Sollten Senioren regelmäßig eine Überprüfung ihrer Fahrtauglichkeit durchführen müssen? Wenn es nach dem verkehrspolitischen Sprecher der Grünen geht, ja.

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In der Debatte um die Fahrtauglichkeit von Senioren nach einem tödlichen Autounfall in Berlin fordern die Grünen im Bundestag regelmäßige Gesundheitstests für alte Menschen. "Nach Fahranfängern verursachen alte Menschen – pro gefahrenem Kilometer – am häufigsten Unfälle – und das trotz ihrer langjährigen Fahrerfahrung", sagte der verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Stefan Gelbhaar, den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND).

Viele seien zwar jahrzehntelang unfallfrei gefahren, sagte Gelbhaar weiter. "Doch mit dem Alter bauen Sehkraft, Hörvermögen und Reaktionsfähigkeit langsam ab. Regelmäßige Tests dazu sind deshalb sinnvoll."

Ampel-Partner lehnen Vorstoß der Grünen ab

Verkehrspolitiker von SPD und FDP lehnten den Vorstoß zwar ab, riefen aber zu mehr freiwilligen Fahrtests auf. Der SPD-Verkehrspolitiker Mathias Stein sagte den RND-Zeitungen, er plädiere dafür, dass "alle Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer in regelmäßigen Abständen freiwillige Rückmeldefahrten absolvierten, denn Fehlverhalten im Straßenverkehr ist keine Frage des Alters".

Gesetzesänderungen seien jedoch unnötig, da "schon jetzt Personen jeden Alters, die wegen körperlicher Einschränkungen nicht vollständig fahrtauglich sind, eine Beschränkung für ihre Autofahrten auferlegt werden kann", sagte Stein. "Altersbedingte Extrapflichten lehnen wir deshalb ab."

Auf mehr freiwillige Tests setzt auch Sachsens-Anhalts Verkehrsministerin Lydia Hüskens (FDP). "Solche Überprüfungen dürfen nicht am Preis scheitern", sagte sie dem RND. "Sie müssen für alle erschwinglich sein. Darauf sollten wir hinwirken."

EU-Staaten setzen wohl auf Freiwilligkeit

Bereits im Dezember kam diese Diskussion schon auf europäischer Ebene auf, als die EU-Staaten über Medizinchecks für Senioren sprachen. Ergebnis: Eine Mehrheit der Abgeordneten, besonders aus Deutschland, entschied sich dafür, dass nationale Regierungen entscheiden sollen, ob sie künftig von Führerscheininhabern regelmäßig ärztliche Tests verlangen. Hör- und Sehtests könnten dann etwa eine Selbsteinschätzung der Führerscheininhaber ergänzen. Einen finalen Beschluss gab es jedoch nicht. Die Verhandlungen darüber beginnen erst, nachdem im Sommer ein neues Europaparlament gewählt wurde.

Nachdem die Stimmung in Brüssel eher in Richtung Freiwilligkeit geht, ist es besonders in Deutschland unwahrscheinlich, dass hier verpflichtende Tests für Senioren kommen. Vor allem, weil sich schon damals Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) dagegen gesperrt hatte. Er sagte: "Deutschland möchte solche Zwangsuntersuchungen nicht haben." Bürgerinnen und Bürger müssten eigenverantwortlich prüfen, ob sie fahrtauglich seien oder nicht. "Das gilt für jedes Alter", betonte der FDP-Politiker.

Weiter sagte Wissing, dies bedeute unnötige Bürokratie. "Es ist einfach nur die Beschäftigung mit Formularen, ohne dass damit eine Verbesserung der Verkehrssicherheit erreicht wird." Der Sinn dieser Maßnahme erschließe sich ihm nicht. Deswegen könne er das nicht unterstützen. "Ich möchte mich nicht am Aufbau unnötiger Bürokratie beteiligen in einer Zeit, in der uns Bürokratie bereits droht zu ersticken." "Jeder kann sich ja mit seiner Gesundheit selbst beschäftigen und braucht dazu nicht eine staatliche Verpflichtung, Formulare auszufüllen", so der Minister weiter.

Unfallforscher spricht sich für Tests für Senioren aus

Der Leiter der Unfallforschung für Versicherer, Siegfried Brockmann, widersprach dem Minister damals. Bundesverkehrsminister Wissing unterschätzt nach Ansicht des Unfallforschers die Gefahr durch Senioren am Steuer. Zwar seien ältere Menschen mit Blick auf die absoluten Zahlen im Schnitt nicht öfter an Unfällen beteiligt, dies liege aber daran, dass sie deutlich weniger unterwegs seien. Gemessen an der Fahrleistung sterben Brockmann zufolge bei Unfällen, an denen Menschen über 75 Jahren beteiligt sind, genauso viele Menschen wie bei Unfällen, an denen die Hochrisikogruppe der 18- bis 21-Jährigen beteiligt ist.

Brockmann bringt als Maßnahme für mehr Verkehrssicherheit verpflichtende Fahrten für ältere Menschen mit Profis ins Spiel. Diese könnten dann eine Rückmeldung zu deren Fahrverhalten geben, ohne aber die Möglichkeit zu haben, Menschen den Führerschein wegzunehmen.

Wie aus Zahlen des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden hervorgeht, haben ältere Autofahrer häufiger die Hauptschuld als jüngere, wenn sie an Unfällen mit Personenschaden beteiligt sind. Der Statistik zufolge waren Menschen ab 65 vergangenes Jahr in mehr als zwei Dritteln dieser Fälle (69 Prozent) die Hauptverursachenden.

Die Diskussion kochte wieder auf, weil sich am Samstag ein tragischer Unfall in Berlin ereignete. Eine Mutter und ihr vierjähriger Sohn wurden von einem 83-jährigen Autofahrer erfasst und dabei tödlich verletzt. (afp/dpa/the)

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