2024 war laut Wetterdiensten das wärmste Jahr Beginn der Aufzeichnungen. Die 1,5-Grad-Marke wurde erstmals überschritten. Im aktuellen Wahlkampf spielt das Thema Klima keine Rolle. Zum Unverständnis von Klimaexpertin Elke Hertig.
Starkregen, Überschwemmungen und Dürreperioden. Der menschengemachte Klimawandel sorgt auch in Deutschland und Europa immer häufiger für Extremwetterlagen. Jahrhunderthochwasser folgen auf Jahrhunderthochwasser. Rekordhitzejahre auf Rekordhitzejahre.
Im aktuellen Wahlkampf aber ist das Thema Klima kaum präsent. Sehr zum Unverständnis von Elke Hertig, der Inhaberin des Lehrstuhls für Regionalen Klimawandel und Gesundheit an der Universität Augsburg.
Frau Hertig, alle reden von der Wirtschaftskrise. 2021 war das Thema Klima im Wahlkampf präsenter. Ist die Klimakrise nur was für Schönwetter-Zeiten?
Elke Hertig: Keinesfalls. Es ist verwunderlich, dass das Thema so in den Hintergrund geraten ist. Eigentlich ist die Klimakrise so drängend, dass wir uns ihr kontinuierlich zuwenden müssen.
Aus dem ausgewiesenen 1,5-Grad-Ziel wurde in den vergangenen Jahren klammheimlich das 2-Grad-Ziel. Haben wir schon aufgegeben?
Wenn wir schnell massive Klimaschutz-Maßnahmen umsetzen, könnten wir das 1,5-Grad-Ziel womöglich noch erreichen. In der aktuellen politischen Lage sehe ich das nicht. Wenn es aber so weitergeht wie bisher, werden wir das Ziel definitiv nicht einhalten können.
Das 1,5-Grad-Ziel
- Im Pariser Klimaschutzabkommen haben sich die unterzeichnenden Staaten auf das Ziel geeinigt, die globale Erderwärmung auf "deutlich unter zwei Grad" zu begrenzen. Meist wird die 1,5-Grad-Marke ausgewiesen. Damit ist der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur im Vergleich zur vorindustriellen Zeit gemeint.
- Wissenschaftler gehen davon aus, dass ohne Gegenmaßnahmen eine Erderwärmung von bis zu vier Grad bis zum Ende des Jahrhunderts möglich ist. Das hätte massive Auswirkungen auf die Menschen, Extremwettereignisse, Winde und den Meeresspiegel.
Welche zum Beispiel?
Wir brauchen global eine massive Reduktion der Treibhausgase. Da ist nicht nur Deutschland gefragt, sondern auch die Europäische Union und alle anderen großen CO2-Emittenten wie China und die USA. Auch wenn die US-Amerikaner jetzt aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen, heißt das nicht, dass wir uns nicht weiter anstrengen müssen.
Was bedeutet dieser Ausstieg für die Welt?
Die Klimakrise ist ein globales Phänomen, da müssen alle mithelfen. Gerade die USA, die ein großer Emittent sind, können sich da eigentlich nicht rausziehen. Deshalb ist das fatal.
Das heißt, die anderen wie China oder auch Europa müssen jetzt noch mehr einsparen, wenn die USA nicht mehr mitziehen wollen.
Zumindest müssen wir an unseren Zielen festhalten. Mit dem Green Deal der EU ist klar, wo wir hinwollen: Wir wollen emissionsfrei werden. Und dieses Ziel muss konsequent weiterverfolgt werden.
Was würde denn ein Temperaturanstieg von zwei Grad und mehr für uns in Deutschland bedeuten?
Der Klimawandel nimmt immer weiter an Fahrt auf. Wir sehen das an sich häufenden Extremwetterereignissen, an Starkregen, Überschwemmungen, Dürren und Hitzeperioden. Wir haben vermehrt Hitzeereignisse, Phasen verstärkter Bodentrockenheit und bekommen Probleme mit unseren Wäldern, dem Grund- und Trinkwasser. All das wird weiter zunehmen und in Deutschland zu den drängendsten Problemen werden.
