Die Siebenkämpferin Anna Hall wehrte sich kürzlich mit einem Video gegen sexistische Hass-Kommentare auf ihren Social-Media-Accounts. Insgesamt werden Sportlerinnen deutlich häufiger als ihre männlichen Kollegen wegen ihres Körpers oder Aussehens beleidigt.
Anna Hall hatte eine dringende Botschaft an ihre Follower. "Das ist meine Bitte an die Öffentlichkeit. Hört auf, Sportlerinnen zu sagen, dass sie wie Männer aussehen. Hört wirklich auf damit. Das ist so gemein", sagte die Siebenkämpferin in einem Anfang April aufgezeichneten Tiktok-Video.
Die 22-jährige Amerikanerin war sichtlich darum bemüht, die Fassung zu bewahren, begann dann aber doch zu weinen. "Haltet einfach die Klappe", ärgerte sie sich: "Ich sehe stark aus, weil ich für meinen Sport stark sein muss. Ich kämpfe schon selbst damit, ich brauche keine Kommentare über meinen Körper. Es tut so weh. Warum nehmt ihr euch Zeit für so etwas?"
Hall, die im vergangenen Jahr bei der Leichtathletik-WM die Bronzemedaille gewonnen hatte, wird immer wieder Opfer von Hasskommentaren in den sozialen Medien, die sich auf ihren muskulösen Körper beziehen. "Sie sieht wie ein Mann aus. Ich kann nicht sagen, welches Geschlecht das ist", hatte ein Follower unter ein Video von Hall geschrieben, das sie beim Hochsprung zeigt. "Guter Job, wie du deinen Penis zur Seite geklebt hast", kommentierte ein anderer.
Bodyshaming: Anna Hall ist kein Einzelfall
"Ich würde gern sagen, dass mich das überrascht, aber das tut es leider nicht. In unserer Gesellschaft sind noch immer bestimmte Idealbilder davon verankert, wie – vor allem weiblich gelesene – Körper auszusehen haben. Wer sich davon emanzipiert, erlebt oft massive Anfeindungen. Das sind leider keine Einzelfälle", sagt Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin der gemeinnützigen Organisation HateAid, die sich für Menschenrechte im digitalen Raum einsetzt und von Hasskommentaren betroffene Menschen unterstützt.
Tatsächlich lassen sich problemlos weitere Beispiele für Bodyshaming gegen Sportlerinnen aufzählen. Tennisspielerin
Während Langstreckenläuferinnen wie Konstanze Klosterhalfen oder Eilish McColgan beinahe täglich gesagt bekommen, dass sie zu dünn sind, erhielt Sprinterin Gina Lückenkemper einst den Ratschlag, weniger zu essen und mehr zur trainieren. Die Europameisterin über 100 Meter warnte vor den verheerenden Folgen solcher Kommentare, die Menschen in Essstörungen treiben könnten.
Deutlich mehr Sportlerinnen werden Opfer von Hasskommentaren
Eine im Auftrag des Leichtathletik-Weltverbandes durchgeführte Studie zeigt, dass sich bei den Olympischen Spielen in Tokio vor zwei Jahren 87 Prozent aller Hasskommentare gegen Athletinnen richteten. Während männliche Sportler eher allgemein oder rassistisch beleidigt wurden, wurden die Sportlerinnen häufig Opfer von sexistischen Kommentaren oder Bodyshaming.
"Frauenfeindlichkeit ist leider auch im Netz weit verbreitet. Digitale Gewalt gegen Frauen ist meist sehr persönlich und auch sexualisiert. Da geht es dann schnell nicht mehr um Kritik in der Sache, sondern um ihren Körper, ihr Aussehen, darum, wie gern man mit ihr schlafen möchte", sagt von Hodenberg.
