Donald Trump sieht sich als einzigen legitimen Sieger der US-Wahl. Er klagt über "massiven Wahlbetrug" durch die Demokraten und bezichtigt sie dunkler Machenschaften. Ein Faktencheck zeigt, dass wenig bis gar nichts hinter den Behauptungen steckt.

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Der Amtsinhaber gibt keine Ruhe. Donald Trump wütet gegen das System. Er sei der Sieger der US-Präsidentschaftswahl. Nur er allein.

Seit dem Wahltag feuert Trump pausenlos eine zentrale Aussage in die Welt: "Ich habe diese Wahl gewonnen."

Wer diese Auffassung nicht teilt, ist aus Sicht des 74-Jährigen Teil einer riesigen Verschwörung gegen eine zweite Amtszeit. Schon in der Wahlnacht, während Millionen Stimmen noch nicht ausgezählt waren, hatte der US-Präsident wilde Vorwürfe des Wahlbetrugs erhoben und den Sieg für sich beansprucht.

Trump fühlt sich getäuscht und geriert sich als Opfer systematischer Benachteiligung. Seit einer Woche klagt er über "massiven Wahlbetrug". Trump behauptet: Nicht er habe die Abstimmung verloren, sondern sein demokratischer Herausforderer Joe Biden – den mittlerweile alle großen US-Medien und zahlreiche internationale Staats- und Regierungschefs zum Sieger der Präsidentschaftswahl erklärten.

Sein Wahlsieg werde "gestohlen", nur wegen der dunklen Machenschaften der Demokraten könne er verlieren, zürnt Trump. Er selbst, seine Partei sowie Anhänger der Republikaner haben in den vergangenen Tagen angebliche Beispiele für einen Betrug bei den US-Wahlen präsentiert.

Wir haben uns angeschaut, was hinter diesen Vorwürfen steckt.

1. Behauptung: Republikaner wurden von der Beobachtung der Wahl abgehalten

Wahlbeobachter der Republikaner seien nicht zur Stimmauszählung gelassen worden, twitterte Trump am Samstagnachmittag. "Böse Dinge sind passiert, die unsere Beobachter nicht sehen durften."

Beweisen sollen das unter anderem Videos aus dem Wahlzentrum des US-Bundesstaats Michigan in Detroit. Aufnahmen von Mittwoch zeigen, wie Mitarbeiter der Wahlleitung die Fenster abdecken, sodass Außenstehende den Auszählungsprozess nicht beobachten können.

Der Hintergrund: In den Vorraum des Wahlzentrums waren Dutzende Trump-Anhänger eingedrungen, sie versuchten die Wahlzettel abzufilmen – was nicht erlaubt ist. Wahlbeobachter der Republikaner wurden auch deshalb abgewiesen, weil die Maximalanzahl bereits erreicht war.

Wie die Lokalzeitung "Detroit Free Press" berichtet, konnten sich am 4. November etwa 400 Wahlbeobachter frei in dem Auszählungszentrum bewegen und den Zählprozess beiwohnen – darunter genau 134 Beobachter der Republikaner sowie ebenso viele der Demokraten und unabhängiger Organisationen.

Die Wahlgesetzgebung sieht nämlich vor, dass die Zahl der Beobachter stets ausgeglichen ist – zusätzliche Anhänger Trumps hätten diesem demokratischen Gleichgewicht widersprochen.

2. Behauptung: Tote haben abgestimmt

Haben massenweise Verstorbene abgestimmt? Das behauptete unter anderem der ehemalige US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell. Trumps Sondergesandter für die Friedensverhandlungen zwischen Serbien und dem Kosovo behauptete am Donnerstag: "Tote haben gewählt. Die Demokraten haben dies geplant."

Ein Fall, der diesen Vorgang zeigen soll und besonders viel Verbreitung fand, ist der eines "William Bradley". Der Vorwurf: Obwohl der Mann 1984 gestorben sein soll, habe er 2020 – im Alter von 118 Jahren – in Detroit abgestimmt.

Die zuständen Behörden widersprachen der Behauptung: "Stimmzettel von Wählern, die gestorben sind, werden in Michigan abgelehnt, auch wenn der Wähler eine Briefwahl in Abwesenheit durchgeführt hat und dann vor dem Wahltag gestorben ist." Im konkreten Fall lag aber offenbar ein Fehler beim Registrieren der eingegangenen Wahlunterlagen vor.

