Keine Rassisten oder Hardliner, aber trotzdem Trump-Wähler: Nach der US-Wahl 2020 sind gemäßigte Republikaner in den USA politisch heimatlos. Der Historiker Manfred Berg erklärt, wie die moderaten Republikaner auf die Wahl blicken und warum ein Wechsel ins andere Lager so schwierig ist.

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Als die US-Amerikaner Donald Trump vor vier Jahren zu ihrem Präsidenten wählten, haben die Deutschen mit Unverständnis über den Atlantik geblickt: Wie konnte ein Mann Präsident werden, der Frauen beleidigt, sich offen rassistisch äußert und beinahe täglich Fake News verbreitet?

Viel ist seitdem analysiert und kommentiert worden: Trumps Wähler sind vor allem Weiße mit niedriger Bildung, er punktet bei evangelikalen Christen und im ländlichen Raum – nicht alle Trump-Wähler sind Rassisten. Dass vielmehr wirtschaftliche Motive die Trump-Wähler oft an die Urnen lockten, gilt mittlerweile als Allgemeinplatz: Besonders im industriellen Herzen der USA, dem "Rust-Belt", stimmten 2016 viele Wähler in Hoffnung auf neue Jobs und Wohlstand für Trump.

Auch US-Autor Jonathan Foer warnte im Vorfeld der US-Wahl 2020 vor einer Pauschalisierung: "Nicht alle Trump-Wähler sind rassistisch, ignorant und gewalttätig", sagte Foer der italienischen Zeitung "La Repubblica". Sie hätten oft nachvollziehbare Gründe für ihre Entscheidung, lebten in "Halbarmut" und fühlten sich als Verlierer. Keine Hardcore-Republikaner also, sondern solche, die endlich auch auf der Gewinnerstraße gehen wollen. Wie steht es 2020 um sie? Hier sind die wichtigsten Lektionen.

Lektion 1: Gemäßigte Trump-Wähler vom Aussterben bedroht

Manfred Berg ist Historiker an der Universität Heidelberg, forscht seit mehr als 30 Jahren zur amerikanischen Geschichte und Politik. Er sagt: "Die Wahl 2020 war – anders als 2016 – keine Protestwahl mehr. In diesem Wahljahr wussten alle, wer Donald Trump ist und was von ihm zu erwarten ist." Gemäßigte Trump-Wähler seien deshalb eine vom Aussterben bedrohte Spezies. "Der Begriff ist nahezu ein Widerspruch in sich", sagt Berg.

Exit-Poll-Analysen von CNN zeigen, dass für die meisten US-Wähler gilt: Wer vor vier Jahren für Trump stimmte, tat das auch 2020. Doch während der noch amtierende Präsident Zuwachs bei Latinos und Schwarzen verzeichnen konnte, bröckelte seine Zustimmung im Lager der Gemäßigten. 2016 stimmten noch 40 Prozent derjenigen, die sich als politisch moderat bezeichnen, für Trump – diesmal nur noch 33 Prozent. Landwirte, die ihre Sojabohnen jetzt nicht mehr nach China verkaufen können und jene, die durch Trumps Coronapolitik arbeitslos geworden sind – solche einstigen Wähler dürfte Trump verprellt haben.

Lektion 2: Republikaner haben teilweise Biden gewählt

Einige von ihnen konnte aber offenbar auch Demokrat Joe Biden überzeugen. Die "New York Times" schreibt dazu, viele von Bidens gut gebildeten Unterstützern aus den Vorstädten hätten diesmal zu den rechtsgerichteten Wählern ohne Parteibindung oder zu den gemäßigten Republikanern gezählt, die sonst Kandidaten wie JohnMcCain und Mitt Romney unterstützt hätten. In dem Bericht heißt es: "Sie wollen dieses Mal jedoch unbedingt eine Wiederwahl Donald Trumps verhindern. Dafür sind sie bereit, über ihren Schatten zu springen und einen Demokraten zu wählen ­– allerdings nur einen gemäßigten und massenkompatiblen Kandidaten."