"Für Frauen gehören Vergewaltigungsdrohungen, Nachrichten mit expliziten Verstümmelungs- und Gewaltfantasien oder sexuelle Belästigung längst zum Alltag im Netz", erklärt die Expertin weiter. "Und das geschieht oft mit einem Ziel: sie herabzuwürdigen, zu demütigen und mundtot zu machen. Was wir derzeit erleben, ist ein weltweiter Backlash gegen die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte: Gleichberechtigung wird durch strukturellen Frauenhass in digitalen Räumen infrage gestellt und systematisch untergraben."
Studie: Bis zu einem Viertel aller Deutschen stimmen sexistischen Aussagen zu
Hasskommentare in den sozialen Medien werden in den meisten Fällen anonym gepostet. Im konkreten Fall von Anna Hall scheinen es in erster Linie junge bis mittelalte Männer zu sein, die die Siebenkämpferin mobben. Allerdings lässt sich die Gruppe der Menschen, die im Netz Bodyshaming betreibt, nicht so einfach eingrenzen.
Anna-Lena von Hodenberg verweist auf die Leipziger Autoritarismus-Studie von 2022, die ergeben habe, dass bis zu einem Viertel der Deutschen antifeministischen und sexistischen Aussagen zustimmen. "Jeder dritte Mann und jede fünfte Frau haben gar ein geschlossen antifeministisches und sexistisches Weltbild, lehnen also etwa feministische Anliegen und Positionen pauschal ab", sagt sie.
"Daneben gibt es auch Gruppen wie Incels (Incels steht für "involuntary celibate men", also für unfreiwillig im Zölibat lebende Männer; Anm.d. Red.), die sich um ihr vermeintliches Recht auf Sex betrogen fühlen und ihr frauenverachtendes Gedankengut offen im Netz propagieren. Man muss also leider sagen: Geschlechtsspezifische digitale Gewalt hat Hochkonjunktur im Netz und kann von allen Seiten – auch aus der Mitte der Gesellschaft – kommen. Die Bandbreite ist groß", erklärt von Hodenberg.
Lesen Sie auch:
- Twitter-Userin berührt mit Bodyshaming-Thread zu Untergewicht
- Pubertät, Mobbing und Mut: Saša Stanišićs neuer Roman "Wolf"
HateAid ermutigt Betroffene, gegen Täter und Täterinnen rechtlich vorzugehen
Die Verrohung der Sitten in den sozialen Medien schreitet seit Jahren voran, die übergriffigen Kommentare, die Sportlerinnen und andere weibliche Prominente in Bezug auf ihre Körper hinnehmen müssen, sind ein Teil dieser bedenklichen Entwicklung.
"Niemand muss diesen Hass einfach aushalten, auch keine Sportlerin, die in der Öffentlichkeit steht. Viele Betroffene denken, das gehöre eben dazu und man müsse damit zurechtkommen. Aber wer digitale Gewalt erlebt, macht zuallererst einmal eine Gewalterfahrung. Es macht etwas mit den Betroffenen, wenn das Handy nicht mehr stillsteht und alle paar Minuten eine neue Beleidigung, eine neue Herabwürdigung dazu kommt. Daher sollte niemand mit dem Hass allein bleiben", sagt von Hodenberg.
"Es kann helfen, sich Menschen aus dem eigenen Umfeld anzuvertrauen oder sich an eine Beratungsstelle zu wenden, um über das Erlebte zu sprechen. Außerdem ermutigen wir Betroffene dazu, auch rechtlich gegen die Täter und Täterinnen vorzugehen, Vorfälle etwa zur Anzeige zu bringen", erklärt die Geschäftsführerin von HateAid.
Anna Hall wählte für sich den Weg, an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Hassnachrichten werden nach ihrem viel beachteten Tiktok-Video sicher nicht aufhören. Aber die Siebenkämpferin hat es auf jeden Fall geschafft, auf das Problem aufmerksam zu machen.
Verwendete Quellen:
- Schriftliches Interview mit Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin der gemeinnützigen Organisation HateAid
- worldathletics.org: "World Athletics publishes Online Abuse Study covering Tokyo Olympic Games"
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.