• "Gazprom Germania" steht nun unter staatlicher Aufsicht, derartiges gab es in der Geschichte der Bundesrepublik bisher nicht.
  • Der Schritt zur staatlichen Treuhandverwaltung sei "zwingend notwendig", um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, erklärte Habeck.
  • Die Maßnahme ist vor allem als Reaktion auf eine Entscheidung aus Russland vom letzten Freitag zu verstehen.

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In einer spektakulären Aktion hat das Bundeswirtschaftsministerium die Gazprom-Tochter "Gazprom Germania" unter staatliche Aufsicht gestellt. Im Streit zwischen der Bundesregierung und dem Kreml um Gaslieferungen ist damit eine neue Eskalationsstufe erreicht. Der Fall ist ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik.

Was hat Robert Habeck entschieden?

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) verkündete am vergangenen Montag vor Journalisten in Berlin, dass die Bundesnetzagentur die Aufsicht über die Deutschland-Tochter des russischen Gasriesen Gazprom übernommen habe. "Mit der Anordnung setzt mein Ministerium gemäß Paragraf 6 des Außenwirtschaftsgesetzes die Bundesnetzagentur vorübergehend als Treuhänder für Gazprom Germania ein", sagte Habeck.

Konkret beziehe sich die Treuhandverwaltung auf Anteile der Gazprom Germania GmbH und diene dem "Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und der Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit", so Habeck. Der Schritt sei "zwingend notwendig", gleichwohl sei die Versorgungssicherheit "aktuell gewährleistet". Hintergrund der Entscheidung, so Habeck, seien unter anderem "unklare Rechtsverhältnisse" sowie ein Verstoß gegen die Meldepflichten im Rahmen der Außenwirtschaftsordnung. Die staatliche Treuhandverwaltung durch die Bundesnetzagentur wird demnach auf Grundlage des Außenwirtschaftsgesetzes bis zum 30. September 2022 angeordnet.

Was ist besonders an dem Vorgehen der Bundesregierung?

Als Robert Habeck am vergangenen Mittwoch die Frühwarnstufe des Notfallplans Gas ausrief, sahen viele bereits eine neue Dimension im Energiestreit mit Russland erreicht. Schließlich hatte die Bundesregierung noch nie zuvor auf ähnliche Weise deutlich gemacht, dass mit einem baldigen Gasstopp russischer Gasimporte kalkuliert werden müsse und man sich bereits jetzt auf die unkalkulierbaren Folgen für Privatverbraucher und Industrie vorbereite. Gleichwohl war dieser Schritt vor allem als symbolischer Akt zu verstehen, denn operativ bedeutete er nicht viel mehr als ein genaueres Monitoring der Gasversorgung im Lande. Habecks Entscheid, die Gazprom-Tochter unter Treuhandverwaltung zu stellen, stellt nun eine neue Eskalationsstufe dar – und ist gleichzeitig ein Novum in der deutschen Geschichte.

Die Maßnahme ist vor allem als Reaktion auf eine Entscheidung aus Russland vom vergangenen Freitag zu verstehen. Auf seinem Telegram-Kanal hatte der Mutterkonzern Gazprom überraschend berichtet, sich zeitnah von seinen deutschen Beteiligungen und Tochterfirmen zu trennen. An wen die Firmenanteile veräußert werden sollten, war zu diesem Zeitpunkt zwar unklar, aber es gab einige Hinweise. So will das Wirtschaftsministerium erfahren haben, dass die deutsche Tochter durch die beiden Unternehmen JSC Palmary aus Russland und Gazprom Export Business Services LLC aufgekauft worden sei und diese dann die "Liquidierung" von Gazprom Germania angeordnet hätten. Wer rechtlich und wirtschaftlich hinter diesen Firmen steckte, wusste niemand so recht. Vieles deutete darauf hin, dass Gazprom versuchte, die deutsche Tochter dem Zugriff der Bundesregierung zu entziehen.

