- Die Würfel sind gefallen: Nachdem die Grünen Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin gekürt haben, ist bei der CDU die Wahl auf Armin Laschet gefallen.
- Eine/r von beiden könnte nach der nächsten Bundestagswahl Kanzlerin beziehungsweise Kanzler werden.
- Experten sagen: politisch könnten sie gut miteinander - doch ein paar Knackpunkte bleiben.
In der eingespielten deutschen "Konsens- und Wahldemokratie", meint der Kasseler Politikprofessor Wolfgang Schroeder, könnte aus
"Wenn der Wirtschaftsflügel der CDU dominiert", gibt Hajo Funke zu bedenken, dann könnte es mit dem gesellschaftlichen Wandel schwierig werden, den grüne Klimapolitik erfordere. Noch schwieriger wäre es, wenn an einer möglichen Koalition auch die FDP beteiligt wäre: "Die ökologischere Ausrichtung der Politik ist für Baerbock entscheidend, aber für Wirtschaftsliberale mit großen Problemen verbunden. Klima, Umwelt, Auto – das wären dann entscheidende Knackpunkte." Es gehe immerhin um eine radikale sozial-ökologische Wende, die den Staat zum aktiven Player mache.
Auch Armin Laschet selbst, meint er, könnte sich im Umgang mit grüner Klimapolitik schwertun, wie sich an seiner Politik als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen zeige, aber auch an seiner Rolle beim umstrittenen Kohlekompromiss.
Potenzielles Streitthema: die Verteilungsfrage
Könnte es Annalena Baerbock, bekannt für klare Formulierungen und getragen vom populären Wunsch nach klimafreundlicher Politik, leicht haben mit Armin Laschet, der im Kampf um die Kanzlerkandidatur einen bisweilen zögerlichen Eindruck machte? Wolfgang Schroeder verneint die Frage: "Das Medienbild vom Zögerer und Zauderer ist eine vollkommene Unterschätzung des Mannes."
Laschet habe als Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslandes NRW viele Auseinandersetzungen ausgefochten, die für die Grünen "nicht konsensvoll gelaufen" seien. Auch in der Auseinandersetzung mit dem "putschistischen Interventionskünstler" Markus Söder habe er hartnäckiges und letztlich erfolgreiches Durchhaltevermögen gezeigt.
Schroeder sieht zwei große Konfliktthemen zwischen den beiden Kandidaten: Zum einen werde die nächste Bundesregierung die Kosten der Pandemie zu bezahlen haben. Zum anderen stehe im Rahmen einer neuen Klimapolitik die Verkehrs- und Energiewende an. "In beiden Fällen", sagt der Experte, "wird es um das Verhältnis von Ökologie, Ökonomie und Sozialem gehen – kurz gesagt um klassische Fragen der Verteilungspolitik."
Auch konfliktträchtig: die Migrationspolitik
In diesen Fragen gebe es ebenso wenig Konsens wie beispielsweise beim Thema Zuwanderung, das sich zu einem "massiven Sprengsatz" entwickeln könne. "Die verschiedenen Standpunkte werden nicht leicht auszubalancieren sein, das ist nur mit Mut zum Konflikt zu lösen. Wie die Schlachtordnung aussehen wird, wird sich erst langsam konkretisieren."
Hajo Funke sieht diese Gegensätze ebenfalls, ist aber überzeugt, Laschet und Baerbock seien "kompatibel". Er charakterisiert die Ziele der grünen Kandidatin als "pragmatisch, nicht wirtschaftsfeindlich, nicht dirigistisch, aber vor allem nicht marktradikal", sie selbst als "durchsetzungsstark, europäisch und mit gesellschaftlich emanzipierter Haltung". Diese Position treffe auf eine Laschet-CDU, die stark von
Funkes paradox erscheinende Argumentation: Das politische Ordnungssystem können die Grünen heute deshalb bedingungslos anerkennen, weil sie selbst es grundlegend verändert haben. Die CDU ist zum möglichen Koalitionspartner der Umweltschützer geworden, weil sie sich in diesem Prozess mit verändert hat. Nach Funkes Meinung gibt es bei Armin Laschet "nichts Nationalistisches und nichts Populistisches", auch in Fragen des Sozialen und des Umgangs mit Rechtsnationalen sieht er "keine Knackpunkte".
Viel ideologischer Ballast ist weggefallen
"In den Merkel-Jahren", betont er, "hat ein Demokratisierungsprozess stattgefunden, an dem man heute nicht mehr vorbeikommt." Eine Einschätzung, der Wolfgang Schroeder zustimmt: Annalena Baerbock repräsentiert für ihn "eine neue Generation", die "nicht mehr gegen ihre Eltern aufbegehren" müsse, die "nicht mehr vom deutscher Teilung und Ost-West-Blockkonfrontation geprägt" sei, Die Folge: Viele Konfliktlinien haben sich abgeschwächt, viele Probleme könnten Baerbock und Laschet ohne hinderlichen ideologischen Ballast diskutieren. Das unselige, während der Einwanderungskrise geprägte Wort vom "Asyltourismus", meint Funke, sei heute "nicht einmal mehr in der bayerischen Bevölkerung mehrheitsfähig."
Dass es in der Flüchtlingspolitik trotzdem zum Streit kommen könnte, steht für beide Experten außer Frage. Doch weitere Knackpunkte zwischen Baerbock und Laschet lassen sich offensichtlich gar nicht so leicht finden. Schließlich haben die Grünen nicht nur die gesellschaftliche Wahrnehmung, sondern auch sich selbst verändert. Mehr Geld fürs Militär will heute sogar Annalena Baerbock. Und wo die Grünen früher der Austritt aus der Nato gefordert haben, plädieren sie heute für deren Reform. Deshalb sieht Schroeder wenig Sinn in Baerbocks Anspruch, "alles neu" zu machen: "Es gibt gar keinen Bedarf für eine Rundum-Erneuerung". Und mithin wenig Grund, mit Armin Laschet als Vertreter des "alten Regimes" viel Streit vom Zaun zu brechen.
- Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Wolfgang Schroeder lehrt und forscht am Wissenschaftsze-ntrum Berlin für Sozialforschung sowie an der Universität Kassel
- Der emeritierte Politikwissenschaftler Prof. Hajo Funke lehrte bis 2010 an der Freien Universität Berlin.
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