Die hessische Landtagswahl hat die Unsicherheit in der Bundesregierung weiter vergrößert. Eine Zukunft hat die Große Koalition wohl nur, wenn sie ein häufig gemachtes Versprechen in die Tat umsetzt.

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Große Koalition, große Verluste: Zusammengezählt haben CDU und SPD bei der hessischen Landtagswahl 22,2 Prozentpunkte verloren. In einer repräsentativen Umfrage von Infratest dimap hatten zuvor gerade mal 30 Prozent der Befragten in Hessen gesagt, dass sie mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden seien.

In der SPD sind die Stimmen, die einen Ausstieg aus der ungeliebten GroKo fordern, nicht leiser geworden. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel verzichtet nun sogar auf den CDU-Parteivorsitz und tritt 2021 nicht mehr als Kanzlerkandidatin an. Hat das Bündnis der früheren Volksparteien überhaupt noch eine Zukunft?

Ein neuer Fahrplan, aber vorerst kein Bruch

Derzeit halten die schlechten Umfragen die Koalition noch zusammen. CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer rechnet im Fall eines Endes der GroKo mit Neuwahlen. Und an denen haben derzeit weder Union noch SPD ein Interesse.

Eine sichtlich zerknirschte SPD-Vorsitzende erklärte am Abend der Hessen-Wahl aber auch: "Der Zustand der Regierung ist nicht akzeptabel." Andrea Nahles kündigte einen "Fahrplan" an, mit dem ihre Partei die Umsetzung wichtiger Projekte bis in das kommende Jahr hinein festschreiben will.

Zur Hälfte der Legislaturperiode soll die sozialdemokratische Basis dann darüber abstimmen, ob ihre Partei die GroKo fortsetzen soll. Ein mögliches Ende könnte also schon absehbar sein.

Schwer abzuschätzende Dynamik

"Nahles hat mit ihrem Fahrplan auch klar gemacht, dass sie jetzt noch nicht über die Zukunft der Regierung entscheiden will", sagt der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer im Gespräch mit unserer Redaktion. "Ob das durchzuhalten sein wird - da bin ich mir angesichts der Dynamik in der Partei allerdings noch nicht sicher", so Niedermayer.

Der Ruf nach bundespolitischen Konsequenzen aus der Hessen-Wahl war am Wahlabend laut. Er kam zum Beispiel vom Spitzenkandidaten und stellvertretenden Bundesvorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel - auch wenn unklar blieb, wie genau diese Konsequenzen aussehen könnten.

Oskar Niedermayer sagt allerdings auch: "Wenn die SPD die GroKo platzen lassen will, bräuchte sie einen gravierenden bundespolitischen Grund." Bisher sei ein solcher Grund aber nicht in Sicht.

Streit wird sich nur schwer vermeiden lassen

Der ständige Koalitionsstreit wird in Umfragen häufig als Grund für die Unzufriedenheit mit der GroKo genannt. Womöglich haben die vergangenen zwei Landtagswahlen dafür gesorgt, dass diese Botschaft deutlich in Berlin angekommen ist: Schon seit der Bayern-Wahl ist es in der Bundesregierung deutlich ruhiger geworden.

Politikwissenschaftler Niedermayer erwartet, dass die Union eher auf Mäßigung setzen wird. Unklar ist die Zukunft von CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer. Sollte er den Parteivorsitz, vielleicht sogar das Innenministerium räumen, könnte das auch an der Stimmung im Kabinett etwas ändern.

Offen ist auch, auf welchen Stil und auf welche Inhalte der oder die nächste Vorsitzende der CDU setzen wird.

Für Unruhe könnten aber die angeschlagenen Sozialdemokraten sorgen, glaubt Niedermayer: "Die SPD muss der Basis etwas anbieten, wenn sie die GroKo aufrechterhalten will. Damit müsste sie aber möglicherweise stärker Konflikte mit der Union riskieren als bisher - und das kann dazu führen, dass es weiter zu Krisen in der Koalition kommt."

Zum Erfolg verdammt

Man wolle nun zur Sachpolitik, zu den Inhalten zurückkehren - das war schon vor dem Abend der Hessen-Wahl eine häufig zu hörende Floskel. Dabei arbeitet die GroKo durchaus ihre Vorhaben ab, hat zum Beispiel 5,5 Milliarden Euro für bessere Kitas bereitgestellt und die Krankenversicherungsbeiträge wieder zu gleichen Teilen auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer verteilt. Der ständige Streit hat das in der öffentlichen Wahrnehmung aber überlagert.

Nach Oskar Niedermayers Ansicht würde es der GroKo guttun, das häufige Versprechen von der Rückkehr zur Sachpolitik wirklich umzusetzen. "Helfen würde zum Beispiel eine sinnvolle Lösung für die Diesel-Problematik, weil die bisherigen Vorschläge den Leuten nicht zu vermitteln waren."

Auch in der Flüchtlingspolitik sei es für die Parteien wichtig voranzukommen. "Zum Beispiel wenn es um Menschen geht, die sich in Deutschland eigentlich nicht mehr aufhalten dürfen, aber nicht abgeschoben werden", sagt Niedermayer.

Allerdings stünden beide Parteien bei diesem Thema auch vor besonderen Herausforderungen: "In gesellschaftspolitischen Fragen wie der Flüchtlingspolitik fällt es Union und SPD besonders schwer, eine Sichtweise zu finden, die ihre unterschiedlichen Wählergruppen zufriedenstellt."

Die Zeit drängt für die Koalitionsparteien. Denn die SPD-Basis soll zur Halbzeitbilanz darüber abstimmen, ob die Partei das Bündnis verlässt oder fortsetzt. Eine Zukunft hat die GroKo wohl nur, wenn sie bis dahin Geschlossenheit und erfolgreiche Projekte vorweisen kann.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Prof. Dr. Oskar Niedermayer, Freie Universität Berlin
  • tagesschau.de: Umfragen zur Bundespolitik
  • Zeit Online: Kramp-Karrenbauer warnt vor möglichen Neuwahlen
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