Mit großer Erleichterung hat die SPD-Spitze das Ja der Delegierten zu Koalitionsverhandlungen mit der Union aufgenommen. Eine Politikwissenschaftlerin erklärt, warum das Ergebnis für Parteichef Martin Schulz keine Stärkung bedeutet - für die Debattenkultur der SPD allerdings schon.

Alles zum Stand der Koalitionsverhandlungen

Der große Showdown hat nicht zum großen Knall geführt. Auf dem SPD-Sonderparteitag in Bonn haben sich 362 (57 Prozent) der 642 Delegierten für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU ausgesprochen.

279 Delegierte stimmten mit Nein, einer enthielt sich. Es herrschte fast Totenstille im Saal, als die Handzeichen der Anwesenden von den Mitgliedern der Zählkommission erfasst wurden.

SPD-Chef Martin Schulz und Bundestagsfraktionschefin Andrea Nahles war auch nach der Bekanntgabe des Ergebnisses keine wirkliche Erleichterung anzusehen. Zu groß muss der Druck des Tages und der vergangenen Wochen auf ihnen gelastet haben.

Expertin: SPD wird noch einmal Ja stimmen

"Das war ein Krimi", sagt Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing im Gespräch mit unserer Redaktion. "Damit ist der Weg zu einer neuen Großen Koalition frei."

Die Politikwissenschaftlerin spricht von einem "Durchbruch". Sie geht davon aus, dass der kommende Koalitionsvertrag auch von den SPD-Mitgliedern mit einem "respektablen Ja" abgesegnet wird.

Ein wichtiger Grund: Die Jusos, die SPD-Nachwuchsorganisation, die das Sondierungspapier vehement bekämpft hatten, machen von den rund 440.000 Mitgliedern nur einen geringen Anteil aus.

Schulz weder beschädigt, noch gestärkt

Ein Nein der Sozialdemokraten hätte auch für CDU-Chefin Angela Merkel und CSU-Boss Horst Seehofer Konsequenzen gehabt.

Bei Neuwahlen wären die Rufe nach einer Erneuerung der Parteispitzen lauter geworden. Der angeschlagene Martin Schulz hätte sich ebenfalls kaum im Amt halten können.
Die Lage von Schulz bewertet Münch trotz der Zustimmung der SPD ambivalent. Der 62-Jährige gehe "auf keinen Fall beschädigt, aber auch nicht gestärkt" aus dem Sonderparteitag hervor.

Der große Befreiungsschlag sei ausgeblieben. "Mit seiner nicht gerade bewegenden Rede hat Schulz nur bedingt zum Ja-Votum beigetragen."

Die Ansprachen der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer und von Andrea Nahles seien weitaus überzeugender gewesen. "Schulz stand ganz erheblich unter Druck und hat es nicht geschafft, sich von der ganzen Last frei zu machen", sagt Münch.

Macht Schulz noch eine Kehrtwende?

Die Expertin rechnet zwar damit, dass Schulz "noch eine Weile" SPD-Chef bleiben wird. Sie würde ihm allerdings nicht empfehlen, in die kommende Bundesregierung einzutreten, sondern als Parteivorsitzender alles dafür zu tun, in vier Jahren ein ordentliches Ergebnis für die SPD herauszuholen.

Schulz hatte sich nach der Bundestagswahl im September mit der Rückendeckung des Vorstands auf ein klares Nein zu einer erneuten GroKo festgelegt.

Schon im Wahlkampf hatte er immer wieder gesagt, unter keinen Umständen in ein Kabinett unter Kanzlerin Merkel einzutreten.

Nachdem die Sondierungsgespräche zwischen CDU/CSU, Grünen und FDP gescheitert waren, vollzog er zum Unmut vieler Parteimitglieder eine Kehrtwende. Wenn er nun Minister wird, wäre das die zweite.

Auf dem Sonderparteitag sagte er: "Man muss nicht um jeden Preis regieren, aber man darf auch nicht um jeden Preis nicht regieren wollen."

Expertin: SPD ist nicht gespalten

Münch sieht die SPD trotz des knappen Ja für die GroKo-Sonderierungen nicht gespalten.

Vom Ergebnis her ja, von der Form der Debatte her nein, sagt sie. "Ich fand es sehr bemerkenswert und beeindruckend, wie konstruktiv und mit wie viel Herzblut trotz der hochkochenden Emotionen gestritten wurde. Völlig ohne persönliche Anfeindungen", so die Politikwissenschaftlerin.

Weder die eine, noch die anderen Gruppe sei zu den besseren oder schlechteren Sozialdemokraten gemacht worden. "Ich kann mir gut vorstellen, dass dieser Sonderparteitag der SPD gut getan hat."

Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, ob die SPD die Debatten weiterführt und nicht im Eifer von Koalitionsverhandlungen, Mitgliederentscheid und Regierungsbildung unter den Tisch fallen lässt.

Und was machen nun die GroKo-Gegner? Die Direktorin der Akademie für politische Bildung rechnet damit, dass die Jusos nach dem knappen Ergebnis weiter vehement gegen die Fortführung der verhassten Koalition kämpfen werden.

Die Nachwuchsorganisation sei unheimlich gut vernetzt. Und der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert hatte sich in den letzten Wochen durch seine scharfen Analysen und glänzende Rhetorik viel Respekt erworben.

"Das Ergebnis des Mitgliederentscheids steht trotz der Tendenz für die Große Koalition noch nicht fest", gibt Ursula Münch zu Bedenken. "Theoretisch ist noch alles möglich."

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