Robert Habeck will Grünen-Chef werden. Die Erwartungen an den Senkrechtstarter aus Schleswig-Holstein sind hoch. Doch die Partei müsste mit alten Regeln brechen, wenn er ihr Vorsitzender werden soll.
Schriftsteller und vierfacher Vater, Minister und Talkshow-Liebling: Es gibt viele Rollen, die
Am Wochenende soll eine weitere hinzukommen. Auf der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen will sich der 48-Jährige zum Vorsitzenden wählen lassen.
Die Erwartungen sind hoch. Als Messias der Grünen, auch "als neuer Joschka Fischer" wurde der Politiker aus der Nähe von Flensburg schon bezeichnet.
Eher ein Anti-Joschka
Den Vergleich mit dem ehemaligen Außenminister Fischer findet Hubert Kleinert schwierig. Der Professor an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung saß in den 80er Jahren selbst für die Grünen im Bundestag.
"Fischer war mit seiner gebrochenen Biographie die Symbolfigur für die nachträgliche Aussöhnung der Gesellschaft mit den Alt-68ern", sagt er. "Er hat aber auch ein Auftreten an den Tag gelegt, das vielen Menschen heute wohl zu autoritär wäre."
Kleinert warnt zwar davor, allzu viele Vorschusslorbeeren an Habeck zu verteilen. Eine Stärke des möglichen neuen Grünen-Chefs könne aber durchaus sein, dass er anders auftritt als Fischer: "Habeck traut man auch nachdenkliche Zwischentöne zu", sagt er.
"Solche Figuren haben durchaus eine Chance zu überzeugen. Der Sinn für Zwischentöne und für Pragmatismus passt sehr gut in die Zeit."
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete
"Ich glaube, dass wir unsere Rolle neu definieren müssen: als linksliberale Partei mit einem gesamtgesellschaftlichen Anspruch, die in allen Politikbereichen gut aufgestellt ist", sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion.
Seinem Parteifreund Habeck traut er diese Aufgabe zu. "Robert ist ein sehr kommunikativer und kluger Kopf, der es versteht, auch komplizierte Politikthemen für die Leute greifbar zu machen."
"Schreiben war mein Leben"
Parteimitglied wurde Habeck erst mit Mitte 30: 2002 trat er den Grünen bei, schon zwei Jahre später wurde er Vorsitzender des schleswig-holsteinischen Landesverbands, 2009 dann Chef der Fraktion im Kieler Landtag.
Zuvor hatte er gemeinsam mit seiner Frau, mit der er vier Söhne hat, Kinderbücher und Romane geschrieben. "Schreiben war mein Leben, bevor es Politik wurde", heißt es auf seiner Homepage.
2012 wurde er Minister und stellvertretender Ministerpräsident - und blieb es auch nach der Landtagswahl 2017, nach der er mit CDU und FDP ein vielbeachtetes Jamaika-Bündnis in Schleswig-Holstein schmiedete.
Habecks großes Ministerium ist für Energie, Umwelt, Landwirtschaft und Digitalisierung zuständig. Und weil es ihm so ans Herz gewachsen ist, will er es auch nicht sofort verlassen, sondern nach der Wahl zum Parteichef noch rund ein Jahr Minister bleiben und den Übergang regeln.
Zwei Posten, drei Kandidaten
Genau darin liegt auch das Problem, das seine Kandidatur für die Grünen mit sich bringt: Um ihren Senkrechtstarter an die Spitze zu heben, müsste die Öko-Partei mit traditionellen Regeln brechen.
Bisher verbietet es die Satzung, dass ein Parteivorsitzender auch ein Regierungsamt innehat. Wenn Habeck darauf besteht, noch ein Jahr Minister zu bleiben, müsste die Partei ihre Statuten ändern.
Bundestagsmitglied Konstantin von Notz sieht bei dem Thema Einigungsmöglichkeiten.
"Bei der Vereinbarkeit von Ministeramt und Parteiamt geht es um eine Übergangszeit", sagt er. "Die Frage ist, wie lang sie sein darf. Ich glaube, dass man sich da auf einen Kompromiss verständigen kann, wenn alle konstruktiv und unaufgeregt diskutieren."
Das zweite Problem: Die Grünen haben zwei Vorsitzende. Für den anderen Teil der Doppelspitze kandidieren die Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock und die niedersächsische Fraktionsvorsitzende Anja Piel.
Realos gegen Linke
Und bisher war es ein ungeschriebenes Grünen-Gesetz, dass die beiden Vorsitzenden auch beide Flügel der Partei repräsentieren: die Realos und die Linken. Die Chefin wird zuerst gewählt, und Annalena Baerbock gilt wie Habeck als Realo.
Das heißt: Sollte sie sich zunächst gegen die Linke Anja Piel durchsetzen, müssten die Delegierten zwei Realos an die Spitze wählen, wenn sie auch Habeck als Chef haben wollen.
Konstantin von Notz sieht das "unaufgeregt". Aber ist auch die grüne Basis bereit, auf das Gleichgewicht der Strömungen zu verzichten?
Habeck will sich ohnehin keinem Flügel zurechnen. Auch Wissenschaftler Hubert Kleinert sagt: "Die ideologischen Gegensätze haben sich bei den Grünen eher abgeflacht."
Er glaubt, dass ein Generationenwechsel für viele Mitglieder wichtiger wäre als der Flügelproporz. "Insofern kann ich mir durchaus vorstellen, dass das Tandem Habeck-Baerbock an die Parteispitze kommt."
Für ihn wäre alles andere als der Schritt an die Parteispitze wohl auch eine heftige Enttäuschung.
"Nicht gebraucht zu werden, ist nicht mein Ding", hat er einmal in einer Fernsehdokumentation gesagt.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.