Auch Experte Berg sagt: "Es gibt sicher einige gemäßigte Republikaner, die 2016 noch für Trump gestimmt haben und 2020 nun für Biden – weil sie wieder Berechenbarkeit und ein Mindestmaß an Würde und Anstand im Weißen Haus sehen wollten." Man dürfe aber nicht vergessen, dass beide Seiten ihre enormen Zuwächse hauptsächlich durch Mobilisierung des eigenen Lagers erzielt hätten – nicht dadurch, dass sie Wähler der anderen Partei für sich gewonnen haben.

Lektion 3: Bei Trump-Wahl die Nase zugehalten

Unter den gemäßigten Trump-Unterstützern seien auch sogenannte "One-issue voter", erinnert Experte Berg. Als Beispiel nennt er die Evangelikalen. "Sie wählen Trump, weil sie Hoffnungen bei Kulturkämpfen in ihn setzen. Denn Trump hat drei konservative Richter am Supreme Court geliefert und die Evangelikalen haben große Hoffnung, dass bald das Grundsatzurteil zur Abtreibung kippt", erklärt der Historiker.

Unter diesen Voraussetzungen seien manche bereit, Trump zu wählen, auch wenn er nicht den Lebensstil an den Tag lege, den ein evangelikaler Wähler für vorbildlich halte. Manche Republikaner müssen sich also bei der Wahl Donald Trumps die Nase zugehalten haben. "Es gibt auch konservative Juden, die Trump als besten Freund Israels sehen und alle anderen Politikbereiche für zweitrangig halten", ergänzt Berg.

Lektion 4: Moderate gehen im Lagerwahlkampf unter

Experte Berg ist sich dennoch sicher: "In normalen politischen Zeiten wäre ein Präsident mit der Bilanz der Trump-Administration, seinem Regierungsstil und dem eklatanten Versagen bei der Bekämpfung der Coronakrise deutlich abgewählt worden." Trump aber erhielt knapp 72 Millionen Stimmen – also sogar 9 Millionen mehr als 2016. Das sei bemerkenswert und ließe sich nur damit erklären, dass 2020 ein Lagerwahlkampf war, meint Berg.

"Die Wahl zeigt die scharfe Spaltung der amerikanischen Gesellschaft in eine rote und blaue Nation", sagt er. Dabei erlebe man eine negative Parteiidentifikation: "Die eigene Partei mag einem nicht in jedem Punkt gefallen, aber die ideologische Abneigung gegenüber der anderen Partei ist so scharf, dass man dann doch nicht für sie stimmt", erklärt Berg.

Lektion 5: Moderate Republikaner heimatlos geworden

Das lässt gemäßigte Republikaner, die nicht Trump wählen wollen, laut Berg verzweifeln - man könne sie als "politisch heimatlos" bezeichnen. "Bis in die 80er Jahre hinein gab es bei den Republikanern noch einen liberalen Flügel – er hat bei vielen Bürgerrechtsfragen mit Teilen der Demokraten gestimmt. Er ist aber verschwunden, weil die Republikaner sich stärker ideologisiert haben", erklärt der Experte.

Das Partei-Establishment der Republikaner habe längst die Kontrolle verloren. "Spätestens, seit Sarah Palin John McCain im Jahr 2008 als Kandidatin für die Vizepräsidentschaft aufgezwungen wurde, die Tea-Party-Bewegung die Republikaner immer weiter radikalisiert hat und Trump de facto die Partei übernommen hat", kommentiert Berg.

Lektion 6: Wechsel zu Demokraten unwahrscheinlich

Was aber wird nun aus den moderaten Republikanern? "In einem Zwei-Parteiensystem würde man grundsätzlich annehmen, dass die gemäßigten Republikaner, die sich von ihrer Partei nicht mehr vertreten fühlen, dann irgendwann zu den Demokraten wechseln", sagt Experte Berg.