Fehlende oder fehlerhafte Angaben bei Namen (und Namenszusätzen) und dem Geburtsdatum können Probleme verursachen. Laut CNN heißt der Sohn von "William Bradley" nämlich genauso wie sein Vater – und wohnt an der gleichen Adresse. "Als seine Briefwahlstimme zunächst protokolliert wurde, wurde diese fälschlicherweise aufgrund eines Schreibfehlers dem vor 118 Jahren geborenen William Bradley zugeschrieben", erklärt der Hauptanwalt der Stadt Detroit, Lawrence Garcia, dem TV-Sender. Spätestens bei der Kontrolle der Unterschriften und des Geburtsdatums bei der Auszählung wäre der Fehler wohl aufgefallen.

Der Politikwissenschaftler und US-Wahlexperte Michael McDonald weist zudem auf eine weitere mögliche Fehlerquelle hin: Ihm zufolge würden viele Wahlmanagementsysteme Geburtstage wie "01/01/1900" oder sogar "01/01/1800" verwenden, wenn das Datum bei der Umstellung von Papierunterlagen auf das heute verwendete elektronisches System nicht vorlag.

McDonald zufolge stimmten 2016 über 45.000 Menschen ab, die zumindest laut System zu dem Zeitpunkt über 115 Jahre alt waren – in der absoluten Mehrheit waren die Geburtsdaten aber schlicht nicht vorhanden.

Bestehen trotz allem Zweifel, wird die Stimme am Ende gar nicht gezählt. Dasselbe treffe CNN zufolge auch dann zu, wenn ein Briefwähler nach der Abgabe seiner Stimme aber noch vor dem Wahltag verstirbt. Bei einem 20-jährigen Krebspatienten aus Wisconsin sei das etwa der Fall gewesen.

3. Behauptung: Zehntausende Stimmen tauchten plötzlich für Biden auf

In der Wahlnacht sah noch alles gut für Trump aus. So lag der Amtsinhaber in Michigan und Wisconsin lange Zeit deutlich vor seinem Herausforderer Biden. Einen Tag später überholte der Demokrat aber den Republikaner – plötzlich, wie es Trump und vielen seiner Anhänger scheint.

Der US-Präsident twitterte: "Sie finden Biden-Stimmen überall – in Pennsylvania, Wisconsin und Michigan. So schlecht für unser Land!"

Dass Trump in den genannten Bundesstaaten am Wahlabend führte, lag an der Reihenfolge der Stimmzettel, die zuerst ausgezählt wurden. Umfragen vor der Wahl zeigten, dass die Briefwähler sich mehrheitlich für Biden entscheiden würden. Anhänger von Trump stimmten dagegen am Dienstag direkt im Wahllokal ab – diese Stimmen wurden zuerst ausgezählt.

Besonders deutlich wurde das, als die demokratisch geprägte Stadt Milwaukee in Wisconsin einen ersten Schub an Briefwahlergebnissen meldete. Die Anzahl der Stimmen Bidens stieg damit auf einen Schlag um mehr als 100.000. Nicht, weil sie irgendwo "gefunden" wurden, sondern weil sie zusammen gemeldet wurden. Wie viele große Städte hat Milwaukee einen zentralen Auszählungsort, der zentral Ergebnisse meldet.

Für Aufregung sorgte ein inzwischen gelöschter Tweet eines republikanischen Lokalpolitikers. Der Mann behauptete, dass Biden während einer Aktualisierung des Zwischenstandes plötzlich 100 Prozent der neu gezählten Stimmen erhalten habe. Die Darstellung basierte allerdings allein auf einem Tippfehler in einem Bezirk: Statt 153.710 Stimmen, bekam Biden tatsächlich nur 15.371 zugesprochen – die Falschnachricht war da schon trotz Dementi um die Welt gegangen.

Das Unternehmen DecisionDeskHQ, das die Daten für zahlreiche US-Medien aufbereitet und Ergebnisse zur Verfügung stellt, entschuldigte sich für den Fehler: "Sobald wir den Fehler identifiziert hatten, löschten wir die fehlerhaften Daten und aktualisierten sie mit den korrekten Daten, die von den Wahlhelfern bereitgestellt wurden."

