Die Bundestagswahl 2021 in Berlin verlief chaotisch. Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht entschieden: In 455 Wahlbezirken muss die Wahl wiederholt werden. An der Mehrheit der Ampelkoalition im Bundestag wird das aber nichts ändern. Und auch die Linke ist erleichtert.
Wegen zahlreicher Pannen muss die Bundestagswahl 2021 in Berlin in gut einem Fünftel der Wahlbezirke wiederholt werden. Als Datum dafür nannte Landeswahlleiter Stephan Bröchler im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe den 11. Februar 2024.
Da die Ampel-Koalition im Bundestag eine deutliche Mehrheit hat, dürfte sich an den Machtverhältnissen im Parlament nicht grundlegend etwas ändern. Einzelne Abgeordnete könnten aber ihren Job verlieren.
Wiederholung in 455 von 2256 Bezirken
Das Bundesverfassungsgericht hatte die chaotischen Abläufe am 26. September 2021 in der Bundeshauptstadt auf mandatsrelevante Wahlfehler hin überprüft - also auf Fehler, die Einfluss auf die Verteilung der Sitze im Parlament haben können. Es kam zu dem Schluss, dass die Bundestagswahl in 455 Wahlbezirken samt der zugehörigen Briefwahlbezirke wiederholt werden müsse - und zwar mit Abgabe der Erst- und Zweitstimme. (Az. 2 BvC 4/23)
Der Bundestag habe das Wahlgeschehen unzureichend aufgeklärt, befand der Zweite Senat in Karlsruhe. Er habe Niederschriften einzelner Wahlbezirke nicht ausgewertet. Das habe das Gericht nachgeholt, erläuterte die Vorsitzende Richterin Doris König. Demnach wurde die Wahl in 31 Wahlbezirken mehr für ungültig erklärt, als der Bundestag 2022 beschlossen hatte. Betroffen sind alle zwölf Berliner Wahlkreise in mehr oder weniger großem Umfang.
Lange Liste von Pannen am Wahltag
Der Wahltag am 26. September 2021 war in vielen Berliner Wahllokalen chaotisch verlaufen: Menschen mussten lange warten und Schlange stehen, Stimmzettel waren falsch oder fehlten ganz. Vorübergehend mussten Wahllokale schließen oder blieben bis weit nach 18.00 Uhr geöffnet - dem Zeitpunkt, an dem die Stimmabgabe eigentlich vorbei sein sollte. Dann gibt es in der Regel erste Prognosen zum Ergebnis.
Beim Bundestag wurden 1713 Einsprüche gegen die Bundestagswahl im Land Berlin erhoben, darunter auch einer des Bundeswahlleiters. Der Bundestag beschloss eine teilweise Wiederholungswahl mit den Stimmen der Ampel-Fraktionen SPD, Grüne und FDP. Aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion war der Beschluss aber rechtswidrig, unter anderem weil der Bundestag die Wahl in sechs vom Bundeswahlleiter angefochtenen Wahlkreisen nicht insgesamt für ungültig erklärt habe. Daher reichte sie in Karlsruhe eine Wahlprüfungsbeschwerde ein.
Gericht prüfte mögliche Wahlfehler
Das höchste deutsche Gericht urteilte nun, dass der Beschluss im Ergebnis überwiegend rechtmäßig sei. Es monierte aber im Detail nicht berücksichtigte Wahlfehler. Die von der Unionsfraktion geforderte Ausweitung der Wahlwiederholung gehe allerdings zu weit, da nicht in allen Fällen aufklärbar sei, ob Wahlfehler vorgelegen hatten.
Als Wahlfehler wertete das Gericht unter anderen, dass Wahlberechtigte Stimmzettel eines anderen Wahlkreises bekamen und eine zeitweilige völlige Schließung eines Wahllokals. Differenzierter betrachtete der Senat überlange Wartezeiten und Stimmabgaben nach 18.00 Uhr, die nicht in jedem Fall Wahlfehler seien.
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Vor allem Linke hatte gezittert
Vertreter aller Parteien im Bundestag begrüßten, dass nun Klarheit herrsche. Nur die AfD kommentierte: "Für uns steht fest, dass nur eine vollständige Wiederholung die massiven Mängel des Wahltags beheben kann." Insbesondere die Linke äußerte sich erleichtert. "Mit dem Urteil ist klar, dass wir im Bundestag bleiben und unsere Aufgabe als soziale Opposition weiter wahrnehmen werden", sagte der frühere Fraktionschef
Die Teilwiederholung könne den Ausgang in den beiden Wahlkreisen nicht verändern, in denen die Linke Direktmandate gewonnen habe, sagte Bartsch. Nur dank dreier Direktmandate konnte die Partei in den Bundestag ziehen, weil sie insgesamt unter der Fünf-Prozent-Hürde geblieben war. Das dritte Direktmandat erzielte sie in Leipzig.
Aus Sicht von SPD-Chefin Saskia Esken stärkt das Urteil das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in die Bedeutung ihrer Stimme. Es müsse gewährleistet sein, dass so eine Wahl ohne Fehler ablaufe und richtig ausgezählt werde, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur.
Die Bundestagsabgeordneten Till Steffen (Grüne) und Patrick Schnieder (CDU) brachten in Karlsruhe eine Reform der Abläufe ins Gespräch. Das zweistufige Verfahren, in dem zunächst der Bundestag und erst danach das Verfassungsgericht eine Wahl prüft, dauere zu lang.
Unterschiede zur Abgeordnetenhauswahl
Wegen der Pannen am 26. September 2021 hatte der Berliner Verfassungsgerichtshof die Wahl zum Abgeordnetenhaus wegen "schwerer systemischer Mängel" und zahlreicher Wahlfehler für ungültig erklärt. Diese Wahl wurde am 12. Februar 2023 komplett wiederholt - mit dem Ergebnis, dass eine schwarz-rote Koalition das Dreierbündnis von SPD, Grünen und Linken ablöste, das seit 2016 regiert hatte.
Dass das Bundesverfassungsgericht für die Bundestagswahl keine vollständige Wiederholung anordnete, erklärte König mit unterschiedlichen Rechtsgrundlagen der Konstituierung verschiedener Parlamente. Dabei seien bei den Landeswahlen Wahlfehler wie die Verwendung kopierter Stimmzettel aufgetreten, die bei der Bundestagswahl nicht feststellbar gewesen seien, erläuterte sie.
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner sieht die zweite Wahlwiederholung in seiner Stadt binnen kurzer Zeit als "große Kraftanstrengung". Er habe volles Vertrauen in Landeswahlleiter Bröchler, dass die teilweise Wiederholung der Bundestagswahl reibungslos ablaufen werde, erklärte der CDU-Politiker. Bröchler selbst erklärte noch im Sitzungssaal: "Also bei uns beginnen sozusagen jetzt die Umsetzungsschritte für die Wiederholungswahl, für die erfolgreiche Wiederholungswahl - das ist unser Ziel." (dpa/fab)
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