert Olaf Scholz, dass er grundsätzlich zu einem Telefonat mit Kremlchef Wladimir Putin bereit sei. Man müsse nur den richtigen Zeitpunkt finden. Jetzt war er da. Nach dem Gespräch reagierte der ukrainische Präsident Selenskyj verärgert.

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Nach fast zwei Jahren Funkstille hat Bundeskanzler Olaf Scholz wieder mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert. Das Gespräch hat nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur eine Stunde gedauert. Zuerst hatte die "Süddeutsche Zeitung" darüber berichtet.

Die Nachrichtenagentur AFP berichtete, Scholz habe Putin zu Verhandlungen im Ukraine-Krieg gedrängt. Diese müssten das Ziel "eines gerechten und dauerhaften Friedens" haben, teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag nach dem einstündigen Gespräch mit. Der Kanzler verurteilte demnach erneut "den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und forderte Präsident Putin auf, diesen zu beenden und Truppen zurückzuziehen".

Scholz betont Entschlossenheit Deutschlands, die Ukraine zu unterstützen

Scholz betonte in dem Gespräch weiter "die unverbrüchliche Entschlossenheit Deutschlands, die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen die russische Aggression so lange wie nötig zu unterstützen", teilte Hebestreit mit. Demnach telefonierte Scholz im Vorfeld des Gesprächs mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und werde dies "auch im Nachgang zu dem Gespräch mit dem russischen Präsidenten tun".

Ausdrücklich verurteilt habe Scholz gegenüber Putin "die russischen Luftangriffe gegen zivile Infrastruktur in der Ukraine", hieß es aus Regierungskreisen weiter. Er machte demnach auch deutlich, dass mit der Entsendung nordkoreanischer Soldaten nach Russland für Kampfeinsätze gegen die Ukraine "eine gravierende Eskalation und Ausweitung des Konflikts verbunden" sei.

Der Kanzler habe deutlich gemacht, dass keines der russischen Kriegsziele erreicht wurde und habe auf eine Bereitschaft Russlands "zu ernsthaften Verhandlungen mit der Ukraine" gedrängt. Scholz habe unterstrichen, "dass die Unterstützung der Ukraine langfristig ausgerichtet ist und der russische Präsident nicht damit rechnen kann, dass die Zeit auf seiner Seite ist".

Kreml: Ukraine-Abkommen muss "neue territoriale Realitäten" widerspiegeln

Der russische Präsident Wladimir Putin forderte, dass ein mögliches Abkommen zur Beendigung des Ukraine-Konflikts die "neuen territorialen Realitäten" widerspiegeln müsse. "Mögliche Vereinbarungen sollten die Sicherheitsinteressen der Russischen Föderation berücksichtigen, von den neuen territorialen Realitäten ausgehen und vor allem die eigentlichen Ursachen des Konflikts angehen", erklärte der Kreml am Freitag in Moskau.

Auch müsse die Ukraine auf eine Nato-Mitgliedschaft verzichten und den Verlust der von Russland besetzten Gebiete anerkennen. Kiew und seine westlichen Verbündeten lehnen das kategorisch ab. Mit der Annexion der Halbinsel Krim 2014 und im Zuge des Angriffskriegs ab 2022 hat Russland rund 20 Prozent der Ukraine besetzt, die es zu seinem Staatsgebiet zählt.

Putin hielt Scholz laut Kreml entgegen, dass der Krieg eine Folge jahrelanger aggressiver Politik der Nato sei, die die Ukraine zu einem gegen Russland gerichteten Aufmarschgebiet machen wolle. Der russische Präsident habe auch einen nie dagewesenen Verfall in den russisch-deutschen Beziehungen konstatiert – "als Folge des unfreundlichen Kurses der Behörden der BRD". Zugleich sagte Putin demnach mit Blick auf die russischen Energielieferungen der Vergangenheit, dass Russland seine Verträge stets erfüllt habe und bereit sei, die Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil wieder aufzunehmen.

Selenskyj zeigt sich nach Gespräch verärgert

Nach dem Telefonat hat Kiew verärgert reagiert. "Der Anruf von Olaf öffnet meiner Meinung nach die Büchse der Pandora", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit Nachdruck in seiner abendlichen Videobotschaft. Berlin habe Kiew zwar vorab informiert, aber damit seien nun weitere Gespräche ermöglicht worden.

Scholz habe mit seinem Anruf Putins langgehegten Wunsch erfüllt, Russlands Isolation zu verringern und mit Gesprächen zu beginnen, die zu nichts führen werden. Putin habe dies jahrzehntelang so gemacht, sagte Selenskyj. "Das hat es Russland erlaubt, nichts an seiner Politik zu ändern, im Grunde nichts zu tun, und das führte gerade zu diesem Krieg", betonte der Präsident.

Scholz und Putin vereinbarten nach Angaben aus Regierungskreisen, "in Kontakt zu bleiben", hieß es aus Regierungskreisen weiter. Die Bundesregierung wird demnach die Unterrichtung von Verbündeten und Partner sowie der Spitzen von EU und Nato sicherstellen.

Letzte persönliche Begegnung kurz vor der Invasion

Zuletzt hatten Scholz und Putin am 2. Dezember 2022 eine Stunde lang telefoniert. Der Kanzler bemüht sich aktuell um eine zweite Ukraine-Friedenskonferenz nach einem Gipfel in der Schweiz im vergangenen Sommer, an dem dann auch Russland teilnehmen könnte. Bisher ist dafür aber kein Termin in Sicht.

Der Westen hat wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine, der im Februar 2022 begann, die Gesprächskanäle nach Moskau weitgehend stillgelegt.

