Im ZDF-Sommerinterview mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rechnet das Staatsoberhaupt mit der Ampel-Regierung ab. Angesichts des Attentats in Solingen fordert Steinmeier zudem mehr Befugnisse für die Sicherheitsbehörden: "Darüber wird man jetzt beschleunigt beraten müssen."

Eine Kritik
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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat nach dem tödlichen Messer-Attentat in Solingen im ZDF-Sommerinterview stärkere Befugnisse für die Sicherheitsbehörden gefordert. „Wir müssen uns vor solchen Angriffen schützen, vielleicht sogar besser schützen. Dazu gehört auch, dass die Sicherheitsbehörden mit den nötigen Befugnissen ausgestattet werden. Das heißt auf der einen Seite Personal, das heißt bei terroristischer Gefahr aber auch möglicherweise Ausweitung der Befugnisse.“ Konkret nannte er ein Gesetzgebungsvorhaben innerhalb der Bundesregierung, um die Zuständigkeiten des BKA bei Terrorismusgefahr zu erweitern. „Ich glaube, darüber wird man jetzt beschleunigt beraten müssen“, sagte der frühere SPD-Außenminister und Vizekanzler.

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In Solingen hatte ein aus Syrien geflüchtet 26-Jähriger am Freitagabend drei Menschen bei einem Messerangriff getötet und vier lebensgefährlich verletzt. Laut Spiegel sollte er im Vorjahr nach Bulgarien abgeschoben werden, entzog sich aber der Flucht und wurde danach von den Behörden nicht zur Festnahme ausgeschrieben - wohl weil er als unauffällig galt und es nicht genügend Abschiebehaftplätze gab. Nach Auslaufen der Überstellungsfrist nach Bulgarien war Deutschland für den Mann zuständig. Er erhielt hier sogenannten subsidiären Schutz.

Nicht mangelnde Befugnisse der Sicherheitsbehörden waren das Problem, wie Steinmeier suggerierte, sondern eine gescheiterte Abschiebung, für die der Mann dann letztlich noch belohnt wurde, indem er in Deutschland bleiben durfte. Auch mehr Personal hätte kaum geholfen, da der mutmaßliche Attentäter vor dem Anschlag offenbar unauffällig in Deutschland gelebt hatte.

Breitseite gegen die AfD

Die AfD benutzt die Tat schon, um die Migrationspolitik in Deutschland anzugreifen. Das könnte ihr bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen am kommenden Wochenende noch mehr Stimmen verschaffen. Steinmeier wehrte sich dagegen, die Abstimmungen – unabhängig vom Geschehen im Solingen – als „Schicksalswahl“ zu bezeichnen. Dennoch appellierte er an die Menschen, sich die Vorzüge der Demokratie vor Augen zu führen. Gott sei Dank sei der Mehrheit bewusst, so Steinmeier, „dass es da was zu verteidigen gibt“. Ohne die AfD beim Namen zu nennen, forderte das Staatsoberhaupt. „Wer die Grundfesten unserer Demokratie angreift, in dessen Hände darf Macht nicht gelangen.“

Derzeit liegt die Macht im Bund in den Händen der Ampel-Regierung. Und die gibt ein Bild ab, das auch dem Bundespräsidenten nicht gefällt. Er kritisierte “Uneinigkeit und öffentliches Gezerre“, das weder den Parteien, noch dem Land helfe. „Selbstzerknirschtheit“ helfe genauso wenig. Die Menschen erwarten Taten, ein „Zurück an die Werkbank“.

Gar nicht gut kam bei dem langjährigen SPD-Politiker die Einschätzung des Grünen-Vorsitzenden Omid Nouripour an. Der hatte gesagt, die Ampel sei nur eine Übergangsregierung. „Das geht völlig an den Erwartungen der Menschen vorbei“. Sie würden erwarten, dass die Regierung in der zur Verfügung stehenden Zeit alles tue, um die Lage zu verbessern. „Wenn man aber jetzt mit dem Begriff der Übergangsregierung signalisiert, wir sind eigentlich schon in der Auslaufstrecke, dann verfehlt man genau diese Erwartungen.“ Ob das rot-grün-gelbe Bündnis bis zur Bundestagswahl 2025 durchhält, wollte Steinmeier nicht beurteilen. Er hofft, dass sich die Regierung zusammenrauft und die Haushaltsstreitigkeiten bald ad Acta legt.

Gespür für Sorgen auf dem Land

Dass die Ampel sich auch beim Haushalt nicht einig ist, ja wieder wochenlang öffentlich streitet, bestätigt Vorurteile, dass der Politikbetrieb in Berlin oft nur um sich selbst kreist und die Tuchfühlung zu den einfachen Bürgern verloren hat. „Wir müssen uns wieder stärker auf die Wurzeln von Politik besinnen und dahin gehen, wo die Menschen ihre Sorgen haben“, sagte Steinmeier. Das ZDF-Interview fand auch deswegen vor seiner 12. Ortszeit in Stendal in Sachsen-Anhalt statt. So heißen Besuche des Staatsoberhaupts in der Provinz, überwiegend in Ostdeutschland, wo er einige Tage seine Amtsgeschäfte erledigt und mit Bürgern ins Gespräch kommt. Bei den Ortszeiten bekomme er mit, dass die Agenda der Landeshauptstädte und der Bundeshauptstadt nicht immer das erfasst, was vor Ort tatsächlich fehlt: die langen Wege zur Schule, fehlende Ärzte, Kneipen und Einkaufsmöglichkeiten. „Ganz besonders im Osten, wo die Infrastruktur entsprechend dünner ist.“

Eines bereitet Steinmeier viel Kopfzerbrechen: dass der Ton in der Gesellschaft „zunehmend unversöhnlich wird“ und die Distanz zwischen den Menschen und der Politik wächst. Die Tat von Solingen könnte dazu beitragen, dass sich vor allem die erst genannte Tendenz in nächster Zeit noch verstärkt.

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