Zudem betonte eine Wahlhelferin in dem betroffenen Bezirk im Gepräch mit der "New York Times": "All diese Zahlen sind inoffiziell, also selbst wenn der Fehler letzte Nacht nicht erfasst worden wäre, hätten wir ihn auf jeden Fall erkannt, bevor wir unsere offiziellen Ergebnisse vorgelegt hätten." Wie in allen anderen Wahllokalen kontrollieren demokratische und republikanische Wahlhelfer die Ergebnisse, ehe diese offiziell bestätigt werden. Grobe Tippfehler, die am Ende die Wahl beeinflussen, scheinen so ausgeschlossen.

Trumps Wahlkampfteam klagte dennoch gegen die Stimmauszählung. Eine Richterin wies die Klage jedoch am Donnerstag zurück, die Beschwerde über angeblichen Betrug habe nur auf Hörensagen beruht.

4. Behauptung: In Wisconsin gab es mehr Stimmen als registrierte Wähler

Die Erklärung für die insbesondere auf Twitter von Trump-Anhängern verbreiteten Vorwürfe sind relativ einfach: Wisconsin ist einer von insgesamt 19 Bundesstaaten, die eine Registrierung zur Wahl noch am Wahltag erlauben. Einwohner, die nicht im Wählerverzeichnis eingetragen sind, können nicht abstimmen.

In Wisconsin haben mehr Menschen als offiziell registrierte Wähler abgestimmt, weil die Zahl der registrierten Wähler von der vorangegangen Abstimmung (den Midterms 2018) verwendet wurde. Entscheidend ist, dass in Wisconsin deutlich weniger Menschen abstimmten als es Wahlberechtigte in dem Bundesstaat gibt:

  • Anzahl registrierte Wähler 3.129.000
  • Anzahl abgegebene Stimmen: 3.280.000
  • Anzahl Wahlberechtigte: 4.540.000

Fazit

Die Chefs der Wahlbehörden in den umkämpften Staaten, darunter Republikaner und Demokraten, haben Trumps Vorwürfe bereits mehrmals zurückgewiesen.

Fakt ist: Wahlbetrug ist in den USA Experten und wissenschaftlichen Studien zufolge "äußerst selten". Untersuchungen würden "übereinstimmend zeigen", "dass bestimmte Arten von Betrug – wie sich für einen anderen Wähler ausgeben – praktisch nicht vorkommen", schreiben Experten des Brennan Center for Justice, einem unabhängigen Institut an der New York University Law School.

Ihnen zufolge waren bei untersuchten Abstimmungen nur rund 0,0025 Prozent der in Wahllokalen abgegebenen Stimmen von Betrug betroffen, bei Briefwahl sogar noch weniger. Es sei statistisch gesehen wahrscheinlicher, vom Blitz getroffen zu werden, hieß es weiter.

Es ist außerdem höchst ungewöhnlich, dass eine Opposition Wahlen in dem Maße fälschen kann, wie es Trump darstellt. Haben doch in der Regel nur die Machthaber so weitreichende Möglichkeiten zur Manipulation. Bisher haben weder Trump noch seine Partei Beweise für Zehntausende fehlerhafte Stimmen in mehreren Bundesstaaten vorgelegt. Sie können auch nicht erklären, wie die Demokraten einen angeblichen Wahlbetrug in von den Republikanern beherrschten Bundesstaaten wie Georgia und Arizona organisiert haben. Staaten, in denen Trumps Partei sowohl den republikanischen Gouverneur als auch die Mehrheit im Senat und im Repräsentantenhaus stellt.

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Verwendete Quellen:

  • Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP
  • Twitter-Kanal von Donald Trump
  • Detroit Free Press: "Chaos erupts at TCF Center as Republican vote challengers cry foul in Detroit"; "No, Joe Biden did not magically 'find' votes in Michigan"
  • New York Times: "No, Joe Biden Wasn’t Suddenly Awarded 138,000 Votes in Michigan"
  • Milwaukee Journal Sentinel: "Fact check: Wisconsin did not 'find' 100K ballots around 4 a.m. the morning after the election, or take break from counting votes"
  • CNN: "Claims that dead people voted went viral. These are the facts"
  • 8NewsNow: "I-Team: 'I’m not going to have this taken away from me,' blind woman from Nevada told she already voted"
  • Brennan Center for Justice: "Resources on Voter Fraud Claims"
  • eigene Recherche

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