Geschäft ist Geschäft und Unternehmen sollen sich doch bitte aus der Politik heraushalten. In Deutschland sehen das viel Firmen so. NOMOS-Chefin Judith Borowski hält davon nichts – und warnt vor den wirtschaftlichen Gefahren, die bei den Landtagswahlen im Osten von der AfD ausgehen.

Ein Interview

Dass die ganze Republik gespannt auf Landtagswahlen blickt, ist in Deutschland nicht unbedingt der Regelfall. Doch bei den bevorstehenden Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg hat die AfD realistische Chancen jeweils stärkste Kraft zu werden. Das bereitet nicht nur den Politikern der anderen Parteien Kopfzerbrechen. Auch die Wirtschaft ist zunehmend alarmiert.

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Die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB) warnten schon im Mai: "Die Programmatik der AfD schadet der Wirtschaft in der Hauptstadtregion". Angesichts der Herausforderungen, vor denen die Unternehmen stünden, sei die Partei "nicht auf der Höhe der Zeit".

Auch außerhalb Brandenburgs blicken Firmenchefs mit Sorge darauf, dass die AfD gestärkt aus den Landtagswahlen hervorgehen könnte. Das zeigt eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) unter 900 Unternehmen. Mehr als die Hälfte der Befragten ostdeutschen Firmen sieht in der AfD demnach eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort.

Sorgen darüber macht sich auch Judith Borowski. Sie ist Geschäftsführerin des Uhrenherstellers NOMOS Glashütte aus Sachsen. Seit Jahren positioniert sie sich so offen wie kaum ein anderer Wirtschaftsführer in Deutschland gegen die AfD. Vor den Wahlen in Sachsen warnt sie vor den ökonomischen Folgen eines AfD-Wahlsiegs.

Frau Borowski, wie nehmen Sie die politische Stimmung im sächsischen Wahlkampf wahr?

Judith Borowski: Die Mehrheit der Menschen wünscht sich ein friedliches Miteinander. Aber diese Gruppe ist relativ leise. Zu leise.

Und abseits der leisen Mehrheit?

Scheint eine Menge Wut zu brodeln. Da sind viele beängstigende und krude Ansichten zu hören. Auch Reichsbürger- und Russlandflaggen zu sehen. Vielen Menschen ist es nicht mehr möglich, miteinander zu sprechen. Natürlich hat jeder das Recht, seinen Unmut zum Ausdruck zu bringen. Aber in der Wahrnehmung vieler Menschen läuft einfach absolut alles im Land falsch. Unter dem Strich würde ich sagen, das Klima in Sachsen ist rauer geworden und sehr polarisiert.

Der Chef des Thüringer Unternehmens Jenoptic hat die Landtagswahlen im Osten mit Blick auf die AfD als richtungsweisend bezeichnet. Sie könnten die Rahmenbedingungen, die sein Unternehmen für Erfolg braucht, beschädigen. Sehen Sie das ähnlich?

Ja. Ich kann Herrn Traeger nur zustimmen. Einige ostdeutsche Länder haben aus meiner Sicht schon längst einen Imageschaden durch den politischen Rechtsruck erlitten. Für Unternehmen, die über den Tellerrand ihres Bundeslandes sehen, sind Engstirnigkeit und mangelndes Demokratiebewusstsein ein Risiko.

Welches genau?

Ich glaube etwa, dass die Suche nach Fach- und Arbeitskräften schwieriger wird. Aufgrund der demografischen Entwicklung droht in Sachsen ohnehin ein noch größerer Mangel an Personal als in den meisten Regionen Westdeutschlands. Wir müssen in Zukunft die Besten ihres Faches zu uns locken - ob aus Stuttgart oder Lyon, aus Darmstadt, Perugia oder Marroko. AfD-Politik schreckt viele davon ab, zu uns zu kommen, sie zeigt das Gegenteil von Willkommenskultur. Bekommt die AfD mehr Macht, wird sie die nicht nur für eine repressivere Migrations- und Asylpolitik nutzen.

