Norbert Walter-Borjans will SPD-Chef werden und zweifelt, ob seine Partei einen Kanzlerkandidaten aufstellen soll. Ein Politikberater warnt: Mit Demut gewinnt man keine Wahlen.

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Platz drei bei den Europawahlen, eine weitere gescheiterte Vorsitzende und jetzt noch einstellige Ergebnisse bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen: Das Jahr 2019 war für die SPD ähnlich desaströs wie die vorigen.

Die Partei, die in der Geschichte der Bundesrepublik bisher drei Kanzler stellte, dümpelt in Umfragen seit Monaten unter 20 Prozent.

Das hat offenbar auch bei ihren Politikern Spuren hinterlassen: Norbert Walter-Borjans zweifelt daran, dass die SPD bei der nächsten Bundestagswahl noch eine Kanzlerkandidatin oder einen Kanzlerkandidaten aufstellen soll.

Er glaube nicht, dass die Partei dazu derzeit in der Position sei, sagte der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister, der sich mit der Bundestagsabgeordneten Saskia Esken für den SPD-Vorsitz bewirbt. Kann so viel Demut strategisch geschickt sein?

Gegenentwurf zu Überheblichkeit von Johnson oder Trump

Demut sei zur Zeit eine gewisse Mode, sagt der Politikberater Johannes Hillje im Gespräch mit unserer Redaktion. "Sie bildet einen Gegenpol zum überheblichen Machtgehabe eines Boris Johnson oder Donald Trump."

Dem britischen Premier und dem US-Präsidenten scheinen Selbstzweifel und Zurückhaltung im öffentlichen Auftreten fremd zu sein. Anders ist das Hillje zufolge beim Österreicher Sebastian Kurz oder bei Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron: Die hätten immer wieder deutlich gemacht, ihr Amt mit Demut entgegenzunehmen.

"Das soll ein Etikett der charakterlichen Reife sein. Allerdings handelt es sich dabei in der Regel um die Strategie aus einer Machtposition heraus", erklärt Hillje.

"Vorschlag nicht besonders ausgereift"

Im Fall der SPD schätzt der Politikberater die Sache etwas anders ein – schließlich geht es hier nicht um einen einzelnen Politiker, sondern eine ganze Partei. "Ich glaube nicht, dass dieser Vorschlag von Norbert Walter-Borjans besonders ausgereift war", sagt er.

"So ein Verzicht würde am sozialdemokratischen Selbstverständnis als Kanzlerpartei kratzen und für manchen wie Selbstaufgabe aussehen. Aus einer Position der Schwäche heraus sind Einsicht und Aufbruch die besseren Haltungen als Demut. Für Demut wird man nicht gewählt."

Walter-Borjans ist inzwischen wieder ein Stück zurückgerudert: Unter bestimmten Umständen kann er sich nun doch einen Kanzlerkandidaten vorstellen, sagte er der Funke-Mediengruppe – zumindest dann, wenn die Partei "wieder zu Kräften" komme.

Auch die Grünen tun sich schwer

Das Thema scheint für die Parteien derzeit ein heißes Eisen zu sein. Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann handelte sich vor kurzem Kritik seiner Parteifreunde ein, als er Robert Habeck das Zeug zum Kanzlerkandidaten attestierte.

Auch die Grünen tun sich mit dem Thema also offenbar schwer – nach Einschätzung von Politikberater Hillje sind sie aber in einer anderen Situation als die SPD: "Die Grünen zeigen Demut in einer Position der Stärke. Auch wenn die Umfragewerte gut sind, wäre es in ihrem Fall nicht angemessen, jetzt schon über eine Kanzlerkandidatur zu diskutieren." Wenn der Termin der nächsten Bundestagswahl noch nicht einmal feststehe, wirke diese Diskussion nur wie eine Machtfantasie.

FDP-Misserfolg mit eigenem Kanzlerkandidaten

Wie schnell hohe Ziele zur Lachnummer werden können, musste 2002 die FDP erfahren: Beflügelt von guten Umfragewerten wählte ein Parteitag fast einstimmig den damaligen Vorsitzenden Guido Westerwelle zum ersten Kanzlerkandidaten der Liberalen.

Das Wahlziel von 18 Prozent verfehlte die Partei dann aber deutlich: Bei der Bundestagswahl im September 2002 konnte sich die FDP gerade einmal um 1,2 Prozentpunkte auf 7,4 Prozent steigern.

Selbstkritisch, aber nicht unterwürfig

Überheblichkeit kann sich in einem Wahlkampf also schlecht auswirken – zu große Bescheidenheit nach Einschätzung von Johannes Hillje aber auch. "Ich glaube, dass die SPD selbstkritisch mit den eigenen Leistungen der letzten Jahrzehnte umgehen muss, aber das darf nicht in Selbstaufgabe oder Unterwürfigkeit münden", meint der Politikberater.

Respekt vor einem Amt sei sicherlich sinnvoll – es gehe in der Politik aber auch immer darum, Entscheidungen zu treffen und Handlungsfähigkeit zu beweisen. Auch für einen Wahlkampf seien Personen wichtig, betont Hillje:

"Die drei wesentlichen Bestandteile sind die Kampagne, der Kandidat und das Programm. Wenn man den Kandidaten herausnimmt, würde ein zentrales Element fehlen."

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Johannes Hillje, Politik- und Kommunikationsberater
  • Spiegel.de: Walter-Borjans rät zu Verzicht auf SPD-Kanzlerkandidatur

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