- Ob es nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg eine Neuauflage der schwarz-grünen Koalition geben wird, ist fraglich. Denn so richtig glücklich sind die Grünen mit der Bilanz der vergangenen fünf Jahre nicht.
- Die FDP könnte so zum Königsmacher eines Ampel-Bündnisses werden.
- Anders als noch vor fünf Jahren kann sich FDP-Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke eine Zusammenarbeit mit den Grünen gut vorstellen. Seinen Sinneswandel erklärt er im Interview.
Hans-Ulrich Rülke (59) hat den Spitznamen "Brüllke" weg, weil er durchaus auch mal laut und ungehalten gegen politische Gegner ätzt. Doch im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt der Spitzenkandidat der FDP für die Landtagswahl in Baden-Württemberg am 14. März ganz unaufgeregt, wie er das Klima schonen und dennoch die Jobs in der baden-württembergischen Autoindustrie erhalten will.
Er findet überraschend lobende Worte für die Grünen im Ländle und kritisiert faule Tricks der AfD - jener Partei, die er 2017 in einer Rede im Landtag mit viel Witz und nicht ohne Süffisanz verbal zerlegt hat, was zum Netz-Hit avancierte.
Herr Rülke, alle sprechen über die Corona-Pandemie. Welches Thema würden Sie so kurz vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg gerne in den Vordergrund rücken?
Hans-Ulrich Rülke: Die Digitalisierung. Die Corona-Pandemie hat einmal mehr gezeigt, wie wichtig das Thema ist. Wir haben gesehen, dass vielen Schulen, gerade im ländlichen Raum, schnelles Internet fehlt, den Schülern leistungsfähige Endgeräte und manchen Lehrern digitale Kompetenz. Dafür zu sorgen ist Aufgabe der Politik, genauso, wie wir in Sachen E-Government aufholen müssen. Wir brauchen eine digitale öffentliche Verwaltung, die es zum Beispiel ermöglicht, ohne jeglichen Papierkram innerhalb weniger Tage ein Unternehmen zu gründen.
Wenn in Deutschland das Wort Digitalisierung fällt, fällt im nächsten Satz häufig das Wort Datenschutz – wobei letzterer erstere dann häufig behindert. Sind die Deutschen da zuweilen übervorsichtig?
Das muss man im Einzelfall beurteilen. Grundsätzlich bin ich Anhänger von sogenannten Opt-out-Regelungen. Dabei kann der Einzelne widersprechen, dass seine Daten verwendet werden, dies ist aber grundsätzlich erst einmal erlaubt, anders als bei Opt-in-Regelungen, wo jeder ganz ausdrücklich bekunden muss, dass er mit der Verwendung seiner Daten einverstanden ist.
Wenn es nicht gerade von der Pandemie überlagert wird, ist der Klimaschutz das Thema der Stunde. Nicht gerade eine Kernkompetenz der FDP...
... doch!
Tatsächlich? Dann führen Sie doch bitte aus, was Sie den "Fridays for Future"-Demonstranten und ihren Unterstützern anbieten können?
Eine Koalition mit der FDP wird es nur mit einer durchschlagskräftigen Wasserstoff-Strategie geben, denn diese Technologie ist aus unserer Sicht für die Verkehrs- und für die Energiewende zentral. In Baden-Württemberg hängen 500.000 Arbeitsplätze an der Automobil- und Zulieferindustrie. Die Verengung auf die batteriebetriebene E-Mobilität, wie wir sie von der Bundespolitik sehen, gefährdet 90 Prozent dieser Arbeitsplätze.
Wie kommen Sie auf diese Zahl?
Die nennt zum Beispiel Bosch-Chef (größter Automobilzulieferer der Welt; Anm. d. Red.) Volkmar Denner. Wir dürfen deshalb nicht nur auf die Batterie setzen, sondern müssen den Verbrenner umweltfreundlich machen. Das geht mit synthetischen Kraftstoffen aus Wasserstoff.
Sollte es die Politik nicht dem Markt überlassen, welche Technologie sich am Ende durchsetzt?