Ihr Lehrstuhl ist an der medizinischen Fakultät ansässig. Was hat die Klimakrise mit unserer Gesundheit zu tun?
Sehr viel. Nehmen wir Hitze zum Beispiel: Zunächst wirkt das harmlos. Man fühlt sich unwohl, ist nicht so produktiv. In Kombination mit Vorerkrankungen am Herzen, an den Nieren oder auch bei Diabetikern kann Hitze aber sehr gefährlich werden. Ebenso bei alten Menschen. Wir sehen mittlerweile in Europa jährlich mehrere tausend Todesfälle, die im Zusammenhang mit Hitzewellenereignissen stehen. Auch Menschen, die im Außenbereich arbeiten – Dachdecker oder Grünpfleger zum Beispiel – sind massiv betroffen.
Gerade aus der Ecke der Klimaschützer heißt es oft: Klimaschutz ist Menschenschutz.
Absolut. Ich würde auch sagen: Klimaschutz ist Gesundheitsschutz. Es ist gut möglich, dass Krankheiten zurückkommen, die es hier eigentlich gar nicht gibt. Malaria gab es schon einmal in Deutschland, das kann wieder kommen. In jüngster Zeit haben wir eine Ausbreitung des West-Nil-Fiebers in Berlin und Brandenburg beobachten können. Durch die klimatischen Veränderungen sind die Bedingungen für die Verbreitung günstig.
Mit den Grünen und dem selbsternannten Klimakanzler Olaf Scholz hatte die Ampel-Koalition vermeintlich die besten Voraussetzungen für umfangreichen Klimaschutz. Hat die Regierung dieses Momentum verstreichen lassen?
In Sachen Klima hätte man mit Sicherheit mehr tun können. Aber die Bekämpfung der Klimakrise ist nicht nur die Aufgabe einer Regierung – eine Legislatur reicht dafür schlicht nicht aus. Klimaschutz ist eine kontinuierliche Anstrengung, die wir über viele Jahre brauchen.
Die Parteien geben in ihren Wahlprogrammen unterschiedliche Antworten auf die Klimakrise. Welche Aufgaben muss eine neue Regierung in den kommenden Jahren angehen?
Wir müssen Klimaschutz in allen Sektoren mitdenken. Aktuell sprechen alle über die Wirtschaft. Das bedeutet aber nicht, dass wir darüber hinaus unsere Ziele im Klima- und Umweltschutz aufgeben dürfen. Im Gegenteil: Es ist unsere Chance, zu einer nachhaltigeren Wirtschaft zu kommen. Meine Erwartung an eine neue Regierung ist, dass das Thema endlich ernst genommen wird.
Ein Mittel, auf das sich die meisten Parteien einigen können, ist die CO₂-Bepreisung. Reicht es, klimaschädliches Verhalten teurer machen?
Es gibt mehrere Hebel, wie ein notwendiges Verhalten durchgesetzt werden kann. Die CO₂-Bepreisung ist eine Art Bestrafung. Genauso gut könnten aber auch Anreize funktionieren. Also eine Art Belohnung für erwünschtes Verhalten. Der Politik stehen unterschiedliche Mittel zur Verfügung, um ihre Leitlinien durchzusetzen: Gesetze, Strafen, Anreize. Ich bin aber keine Politikerin, ich bin Wissenschaftlerin. Das, was ich beitrage, ist die wissenschaftliche Evidenz. Die Umsetzung, das ist Aufgabe der Politik.
Über die Gesprächspartnerin
- Prof. Dr. Elke Hertig hat den Lehrstuhl für Regionalen Klimawandel und Gesundheit an der medizinischen Fakultät der Universität Augsburg inne. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Auswirkung des Klimawandels auf die Gesundheit. Konkret geht es dabei sowohl um die Auswirkungen von Hitze, aber auch Krankheitsübertragungen von Tieren auf den Menschen oder die durch Menschen beeinflusste Luftqualität.
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