In Deutschland könnten in Zukunft mehrere Hunderttausend Pflegekräfte fehlen. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung kommt in einem Gutachten zum Schluss: Mehr Personal zu gewinnen, wird nicht reichen. Es muss auch effizienter eingesetzt werden.

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Die Erkenntnis war für Michael Hallek selbst überraschend: Zählt man die Pflegekräfte sowie Ärztinnen und Ärzte pro Einwohner, steht Deutschland im internationalen Vergleich gut da. Man habe im Gesundheitswesen "relativ viele Fachkräfte in der Arbeit", sagt der Medizin-Professor an der Universitätsklinik Köln am Donnerstag in der Bundespressekonferenz.

Das "Aber" folgt schnell. Schaue man sich an, wie viele Fachkräfte sich um einen einzelnen Patienten kümmern können, schneidet Deutschland nämlich deutlich schlechter ab. Halleks Erklärung: Hierzulande werden im internationalen Vergleich sehr viele Patienten stationär in Krankenhäusern aufgenommen und sehr lange dort behandelt. Die Folge: eine strukturelle Belastung des Personals.

Bis zu 690.000 Fachkräfte könnten bis 2049 fehlen

Hallek ist Vorsitzender des Sachverständigenrats Gesundheit und Pflege der Bundesregierung. Die Gruppe aus sieben Professorinnen und Professoren hat gerade ein Gutachten mit Maßnahmen für einen "nachhaltigeren Einsatz" des Personals im Gesundheitswesen zusammengetragen.

Denn Deutschland steht hier vor einem großen Problem. Die geburtenstarken Jahrgänge, die sogenannten "Babyboomer", erreichen in den kommenden Jahren das Rentenalter. Das wird nicht nur dazu führen, dass viele Pflegekräfte aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden. Auch die Zahl der Pflegebedürftigen wird dadurch voraussichtlich deutlich steigen. Es wird also weniger Pflegende und mehr zu pflegende Menschen geben.

Das Statistische Bundesamt hat Anfang dieses Jahres berechnet: Im schlimmsten Fall könnten bis zur Mitte dieses Jahrhunderts 690.000 Pflegekräfte in Deutschland fehlen. Wenn sich der Arbeitsmarkt in dem Bereich positiv entwickelt, könnte sich die Lücke auf "nur" 280.000 Fachkräfte belaufen.

Die Politik will den Beruf deshalb attraktiver machen – durch mehr Kompetenzen und bessere Bezahlung. 2021 hat die frühere Bundesregierung bereits dafür gesorgt, dass Pflegekräfte nach Tarifvertrag bezahlt werden müssen.

Die aktuelle Bundesregierung arbeitet zudem am Pflegekompetenzgesetz: Examinierte Fachkräfte sollen bei der Versorgung von Wunden, von Diabates- und Demenzerkrankungen mehr Aufgaben übernehmen dürfen. Mehr Selbstständigkeit werde den Beruf deutlich attraktiver machen, sagte die Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Claudia Moll, vor Kurzem im Interview mit unserer Redaktion.

Sachverständigenrat fordert mehr Effizienz im Gesundheitswesen

Melanie Messer, Professorin für Pflegewissenschaften an der Universität Trier, sagt am Donnerstag in der Bundespressekonferenz, dass Pflegekräfte in Zukunft erweiterte Aufgaben in der Versorgung übernehmen sollen. Für die Attraktivität des Berufs brauche es "lebenslange attraktive Karrierewege", aber auch eine bessere Gestaltung von Dienstplänen.

Personal, Personal, Personal – das sei zwar notwendig, kann aus Sicht von Michael Hallek aber nicht die einzige Antwort sein. "Immer mehr Menschen einzustellen, wird keines der Probleme lösen", sagt er. Das sei zu teuer und angesichts des extremen Wettbewerbs der Branchen um Fachkräfte auch nicht wahrscheinlich.

"Die Arbeit muss neu organisiert werden, intelligenter gestaltet werden – ohne die Qualität zu mindern."

Michael Hallek, Medizin-Professor an der Universitätsklinik Köln

Wie am Anfang erwähnt, stehen in Deutschland derzeit noch relativ viele Pflegende, Ärztinnen und Ärzte zur Verfügung. Doch sie müssten offenbar effektiver eingesetzt werden. "Die Arbeit muss neu organisiert werden, intelligenter gestaltet werden – ohne die Qualität zu mindern", sagt Hallek.

Eine Baustelle ist also die hohe Zahl von stationären Behandlungen in Deutschland. Jonas Schreyögg, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Hamburg, spricht sich daher für eine stärkere Ambulantisierung aus, sprich: Weniger Aufnahmen ins Krankenhaus, mehr Behandlungen, bei denen der Patient danach wieder nach Hause geht. Zudem müssten die Notaufnahmen entlastet werden. Und die Krankenhäuser müssten finanziell weniger abhängig sein von den sogenannten Fallpauschalen, also von der Vergütung pro Behandlungsfall.

Der Bundesgesundheitsminister dürfte aus der Ferne genickt haben: Karl Lauterbach arbeitet derzeit nicht nur an einer Krankenhausreform, die die Fallpauschalen zurückdrängen soll. Er treibt auch die Ambulantisierung und eine Reform der Notfallversorgung voran.

Ob der Minister seine Pläne durchsetzen kann, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Die Widerstände in den Ländern und den mächtigen Berufs- und Kassenverbänden sind zum Teil groß. Auch das ist laut Hallek ein grundlegendes Problem in Deutschland: Das Gesundheitssystem sei "brutal umständlich organisiert". "Wir verbrennen unheimlich viel Geld."

Verwendete Quellen

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