Weil Unregelmäßigkeiten festgestellt wurden, erklärte der Verfassungsgerichtshof den zweiten Durchlauf der Bundespräsidentenwahl für ungültig. Die Stichwahl wird wiederholt. Im ORF berichtet der "Report" über die Chancen der Kandidaten und mögliche Änderungen am österreichischen Wahlrecht.

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Wie denken die Österreicher über die Wahlwiederholung?

Laut einer Umfrage von Meinungsraum.at sehen 50 Prozent der Österreicher die Wahlwiederholung als gerechtfertigt an, während 41 Prozent dagegen sind. Unter den Befürwortern sind viele FPÖ-Wähler, aber auch 40 Prozent der ÖVP-Wähler und 27 Prozent der SPÖ-Wähler.
"An echte Manipulationen glaubt nur ein kleiner Teil der Österreicher", meint Christina Matzka, Projektleiterin bei Meinungsraum.at.

Immerhin 30 Prozent haben einen Manipulationsverdacht, "Wähler der FPÖ naturgemäß in höherem Ausmaß".

Wie sind die finanziellen Auswirkungen?

Der bisherige Wahlkampf kostete die beiden Wahlkampfteams zusammengerechnet über 6 Millionen Euro. Für den erneuten Anlauf werden weitere Millionen eingesetzt, auch wenn die hohen Kosten schon spürbar sind.
"Es wird sparsam werden, weil wir ja keine Materialschlacht veranstalten werden", erklärt Hofers Wahlkampfleiter Herbert Kickl.

"Wir brauchen wirklich jeden Euro, weil wir uns ansonsten sehr schwer tun werden, eine große österreichweite Bewegung auf die Beine zu stellen", meint Van der Bellens Kampagnenleiter Lothar Lockl.

Was ist vom Wahlkampf zu erwarten?

"Beide haben relativ viele Wähler, die in ihrer Bindung an Norbert Hofer oder Alexander Van der Bellen noch nicht so gefestigt sind", erläutert Meinungsforscher Christoph Hofinger. "Die brauchen emotionalen Anschub, um wieder zur Wahl hinzugehen."

Er sagt voraus, dass im Wahlkampf einerseits das Image der Kandidaten gefestigt wird, andererseits aber auch Negativ-Kampagnen gegen den Gegner erfolgen werden. "Für beide war das Verhindern des jeweils anderen ein sehr wichtiges Wahlmotiv – bei Hofer-Wählern ungefähr ein Drittel und bei Van-der-Bellen-Wählern war es fast die Hälfte", so Hofinger.

Lothar Lockl glaubt, dass die Auswirkungen der Brexit-Abstimmung seinem Kandidaten Van der Bellen Zulauf bringen werden, nachdem sich Hofer ebenfalls immer wieder kritisch zur EU äußerte. "Die Zerschlagung der Europäischen Union, der Verlust von hunderttausenden Arbeitsplätzen, die Wiedererrichtung von Grenzzäunen zwischen Österreich und Nachbarländern – das ist nicht der Weg, den sich die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher vorstellt", meint er.

"Es war niemals das Ziel von Norbert Hofer, dass es einen 'Öxit' geben soll", behauptet FPÖ-Mann Herbert Kickl. "Worauf er hingewiesen hat, ist, dass es jetzt wichtig ist, dass die Europäische Union aus diesem Ausscheiden der Briten die richtigen Lehren zieht."

Wie stehen jetzt die Chancen für die Kandidaten?

"Aus heutiger Sicht haben wir eine absolute Pattstellung, was ein mögliches Wahlergebnis betrifft", meint Christina Matzka. "Was jedoch interessant ist, ist die Ansicht der Österreicher auf die Frage, wer denn die Wahl gewinnen wird. Hier sehen wir einen leichten Vorteil, eine Art 'Siegerbonus', für Alexander van der Bellen."

Hofer selber meint zum neuen Anlauf nur, dass er den Wahlkampf so anlegen werde, "dass er ihn gewinnen kann". Van der Bellen glaubt: "Wenn ich einmal unter widrigen Umständen gewinnen kann, so kann ich das auch ein zweites Mal."

Muss das österreichische Wahlgesetz geändert werden?

"Dass es nicht umsetzbar ist, ist sicher nicht richtig", meint Jurist Werner Zögernitz von der ÖVP. Richtig sei aber, "dass einige Dinge nicht sehr praktikabel sind – zum Beispiel ist es sicher nicht unproblematisch, wenn ich erst ab Montag 9 Uhr die Wahlkarten auszählen darf, wo beispielsweise Wochenpendler bereits nicht mehr zuhause sind und daher keine Möglichkeit haben, als Beisitzer tätig zu sein."

Teilweise wurde das Wahlgesetz schon gelockert: In Oberösterreich beispielsweise werden seit 2009 zumindest die Gemeinde- und Landtagswahlen noch am Wahltag direkt in den Gemeinden ausgezählt. Somit entfällt der Weg über die Bezirkshauptmannschaften, und es müssen für den Montag keine Beisitzer gesucht werden.

Auch in Niederösterreich und Salzburg werden die Karten bei Landeswahlen bereits am Sonntag ausgezählt, in den anderen Ländern nicht.

Zögernitz wünscht sich mehr Flexibilität: "Man sollte die Möglichkeit schaffen, dass die Auszählung unmittelbar – vielleicht eine Stunde nach Wahlschluss – beginnen kann, aber nicht beginnen muss". Auch Verfassungsjurist Heinz Mayer schwebt eine Änderung im Wahlgesetz vor: "Ich hielte es für zweckmäßiger, wenn man beamtete Kommissionen einsetzt und es den Parteien freistellt, ob sie Beobachter oder Wahlzeugen hinschicken".

Waren die Verstöße bekannt?

Ähnliche Unregelmäßigkeiten wie bei der Stichwahl wurden schon vor sechs Jahren angesprochen: Die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) war bei der Bundespräsidentenwahl 2010 als Beobachter tätig und empfahl schon damals, "die Verteilung, Retournierung und Aufbewahrung von Wahlkarten strenger zu gestalten, um den Missbrauch eines derzeit auf ein erhebliches Ausmaß an Vertrauen beruhenden Systems zu verhindern".

Tatsächlich berichtete man schon damals, dass "Mitglieder der Wahlbehörde entgegen den Bestimmungen das Ergebnisprotokoll im Voraus unterzeichnet haben."

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