Als wären die inneren Auseinandersetzungen mit prorussischen Milizen nicht schon genug, droht der Ukraine nun auch ein Energieengpass. Aufgrund angeblich ausstehender Milliarden-Zahlungen will Russland am 3. Juni den Gashahn zudrehen. Noch laufen die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine. EU-Energiekommissar Günther Oettinger vermittelt. Doch was passiert, wenn Putin tatsächlich Ernst macht und am kommenden Dienstag den Gashahn zudreht? Ist dann auch die deutsche Versorgung gefährdet?

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Am 3. Juni droht Russland der Ukraine mit einem Stopp der Gas-Lieferungen - weil offenbar noch Rechnungen offen sind. Wie hoch die Gas-Schulden von der Ukraine bei Russland tatsächlich sind, ist umstritten. Ebenso streiten die beiden Länder um den Preis, der in Zukunft für das russische Gas gezahlt werden soll. EU-Energiekommissar Günther Oettinger versucht in Berlin derzeit zu vermitteln - auch weil ein Gas-Lieferstopp Auswirkungen auf Europa und Deutschland haben könnte.

Doch das deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) beruhigt. Laut einer Studie ist die europäische Erdgasversorgung trotz der politischen Krise zwischen Russland und der Ukraine kurzfristig sicher. "Sollte Russland seine Lieferungen in und durch die Ukraine unterbrechen, könnten die Mitgliedsländer der Europäischen Union dies weitgehend kompensieren", heißt es in dem Papier.

40 Prozent des deutschen Gasbedarfs kommt aus Russland

Denn Anfang März 2014 seien die Speicher in der Europäischen Union etwa zur Hälfte gefüllt, was rein rechnerisch etwa einem Sechstel des jährlichen Importbedarfs der EU oder rund 40 Prozent der Importe aus Russland entspreche. "Nach dem milden Winter könnten in der warmen Jahreszeit Lieferausfälle russischer Importe für mehrere Monate überbrückt werden", konstatieren die Experten.

Speziell auf Deutschland gemünzt sind die rund 50 Gasspeicher sogar zu 70 Prozent gefüllt. Zudem gibt es Alternativen zur Pipeline über die Ukraine, die Ostseepipeline nach Deutschland und die Nord-Stream-Leitung. Somit hat die Wichtigkeit der Ukraine als Gastransitland ohnehin in den vergangenen Jahren abgenommen.

Die Bundesrepublik bezog 2013 allerdings fast 40 Prozent ihres Gasbedarfes von Russland. Entsprechend verwundbar ist auch unsere Energieversorgung, was das DIW durchaus zu Bedenken gibt: "Das Szenario, in dem Russland sämtliche Erdgasexporte stoppt, bekämen hingegen nahezu alle EU-Mitglieder in Form deutlich steigender Preise zu spüren, insbesondere das Baltikum und Finnland; dort würden die Preise um etwa 100 Prozent steigen."

Putins Herrschaft bei Komplettstopp gefährdet

Diesen Komplettstopp halten Experten allerdings für sehr unwahrscheinlich. Schließlich ist Putin auf die Einnahmen aus den Gaslieferungen angewiesen. "Sollten die verkauften Mengen an Öl und Gas oder der dafür veranschlagte Preis spürbar sinken, wäre auch Putins autokratische Herrschaft massiv gefährdet", kommentiert Josef Braml von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Aber Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am DIW Berlin, sieht eine andere Gefahr: "Im Moment können wir auch nicht ausschließen, dass Lieferungen gedrosselt werden, da dies Putin mit einem Brief an die Regierungschefs in Europa schon angekündigt hat." Dies habe er ja bereits in den Jahren 2006 und 2009 in die Tat umgesetzt. Allerdings seien die Staaten darauf jetzt besser vorbereitet durch Flüssiggaslager und zusätzliche Lieferanten.

Ist Fracking die Lösung für das europäische Gasproblem?

Damit die Erdgasversorgung langfristig sicher sei, müssen die EU-Länder weiterhin neue Lieferquellen erschließen, die Energieeffizienz steigern und eine gemeinsame strategische Reserve einrichten, mahnt Kemfert. "Russland ist ein wichtiger Erdgaslieferant und wird es auch bleiben", unterstreicht sie.

Trotz leicht steigenden Verbrauchs in der EU von 600 Milliarden Kubikmeter pro Jahr bis 2040 werde jedoch der Anteil der Erdgasbezüge der Union aus Russland von heute fast 35 Prozent auf gut 20 Prozent sinken. Unter anderem durch neue Anlagen in Polen und Litauen sowie die sogenannte Nabucco-Pipeline. Sie soll noch vor dem Jahr 2020 Erdgas aus dem kaspischen Raum (Aserbaidschan) über die Türkei nach Griechenland und voraussichtlich die Balkan-Halbinsel liefern.

Josef Braml sieht jedoch Auswirkungen des aktuellen Gasstreits. "Die Europäer müssen langfristig mit höheren Preisen rechnen", unterstreicht er. Hier biete auch die Aussicht auf billiges, in großen Mengen durch unkonventionelle Fördermethoden wie Fracking gewonnenes Erdgas aus den USA keine Perspektive. Denn noch fehle es an der aufwändigen Infrastruktur, um Erdgas für Transportzwecke zu verflüssigen beziehungsweise wieder in Gasform zu verwandeln. Als Alternative für Erdgas sieht er Energiesparen sowie Wind und Sonne: "Dank der Produktion von Energie aus Sonne, Wind, Biomasse und Erdwärme ist der Bedarf an russischem Erdgas zur Verstromung bereits merklich gesunken."

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