Sondern?

Sie wird sich auch für eine Rolle rückwärts in Sachen Gleichstellung der Geschlechter einsetzen und Lehrpläne an Schulen überarbeiten. Sie will zurück zur D-Mark und am liebsten raus aus der EU. Für ein modernes, international agierendes Unternehmen wie Nomos Glashütte wäre das alles fatal.

Immer wieder berichten Ost-Unternehmen auch, dass migrantische Mitarbeitende Anfeindungen erleben. Kennen Sie solche Geschichten auch von ihren Angestellten?

Das habe ich zum Glück bei uns noch nicht mitbekommen, nein. Aber wir haben in unserem Büro in Berlin schon Mitarbeitende gehabt, die nicht zu unserer Zentrale in Glashütte reisen wollten. Die hatten Sorge, dass sie aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihres Aussehens dort angefeindet werden. In Berlin trauen sich viele Menschen mit Migrationshintergrund auch nicht mehr an die Badeseen nach Brandenburg. Weil sie befürchten, dass ihnen etwas passiert. In den allermeisten Fällen ist diese Sorge aus meiner Sicht unbegründet. Aber schon Angst macht unfrei. Das darf unsere Mehrheitsgesellschaft nicht tolerieren.

Nomos positioniert sich schon lange offen gegen die AfD. Müssten sich mehr Unternehmen in die politische Debatte einmischen?

Das alte Credo: "The business of business is business" gilt nicht mehr (Anm.d.Red: Der Ausspruch geht auf den Wirtschaftswissenschaftler Milton Friedman zurück. Verkürzt bedeutet er, dass Unternehmen sich nicht mit sozialen Fragen und Politik, sondern nur mit Profitmaximierung beschäftigen sollten). Demokratie ist unser aller Angelegenheit! Zum Glück gibt es immer mehr Kundinnen und Kunden, aber auch Bewerberinnen und Bewerber, die explizit wissen wollen, wofür ein Unternehmen steht. Auch in den Vereinigten Staaten will ein großer Teil der Kundschaft inzwischen von Firmen wissen, wes Geistes Kind sie sind. Haltung zu zeigen, wird bald unverzichtbar sein. Doch zurück zu Ihrer Frage: Natürlich würden wir uns wünschen, dass alle Unternehmen ihre Verantwortung erkennen und sich für die Demokratie einsetzen. Auf der anderen Seite habe ich aber auch Verständnis dafür, dass dies nicht immer möglich ist.

Inwiefern ist das nicht für alle Unternehmen gleich möglich?

Wir arbeiten im Luxusbereich. Nomos fertigt hochwertige mechanische Armbanduhren und beliefert Kunden in über 60 Ländern. Unsere Klientel ist zu großen Teilen weltoffen und gegen Rechtsradikalismus oder Menschen- und Demokratiefeindlichkeit. Unternehmen jedoch, die Brot und Butter verkaufen, bedienen alle, den Querschnitt der Bevölkerung. Die Gefahr, dass einem da ein Teil der Kundschaft weg bricht, wenn man sich politisch positioniert, ist deutlich höher. Seit der Correctiv-Recherche treten dennoch mehr Unternehmen für die Demokratie ein. Mich freut dies sehr, auch wenn viele sich noch ein bisschen zurückhaltend äußern.

Was meinen Sie damit genau?

Naja: Sind wir für Demokratie und Weltoffenheit? Oder sind wir auch klar gegen eine Partei? Werden also jetzt, da die Zeit drängt, Ross und Reiter benannt? Wir haben uns für letzteres entschieden, benennen die AfD als Risiko. Denn auch wenn die Partei derzeit stückchenweise mit demokratischen Mitteln an die Macht kommt: Sie tritt aus unserer Sicht nicht an, um Demokratie und Grundgesetz in die Zukunft zu tragen.