Zum letzten Mal hatte Scholz Putin gut eine Woche vor dem russischen Angriff auf die Ukraine bei seinem Antrittsbesuch in Moskau persönlich getroffen. Wegen Corona saßen beide im Kreml an einem riesigen ovalen Tisch meterweit voneinander entfernt.

Bundeskanzler Scholz reist nach Moskau
Wladimir Putin (l.) und Olaf Scholz (SPD) trafen sich kurz vor Beginn von Russlands Invasion im Kreml. © Mikhail Klimentyev/Russian President Press Office/Sputnik/dpa

Nach der Invasion gab es noch einzelne Telefonate, die dann aber abbrachen. Das hatte vor allem mit der russischen Kriegführung in der Ukraine und fehlender Aussicht auf konkrete Ergebnisse zu tun.

Scholz: "Ich mache das nicht im Alleingang"

Scholz bemüht sich aktuell um eine zweite Ukraine-Friedenskonferenz nach einem Gipfel in der Schweiz im vergangenen Sommer, an dem dann auch Russland teilnehmen könnte. Bisher ist dafür aber kein Termin in Sicht.

Der Kanzler hatte in den vergangenen Monaten immer wieder gesagt, dass er zu einem Gespräch mit Putin bereit sei. Er wolle nur den richtigen Zeitpunkt finden.

In der ARD erklärte der Kanzler am Sonntag, dass dieser Zeitpunkt "demnächst" gekommen sein könnte. "Ja, ich habe mir vorgenommen, mit dem russischen Präsidenten zur richtigen Zeit zu sprechen. Aber ich bin ein verantwortlicher Politiker, ich mache das nicht im Alleingang." Ein Gespräch mit Putin setze viele Kontakte und Gespräche mit sehr vielen anderen voraus.

G20-Gipfel dürfte Anlass des Gesprächs sein

Der Zeitpunkt des Gesprächs dürfte mit dem bevorstehenden G20-Gipfel im brasilianischen Rio de Janeiro zusammenhängen, zu dem Scholz am Sonntag aufbricht. Dort wird auch der russischen Außenminister Sergej Lawrow erwartet.

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Putin selbst hatte am 18. Oktober seine Teilnahme am Gipfel abgesagt, um nicht "die normale Arbeit des Forums zu stören", das andere Themen habe. Gegen Putin liegt ein internationaler Haftbefehl des Weltstrafgerichts in Den Haag vor wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in der Ukraine. Er würde in Brasilien eine Festnahme riskieren.

Die G20 der führenden Wirtschaftsmächte aller Kontinente ist das einzige Gesprächsformat, in dem Russland und die Nato-Staaten noch hochrangig an einem Tisch sitzen. Scholz plant dort kein Gespräch mit Lawrow. Nach Angaben aus seinem Umfeld wird er aber mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping über den Ukraine-Krieg sprechen, der als wichtigster Verbündeter Putins gilt.

Scholz telefonierte vorher auch mit Selenskyj

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist nicht zum G20-Gipfel eingeladen. Scholz telefonierte am Mittwochabend mit ihm, um über die militärische und humanitäre Lage in der Ukraine zu sprechen. Gut möglich, dass der Kanzler Selenskyj in dem Gespräch auf das Telefonat mit Putin vorbereitet hat.

"Der Bundeskanzler bekräftigte die anhaltende und unverbrüchliche Solidarität mit der Ukraine angesichts der seit nunmehr fast 1.000 Tagen anhaltenden Aggression Russlands", teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit anschließend mit. "Er versicherte, dass Deutschland die Unterstützung für die Ukraine auch im militärischen Bereich in enger Abstimmung mit europäischen und internationalen Partnern fortführen werde."

Kurz zuvor hatte Scholz aber im Bundestag bekräftigt, dass Deutschland die von der Ukraine gewünschten Marschflugkörper Taurus mit einer Reichweite von 500 Kilometern nicht an die Ukraine liefern werde.

Kreml sieht Nervosität im Westen nach Trumps Sieg

Russland hatte nach dem Sieg von Donald Trump bei der US-Präsidentenwahl erneut grundsätzliche Bereitschaft zum Dialog über die Ukraine signalisiert - auch mit Scholz. Moskau sieht im Westen Nervosität mit Blick auf die Ukraine. Es sei voreilig, nun über Veränderungen der Positionen bei den Europäern zu sprechen, hieß es. "Aber es gibt offizielle Erklärungen von europäischen Vertretern, die von der Fortsetzung ihrer allgemeinen Linie sprechen, alle Arten von Unterstützung zu leisten. Und auf Russisch heißt das, Waffen in die Ukraine zu pumpen, um diesen Krieg bis zum Ende fortzusetzen", sagte Peskow.

Trump hatte im Wahlkampf angekündigt, er werde den Ukraine-Krieg binnen kürzester Zeit durch einen Deal mit Russland beenden. Details nannte er nicht. Putin gratulierte Trump vorige Woche zum Wahlsieg und zeigte sich nach außen hin offen für einen Dialog. Zugleich betonte er, dass Trump unberechenbar sei und daher abzuwarten bleibe, was auf seine Ankündigungen folgt.

Moskau dementierte Gespräch zwischen Putin und Trump

Am Montag wies Kemlsprecher Peskow einen Bericht der "Washington Post" zurück, nach dem Putin und Trump nach der US-Wahl telefoniert haben sollen. "Es gab kein Gespräch", sagte Peskow. "Es ist reine Fiktion, es sind einfach falsche Informationen." Russland sei weiter offen für Gespräche. Putin wollte aber nicht als Erster anrufen, weil nicht Russland, sondern der Westen den Kontakt abgebrochen habe. (dpa/AFP/bearbeitet von ank)

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