Union und SPD wollen am Mittwoch erstmals über eine neue Zusammenarbeit sprechen. Die SPD prescht mit einem neuen Vorschlag vor. Nach ihrem Willen soll es eine Kooperations-Koalition geben – statt GroKo also KoKo. Was das bedeutet, erklärt ein Politik-Experte im Gespräch.
Am Mittwoch wollen Union und SPD ausloten, ob und wie eine gemeinsame Regierung aussehen könnte. Noch am Wahlabend schloss die SPD dies kategorisch aus.
Eine Große Koalition sollte es nicht mehr geben. Nach dem Scheitern von Jamaika allerdings kann sich die SPD nicht mehr aus der Verantwortung ziehen. So will es Bundespräsident
Herr Niedermayer, die SPD wirbt für einen neuen Weg jenseits der Großen Koalition. Dabei geht es um ein Modell, bei dem bestimmte Projekte im Koalitionsvertrag festgelegt werden und andere offen bleiben – um sie im Bundestag zu verhandeln. Was halten Sie davon?
Oskar Niedermayer: Es erstaunt mich, auf welche Ideen die SPD kommt, um eine Große Koalition zu verhindern.
Es ist eine sehr seltsame Konstruktion. Einerseits handelt es sich dabei um so etwas wie eine teils geduldete und vertraglich festgehaltene Minderheitsregierung, aber andererseits will die SPD Ministerposten bekommen.
Offenbar will man sich nur die Rosinen rauspicken und andere Punkte offenhalten.
Woher kommt diese Idee?
Der Vorschlag kommt wohl vom linken Flügel. Die Richtung ist ganz klar: Die SPD möchte einerseits mitregieren und andererseits bei Projekten, die ihr gefallen, eine linke Mehrheit organisieren.
Das bedeutet, sie will mit anderen Parteien wie den Linken oder den Grünen zusammenarbeiten und damit gegen die eigene Regierung.
Dieser Vorschlag irritiert und es ist im Grunde schwer vorstellbar, dass die geschäftsführende Kanzlerin darauf eingehen wird. Oder wäre dieses Modell eine wirkliche Option, über die die Union nachdenken wird?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass
Die SPD-Minister, die laut Verfassung ihr Ressort eigenverantwortlich leiten, müssten bei jeder Gesetzesvorlage überlegen, ob sie sie für die Kooperation mit der Union oder für eine Kooperation mit anderen Oppositionsparteien verfassen.
Die SPD erweckt den Eindruck, sie sei bei "Wünsch Dir was" …
Genau. Die SPDler diskutieren die ganze Zeit so, als ob sie selbst diese Entscheidung treffen könnten.
Sie vergessen dabei den Partner, den sie sowohl zu einer Koalition als auch zu einer Minderheitsregierung brauchen. Es hat den Anschein, dass es die Union für die SPD gar nicht gibt.
Die SPD begründet ihre Strategie damit, mehr Raum für Profilierung gewinnen zu wollen. Kann das funktionieren?
Nein, das hat der Wahlkampf bereits verdeutlicht: Es ist allein schon sehr schwer, in einer Koalition zu regieren und gleichzeitig gegen den Partner zu agieren.
Dieses Szenario würde SPD und Union in den nächsten vier Jahren drohen und die Koalition vier Jahre lang belasten.
Zur Verdeutlichung: Bei dem einen Projekt würde die SPD mit der Union an einem Strang ziehen und bei einem anderen befände sie sich plötzlich in der Opposition. Auf dieser Basis lässt sich kein Vertrauen aufbauen.
Das käme Angela Merkel nicht entgegen. Vertrauen ist ihr sehr wichtig …
Die Kanzlerin ist sehr stark auf Verlässlichkeit programmiert. Ihr Politik-Stil ist darauf ausgerichtet, Unsicherheiten und Risiken zu minimieren.
Bei einer solchen Konstellation, wie es die SPD andenkt, müsste sie bei jeder Entscheidung, die dem Partner nicht passt, auf die Suche nach neuen Mehrheiten gehen. Sie müsste feilschen wie auf einem Basar.
Ich will mir gar nicht vorstellen, was das für die deutsche Außenpolitik bedeuten würde.
Das hieße, ein solcher von der SPD angedachter Koalitionsvertrag wäre der Stabilität der Regierung nicht zuträglich?
Alles was weniger ist als eine Große Koalition ist instabiler. Selbst wenn es am Ende eine GroKo gäbe, wäre die instabiler als die Regierungen vor ihr.
Denn die SPD wird sehr stark darauf achten, sich zu profilieren. Das bietet sehr viel mehr Zündstoff als noch in der letzten Legislaturperiode. Allerdings wären alle anderen Modelle noch brüchiger.
Die Parteien befinden sich in einer Zwickmühle. Welche Option ist überhaupt noch sinnvoll?
Jamaika ist nahezu ausgeschlossen. Christian Lindner hat klargestellt, dass es keine neuen Sondierungen geben wird.
Wenn die SPD einen sinnvollen Kompromiss mit der Union erzielt und die Basis dem zustimmt, dann wäre die GroKo schon eine sinnvolle Option.
Sollte die SPD allerdings bei ihrem Modellvorschlag bleiben, dann wären Neuwahlen wirklich am besten – auch wenn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das nicht möchte.
Scheitert eine Neuauflage der GroKo hat Steinmeier im Grunde keine Möglichkeit mehr, sie zu verhindern.
Denn dann muss er Angela Merkel als Kanzlerin im Bundestag vorschlagen. Selbst wenn sie erst im dritten Wahlgang gewählt werden würde, wäre sie nicht mehr geschäftsführende Kanzlerin sondern Kanzlerin einer Minderheitsregierung.
Sie hätte in diesem Fall das Heft in der Hand und könnte die Vertrauensfrage stellen – die sie natürlich verlieren will. Und dann wird es Neuwahlen geben.
Wer wäre bei Neuwahlen der größte Verlierer?
Das ist schwer zu sagen, weil dieser Fall noch nicht eingetreten ist. Allerdings muss die SPD Neuwahlen sehr viel stärker fürchten als die Union. Sie ist darauf weder inhaltlich, organisatorisch noch personell ausreichend vorbereitet.
Dass Schulz noch mal Kanzlerkandidat wird, ist unwahrscheinlich. Doch wer soll an seiner statt antreten?
Sein Vize Olaf Scholz ist auf dem Parteitag abgewatscht worden. Für Andrea Nahles ist es noch zu früh.
Die SPD hat auch inhaltlich ein Problem: Sie hat gerade erst begonnen, sich über eine Neuorientierung zu unterhalten.
Für die Union sieht es besser aus: Merkel ist zwar angeschlagen, aber die CDU steht hinter ihr – auch mangels Alternativen.
Und im Streit um die Flüchtlingsfrage zwischen CDU und CSU gibt es einen Waffenstillstand.
Die Union hat diesbezüglich eine klare Position, die für die Menschen nach neuesten Umfragen immer noch die wichtigste Frage ist.
Die FDP hat zwar in den Umfragen nach dem Scheitern von Jamaika verloren. Aber ob das so bleiben wird, bleibt abzuwarten. Die Grünen wiederum könnten etwas profitieren. Ob Neuwahlen der AfD nützen würden, ist nicht ausgemacht, weil die Stärke der Partei vor allem von den Entwicklungen der Flüchtlingsfrage abhängt.
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