Dass sich Nomos so klar positioniert, gefällt nicht jedem. Selbst in Ihrer Belegschaft gibt es Stimmen, denen es lieber wäre, Nomos würde sich zurückhalten.

Ich kann das im individuellen Fall verstehen. Wenn man in Glashütte lebt und einfach nur Uhren bauen will, dann möchte man, drastisch gesprochen, nicht in Geiselhaft für die Aussagen der Chefin oder des Chefs genommen werden. Dass es Leuten mitunter zu viel wird, deswegen angesprochen zu werden, ist nachvollziehbar.

Aber?

Aber es ist nun eben die Zeit, dies zu tun. Und: Unternehmen sind immer ein Stück weit politisch. Wenn es um Subventionen, Steuern oder Standortfaktoren geht, bringen sie ja auch ihre Vorstellungen zum Ausdruck. Warum also nicht bei anderen Themen? Die Vorzüge von Demokratie und Marktwirtschaft genießen, aber nicht seinen Teil dazu beitragen, dass sie weiter existieren – für Nomos Glashütte fände ich dies nicht okay. Als Unternehmer haben wir eine Verantwortung für ein Stückchen der Gesellschaft. Für Nomos ist die Demokratie schlicht auch ein Standortfaktor. Unser Unternehmen wurde 1989 mit dem Mauerfall, der in Sachsen durch die Menschen hier erkämpft wurde, überhaupt erst möglich. Daher sehe ich eine Verpflichtung, sich für die Demokratie einzusetzen. Die lebt schließlich davon, dass sich alle an ihr beteiligen. Jeder ein stückweit.

Können Sie verstehen, wenn Menschen sich bevormundet fühlen, wenn eine Firma für Luxusartikel ihnen erklären will, was sie wählen sollen?

Was unsere Mitarbeitenden oder gar Kunden wählen, geht uns nichts an. Und von einer Bevormundung waren wir immer weit entfernt. Wir verlangen nicht, dass unsere Mitarbeitenden zu 100 Prozent unsere Meinung teilen. Wir müssen aushalten, dass Mitarbeitende, Kunden oder andere Menschen eine andere Meinung haben. Und umgekehrt müssen auch sie dies. Wir finden es jedoch wichtig zu warnen: Die AfD ist ein Risiko für die Wirtschaft, bedroht Arbeitsplätze, tut nichts für sichere Renten. Und für Nomos muss ich sagen: Die AfD gefährdet die Grundlage unseres wirtschaftlichen Handelns.

Welche Probleme muss eine zukünftige Landesregierung Ihrer Meinung nach priorisiert angehen?

Wenn ich darauf eine Antwort hätte, wäre ich in der Politik und nicht bei Nomos (lacht). Und ich habe großen Respekt vor der Arbeit vieler Politikerinnen und Politiker. Als Bürgerin wünsche ich mir jedoch eindeutig mehr Willkommenskultur. Und eine Brandmauer, die nicht das kleinste bisschen bröckelt. Auch nicht im lokalen. Und wir brauchen mehr Gespräch, mehr Diskussion und gute Auseinandersetzung auf allen Ebenen: Der Austausch über vermeintliche Grenzen hinweg ist uns ein Stück weit verloren gegangen. Das macht unsere Gesellschaft ärmer. Und auch unsere Unternehmen: Wer Probleme aus unterschiedlichen Richtungen betrachten kann und divers diskutiert, kommt meist zu viel besseren Ergebnissen.

Zur Person:

  • Judith Borowski wurde 1969 in Konstanz geboren. Nach einem Studium der Politologie, Kriminologie und Politikwissenschaft und Journalistik in Hamburg verschlug es sie zunächst in verschiedene Redaktionen. Sie arbeitete etwa für die "Tagesthemen", das "Nachtmagazin" der ARD und die "Financial Times Deutschland". 2001 stieß sie zu NOMOS, wo sie inzwischen seit über 20 Jahren als Geschäftsführerin aktiv ist.
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