Im Bundeswirtschaftsministerium, so hat es die "Wirtschaftswoche" rekonstruiert, sollen sich deshalb am Wochenende "surreale" Szenen abgespielt haben, was angesichts der überragenden Bedeutung der Firma für das deutsche Gasnetz verständlich ist. Mit 1.543 Mitarbeitern ist die 1990 gegründete Firma für 40 Prozent der deutschen Gaslieferungen verantwortlich, allein in Deutschland und Österreich verfügt Gazprom Germania über Gasspeicher mit einer Kapazität von sechs Milliarden Kubikmetern. Gazprom selbst ist wiederum Eigentümerin weiterer Unternehmen der deutschen Gaswirtschaft, etwa der Handelsgesellschaften Wingas und WIEH, der Gasspeicherbetreiber Astora, der den größten Gasspeicher Deutschlands in Rehden betreibt, und einer Minderheitsbeteiligung am Gastransportunternehmen Gascade. Habecks Ministerium übernahm in diesen Stunden nicht weniger als eine Notoperation am Herzen des deutschen Gasnetzes, die es in diesem Umfang wohl noch nicht gegeben hat.

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Habecks Leuten kam das Außenwirtschaftsgesetz zugute, das eine Veräußerung von Unternehmensanteilen, die eine herausgehobene Bedeutung für die kritische Infrastruktur haben, von einer Zustimmung der Bundesregierung abhängig macht. Man werde Energieinfrastrukturen in Deutschland nicht willkürlichen Entscheidungen des Kremls aussetzen, so der Minister Habeck. In anderen Fällen, wie etwa bei dem geplanten Verkauf von Anteilen des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz an chinesische Investoren, war der Verkauf von Anteilen an deutschen Firmen nach solchen Prüfverfahren letztlich untersagt worden. Dass ein Unternehmen eine solche Genehmigung nicht einholt, und letztlich unter staatliche Aufsicht gestellt werden muss, gab es aber noch nicht.

Insider sehen hinter dem Schritt nicht nur eine operative Maßnahme, welche die Gasversorgung in Deutschland sichern soll – sondern auch zwei Symbole. Einerseits spricht die Entscheidung dafür, dass die Bundesregierung bislang damit rechnet, dass Russland weiterhin Gas liefern wird. Sonst wäre die Treuhand-Konstruktion nicht nötig. Andererseits stand die Bundesregierung in Bezug auf Gasimporte zuletzt gegenüber ihren europäischen Partnern im Verdacht, zu zögerlich zu handeln. Dieser Vorwurf ist zumindest in Bezug auf Gazprom aufs Erste ausgeräumt.

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Welche Folgen hat die Übernahme der Gazprom-Tochter durch die Bundesnetzagentur?

Für die kommenden Monate wird Gazprom Germania unter einer sogenannten treuhänderischen Aufsicht der Bundesnetzagentur stehen, um – nach Angaben der Agentur - für eine "ordnungsgemäße Geschäftsführung" zu sorgen. "Wir sind uns der Verantwortung für die sichere Gasversorgung bewusst, die mit dieser Aufgabe verbunden ist", sagte Netzagentur-Chef Klaus Müller laut einer schriftlichen Stellungnahme. "Unser Ziel wird es sein, dass Gazprom Germania im Interesse Deutschlands und Europas geführt wird. Wir wollen alle notwendigen Schritte unternehmen, um die Versorgungssicherheit weiter zu gewährleisten. Die Geschäfte der Gazprom Germania und ihrer Tochterunternehmen sollen in diesem Sinne kontrolliert weitergeführt werden." Eine Enteignung, wie zuletzt spekuliert worden war, ist das allerdings noch nicht.

Durch die Treuhänderschaft kann die Bundesnetzagentur nun wie die Eigentümerin von Gazprom Germania reagieren, also zum Beispiel Mitglieder der Geschäftsführung austauschen. Außerdem kann sie die Geschäftsbereiche sichern, also etwa die Einhaltung des Gasspeichergesetzes - sprich die Erfüllung der gesetzlichen Mindestmaße. Knappe Füllstände der Reserven hatten wegen des Ukraine-Krieges Befürchtungen ausgelöst, die Versorgung mit dem Brennstoff könne knapp werden.

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Fürs erste sind auch Sorgen vor einem technischen Konkurs ausgeräumt, der durch einen Abzug Bankhäuser und Investoren entstanden wäre. Zwar sind die Energiekonzerne von westlichen Sanktionen befreit, doch zahlreiche Institute waren trotzdem auf Abstand zu russischen Unternehmen gegangen. Mit der Eigentümerschaft des deutschen Staates ist diese Sorge vorerst abgewendet.

Verwendete Quellen:

  • Pressemitteilung des Bundeswirtschaftsministerium - BMWK setzt Bundesnetzagentur als Treuhänderin für Gazprom Germania ein (04.04.2022)
  • Wirtschaftswoche - Habecks Notoperation (04.04.2022)
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