In der Vergangenheit sei so etwas bereits vorgekommen: "In den 1970er Jahren gab es beispielsweise konservative Demokraten, die wegen Bürgerrechtsfragen zu den Republikanern wechselten und auch in Zeiten des Kalten Krieges wechselten Demokraten, denen die Entspannungspolitik nicht gefiel, die Partei und wurden zu sogenannten Reagan-Democrats", erinnert Berg.

Die aktuelle politische Situation aber mache einen Wechsel ins andere Lager deutlich schwieriger als zu früheren Zeiten. Grund dafür: "Die demokratische Partei ist weiter nach links gerückt und die republikanische Partei ist im Sinne ihrer ideologischen Kohärenz und mit ihren Führungspersonen deutlich weiter nach rechts gerückt", analysiert Berg. Der Graben, der zwischen den Parteien liegt, ist also deutlich größer geworden.

Lektion 7: Kurswechsel nicht zu erwarten

Besonderer Dorn im Auge der Republikaner: Eine vermeintlich linke Wirtschaftspolitik. Berg sagt dazu: "Eine Wirtschafts- und Sozialpolitik, die auch nur ansatzweise sozialdemokratisch ist, ist für konservative Republikaner nicht wählbar." Kein Wunder also, dass Trump im Wahlkampf immer wieder das Schreckgespenst "Sozialismus" bediente. Trump hatte die Wahl als "Entscheidung zwischen einem sozialistischen Albtraum und dem American Dream" bezeichnet und immer wieder versucht, Biden als Sozialisten zu etikettieren.

Erscheint ein Lagerwechsel für moderate Republikaner also nicht als Option, können sie gleichzeitig auch nicht auf einen Kurswechsel der "Grand Old Party" hoffen. "Trump ist von den Wählern nicht abgestraft worden, er hat keine peinliche Niederlage erlitten. Es gibt keinen Grund für die republikanische Partei, von ihrem Erfolgsmodell abzuweichen", kommentiert Experte Berg. Die Parteibasis der Republikaner sei eine Bewegung des weißen nationalistischen Populismus und Trump ihre authentische Führungsfigur.

Lektion 8: Unterstützung aus Angst

Dass die gemäßigten Republikaner in der Öffentlichkeit kaum wahrnehmbar sind – bislang haben nur fünf von 48 republikanischen Senatoren das Wahlergebnis offiziell anerkannt –, hat einen Grund: "Trump hat für die Mandatsträger der Partei unter Beweis gestellt, dass er ein großer Mobilisator des eigenen Lagers ist. Viele von den Kandidaten für Senat und Repräsentantenhaus haben davon profitiert und halten ihm im Moment bei seiner Kampagne, das Wahlergebnis möglichst zu torpedieren, die Treue", analysiert Berg.

Viele Republikaner wüssten, dass es keinen Wahlbetrug gegeben hat und Trump eine Niederlage nur nicht eingestehen will. "Sie haben aber erlebt, dass seit etwa zehn Jahren Republikaner, die sich in den Vorwahlen so positionieren, dass sie den Zorn der radikalen Basis erregen, häufig abgewählt werden", sagt Berg. Trump habe die zunehmend radikale Basis so sehr mobilisiert, dass republikanische Amtsträger also fürchten müssten, sich gegen ihn zu stellen, weil sie dann bei den nächsten Vorwahlen abgestraft würden.

Über den Experten: Prof. Dr. Manfred Berg ist Historiker an der Universität Heidelberg und hat die Curt-Engelhorn-Stiftungsprofessur für Amerikanische Geschichte am Historischen Seminar inne. Er studierte Geschichte, Politikwissenschaft und ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Gesellschaft für Amerikastudien

Verwendete Quellen:

  • CNN.com: Exit Polls – National Results. Stand: 11.11.2020
  • "NYTimes.com": ‘Never Trump’ Republicans Will Support Biden, Not Sanders
  • "NYTimes.com”: Why Trump’s Efforts to Paint Biden as a Socialist Are Not Working
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