Grundsätzlich ja, aber das passiert ja im Moment nicht. Die batteriebetriebene E-Mobilität wird mit Milliarden subventioniert, weil sie entgegen jeglicher Realität als klimaneutral betrachtet wird. Dabei können Sie die Batterie auch mit Strom aus polnischen Braunkohlekraftwerken laden und von der Bilanz des Lithium-Abbaus und der Batterie-Entsorgung ist erst gar nicht die Rede. Das ist doch Irrsinn. Wir brauchen einen fairen Wettbewerb zwischen den Technologien. Ich bin überzeugt, dass der umweltfreundliche Verbrenner in diesem Wettbewerb bestehen kann.
Sie sprachen auch von der Energiewende. Welche Rolle kann Wasserstoff dabei Ihrer Meinung nach spielen?
Wir brauchen erneuerbare Energien, klar, aber wir sollten nicht in Baden-Württemberg, dem windärmsten aller Bundesländer, Windkraftanlagen bauen, sondern die Energie dort erzeugen, wo es Sinn ergibt: Wasserkraft in Skandinavien, Windkraft an der Küste, Solarenergie in der Wüste. Und diese grüne Energie muss man dann umwandeln in Wasserstoff, als Kraftstoff und Speichermedium für Strom.
Machen Sie es sich nicht sehr einfach, wenn Sie sagen, die Windparks, Sonnenkollektoren und Wasserkraftwerke können ruhig woanders stehen, aber bitte nicht vor meiner Haustür?
Ich schlage ja nicht vor, die Sonnenkollektoren in Alaska aufzustellen - Hauptsache weit weg-, sondern dort, wo die meiste Sonne scheint. Und unsere Aufgabe ist, den Ausbau zu finanzieren. Daraus könnte eine Win-win-Situation entstehen: Europa könnte seinen Energiebedarf mit regenerativer Energie decken und die afrikanischen Länder könnten mit ihren vielen Sonnenstunden Geld verdienen.
Mit Blick auf die Regierungsbildung stellt sich dann natürlich die Frage, welche Partei Ihre Wasserstoff-Strategie mittragen könnte. Sie hoffen auf ein Bündnis mit der CDU. Anders als 2016 schließen Sie aber auch eine Koalition mit Grünen und SPD nicht mehr aus - obwohl sie diese jahrelang brachial bekämpft haben. Wie kommt's?
Die Haltung der Grünen in Baden-Württemberg hat sich verändert. Anders als die Bundespartei hat Winfried Kretschmann erkannt, dass es zu einem Strukturbruch führt, wenn man bei der E-Mobilität nur auf die Batterie setzt und so Arbeitsplätze gefährdet. Wir wollen aber keinen Strukturbruch wie im Ruhrgebiet des 20. Jahrhunderts, sondern einen Strukturwandel. Kretschmann tritt dafür ein, auch umweltfreundliche Verbrenner mit einer Verkaufsprämie zu subventionieren, nicht nur batteriebetriebene E-Autos. Und er hat erst kürzlich in einem Interview wieder zum Ausdruck gebracht, dass die E-Batterie lange nicht so umweltfreundlich ist, wie viele seiner Parteikollegen tun. Dafür musste er sich zwar von der Grünen Jugend beschimpfen lassen. Aber uns zeigt das, dass sich die Grünen bewegt haben, sodass sie anders als 2016 für die FDP als Koalitionspartner infrage kommen.
Mit der AfD will die FDP - genau wie CDU, Grüne und SPD - auf keinen Fall koalieren. Die Partei wird aber wohl weiterhin im Landtag vertreten sein. Mit der Erfahrung der zurückliegenden Legislaturperiode: Was halten Sie für den richtigen Umgang mit der AfD?
Die AfD ist demokratisch gewählt, das respektieren wir. Aber sie hat sich für jegliche Zusammenarbeit als unfähig erwiesen. Denn die AfD arbeitet nicht mit Inhalten, sondern nur mit Parolen und Tricks. Da wird dann zum Beispiel ein Antrag einer anderen Fraktion, der schon mal im Landtag behandelt und dabei abgelehnt wurde, abgeschrieben und selbst eingebracht. So will man die andere Fraktion dazu bringen, mit der AfD zu stimmen um dann sagen zu können: 'seht her, die arbeiten mit uns zusammen'. Oder um ihr am Ende vorwerfen zu können, sie stimme gegen ihre eigenen Ideen. Außerdem hat diese Partei keinen politischen Kompass: Heute will Sie wegen der Pandemie alle Menschen zu Hause einsperren, morgen gibt es das Virus angeblich gar nicht. Die Erfahrung zeigt: Die AfD ist schlicht nicht politikfähig.
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