Nach fünf Jahren Minderheitsregierung wünschen sich die Thüringer stabilere Verhältnisse. Doch angesichts des Wahlergebnisses ist derzeit keine Koalition möglich, die eine Mehrheit hätte. Die CDU steht aus Sicht eines Experten nun vor einer für sie unangenehmen Frage.
Rot-Rot-Grün ist in Thüringen abgewählt, doch von einer stabileren Regierung ist Thüringen noch immer weit entfernt. Die Landtagswahl im Freistaat hat am Sonntag eine Patt-Situation hervorgebracht.
Die einzige Hoffnung auf eine politisch machbare Mehrheit schien zunächst eine Koalition aus CDU, BSW und SPD. Doch inzwischen ist klar: Dafür reicht es nicht. Nur 44 Sitze hätte ein solches Dreiergespann im Landtag – genau einen zu wenig für eine absolute Mehrheit.
Politikwissenschaftler Oliver Lembcke sieht die CDU deshalb vor einer Debatte darüber, ob sie sich in Richtung der Linkspartei öffnet. Dies würde aber auch zwangsläufig die Diskussion über die Brandmauer nach rechts, zur AfD, neu entfachen, sagte der Experte von der Ruhr-Universität Bochum. "Wenn man an der einen Brandmauer anfängt zu überlegen, dann wird man an der anderen Brandmauer auch diskutieren müssen."
Experte: CDU geführte Minderheitsregierung wäre erpressbar
Hintergrund von Lembckes Äußerung ist, dass die CDU eine Koalition mit der AfD ausschließt. Auch die Zusammenarbeit mit der Linken verbietet der CDU ein Unvereinbarkeitsbeschluss.
Thüringens CDU-Chef
Lembcke wies darauf hin, dass Ramelow länger schon für eine Öffnung der CDU zu seiner Linken geworben hat. Die Alternative wäre eine Unregierbarkeit in dem Bundesland oder eine Minderheitsregierung - von der Linken toleriert. Wählt Voigt die Minderheitsregierung, würde er sich aus Lembckes Sicht noch stärker in eine Abhängigkeit zur Linken begeben - und sich bei Entscheidungen erpressbar machen.
Experte sieht Zäsur in Parteienstruktur
Lembcke, der viele Jahre an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena gearbeitet hat, sieht in den beiden Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen eine Zäsur in der Parteienstruktur Deutschlands. "Das ostdeutsche Parteiensystem - in Thüringen und in Sachsen - ist einfach ein grundsätzlich anderes als im Westen", sagte Lembcke.
Die bereits vorhandenen Unterschiede seien mit diesen Wahlen vertieft worden. "Diese Wahl war eine Wutwahl gegen eine westdeutsch geprägte Parteienlandschaft und gegen die Ampel", sagte Lembcke.
Die beiden Wahlen seien aber auch wegweisend, weil sich ein neues dreigliedriges Parteiensystem entwickelt habe - aus AfD, CDU und BSW. "Da verfestigt sich etwas", sagte er. An die Stelle der Linken sei das BSW in dieser Rolle getreten. (dpa/bearbeitet von thp)
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