Am vergangenen Freitag wurde durch russische Medien bekannt, dass vertrauliche Gespräche hochrangiger deutscher Offiziere abgehört wurden. Nun wird diskutiert, welche Konsequenzen der Vorfall haben soll.
Einer der Offiziere sei gerade in Bali, war in der Unterhaltung zu hören. Vermutlich wurde der Einfachheit halber auf die komplexeren, abhörsicheren Leitungen verzichtet, über die die Bundeswehr ebenfalls verfügt. Stattdessen lief das Gespräch zwischen dem obersten Luftwaffen-General Ingo Gerhartz und weiteren Bundeswehr-Offizieren über den Anbieter Webex, der für Video-Konferenzen genutzt wird.
Jemand habe sich per Zugangsdaten in das Gespräch eingeklinkt, erklärte der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter am Sonntagabend in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin". Gesichert ist diese Information bisher nicht. In jedem Fall war es brisant, was dort unter Offizieren besprochen wurde. Die Zurückhaltung des Kanzlers bei der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern sei wenig nachvollziehbar, so die Luftwaffen-Offiziere.
Die Briten hätten bereits Personal und vergleichbare Marschflugkörper in der Ukraine, dieses könnte zur Not auch die Ausbildung der Ukrainer übernehmen, sollten diese nicht selbst in der Lage sein, die Taurus-Raketen zu bedienen.
Union bringt Untersuchungsausschuss ins Spiel
Auch sonst bietet das abgehörte Gespräch, das zunächst bei X öffentlich zu hören war und inzwischen gelöscht wurde, reichlich Zündstoff: Das mögliche Ziel der Marschflugkörper sei die Krim-Brücke, die laut dem Generalinspekteur der Luftwaffe, Ingo Gerhartz, mehrere Raketen-Angriffe aushalten könne, er habe sich das genau angeschaut.
Dass dieses Gespräch nun über russische Medien an die Öffentlichkeit gelangt ist, dürfte den Gesprächsteilnehmern höchst unangenehm sein. Noch unangenehmer dürfte es aber für die Bundesregierung sein.
Der CSU-Landesgruppenchef
Außerdem steht nach wie vor die Frage im Raum, wie russische Medien an die Aufnahmen gelangt sind und welches Interesse der Kreml an der Veröffentlichung haben könnte. Welche Konsequenzen hat die Veröffentlichung des Gesprächs für die Sicherheitspolitik und die deutsche Außenpolitik?
Experte: Vor allem im Verhältnis zu Frankreich und Großbritannien brisant
Der Abhör-Skandal sei vor allem im Verhältnis zu den Verbündeten Frankreich und Großbritannien brisant, erklärt Sicherheitspolitik-Experte Michael Brzoska vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg. Zwar werde schon seit einiger Zeit in Medien und bei Experten davon ausgegangen, dass britische und französische Militärangehörige in der Ukraine am Einsatz von Marschflugkörpern wie Scalp beziehungsweise Storm Shadow beteiligt seien, aber dies sei offiziell nicht bestätigt worden. "In dem abgehörten Gespräch wird deutlich, dass auch hohe deutsche Luftwaffenoffiziere das so sehen - entweder, weil sie den Medien mehr glauben als den beiden Regierungen, oder weil sie wissen, dass die Dementis unzutreffend sind. Beides ist für das Verhältnis zu den beiden Regierungen schädlich."
Darüber hinaus sei natürlich für alle Verbündeten ein Problem, dass hohe deutsche Offiziere abgehört wurden – und dies möglicherweise nicht der einzige Fall ist. "Das schwächt das Vertrauen in Zusammenarbeit unter den Streitkräften", so Brzoska weiter.
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Welches Interesse hat Russland an den Veröffentlichungen?
Zum einen säe die Veröffentlichung des Gesprächs Zwietracht in Deutschland, so Bzoska: "Ich vermute, dass man erwartet hat, dass die Opposition den Kanzler scharf angreift und damit die Auseinandersetzung sowohl über die Taurus wie auch die Hilfe für die Ukraine allgemein angeheizt wird." Das ist bisher auch so eingetroffen, wie die Reaktionen insbesondere aus der CDU und CSU zeigen. Zum zweiten belaste die Veröffentlichung des Gesprächs die Zusammenarbeit zwischen den westlichen Alliierten, so Bzoska: "Drittens wird damit das Signal an die Bundeswehr und auch andere westliche Streitkräfte gesendet: Wir hören mit."
Politikwissenschaftler Maximilian Terhalle vom King’s College in London ergänzt gegenüber unserer Redaktion: "Russland nutzt das Gespräch, um Scholz, der bereits gegen Taurus ist, gegen die Position alliierter Mächte in Stellung zu bringen, kurz: um das Bündnis zu spalten. Das ist Putin bestens gelungen."
Den von der Union angeregten Untersuchungsausschuss hält Brzoska hingegen für ein "politisches Spiel" mit der Absicht, die Regierung, insbesondere den Kanzler, zu schädigen: "Für die Klärung des Unterschieds zwischen dem, was der Kanzler zur Beteiligung deutscher Soldaten für den Einsatz der Taurus gesagt hat, und dem, was die Luftwaffenoffiziere diskutiert haben, braucht es keinen Untersuchungsausschuss." Letztlich spiele die daraus entstehende Diskussion um den Untersuchungsausschuss eher Russlands Präsident Wladimir Putin in die Hände.
Maximilian Terhalle sieht das anders: Ein Untersuchungsausschuss sei ein zentrales Privileg der Opposition in einem demokratischen Staat. Die Union sollte dieses zur Anwendung zu bringen. "Die zwei Kernfragen an die Bundesregierung müssten lauten: Was ist das strategische Ziel der Regierung in und durch diesen Krieg? Und: Auf welche europäische Sicherheitsordnung 2030 arbeitet die Regierung hin?"
Über die Gesprächspartner
- Prof. Dr. Michael Brzoska ist Senior Fellow am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg.
- Prof. Maximilian Terhalle ist Politikwissenschaftler und derzeit Visiting Professor of Strategic Studies am King's College in London.
Verwendete Quellen
- Schriftliche Einschätzung von Michael Brzoska.
- Schriftliche Einschätzung von Maximilian Terhalle.
- ARD.de: Bericht aus Berlin vom März 2024
- spiegel.de: CSU-Politiker Dobrindt bringt Untersuchungsausschuss ins Spiel
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