Ferrari hat seine Piloten Sebastian Vettel und Charles Leclerc nach dem folgenschweren Zusammenstoß in Sao Paulo zur internen Aufarbeitung gebeten. Zuvor hatten sich Vettel und Leclerc in TV-Interviews gegenseitig die Schuld am Desaster gegeben.

Mehr Formel-1-Themen finden Sie hier

Mattia Binotto, Teamchef der Scuderia Ferrari, hat nach dem vorletzten Rennen der Formel-1-Saison in Sao Paulo Arbeit, auf die er gerne verzichtet hätte: Der Italiener muss die Kontroverse zwischen Sebastian Vettel und dessen Team-Kollege Charles Leclerc schlichten.

Ferrari: Die Eskalation eines Machtkampfs

Auf dem Circuit Carlos Pace eskalierte in der 66. Runde der seit Monaten tobende Kampf um die Vorherrschaft im roten Renner.

Leclerc hatte gerade den vor ihm fahrenden Vettel im Kampf um Position vier überholt. Ein Manöver, das der 22-Jährige "sehr genossen" habe, wie er nach Information von Motorsport-Total.com eingestand.

Vettel teilte diesen Genuss nicht und reagierte mit einem Konter. Leclerc war darauf vorbereitet: "In Kurve drei musste ich zumachen, da mir schon bewusst war, dass es Seb erneut versuchen würde."

Dieser Versuch endete in einer Berührung des linken Hinterreifens von Vettels Wagen mit dem rechten Vorderrad an Leclercs Ferrari und zerstörte letzten Endes beiden das Rennen.

"Mein Gott, muss das sein?", fluchte Vettel unter anderem auf Deutsch. Das anschließende Schimpfwort wurde von der Formel-1-Regie weggepiept. Leclerc wütete: "Was zur Hölle!"

Wer hätte wem Platz lassen müssen?

Alle Beobachter waren sich anschließend einig: Vettel hätte während seines Überholvorgangs seine gerade Linie halten müssen. Der Platz dazu war da. Stattdessen zog der 32-Jährige nach innen. Dort hatte Leclerc ebenfalls genügend Zeit und Raum, um die Kollision mit einem Ausweichen nach links zu verhindern. Er tat es aber nicht.

Folgerichtig behauptete nachher Vettel: "Ich hatte nicht viel Platz rechts neben ihm. Ich kam aus Kurve drei besser raus und habe versucht, zu überholen. So einfach war das."

Leclerc wiederum schob die Schuld zurück: "Er hat es auf der Außenseite versucht, wo wenig Platz war. Aber ich habe ihm den Platz gelassen."

Ferrari muss die Schuldfrage klären

Die Teamleitung von Ferrari steht nun kurz vor dem Ende eines unter dem Strich ohnehin enttäuschenden, weil wieder titellosen Jahres vor der kurzfristigen Aufgabe, die Schuldfrage zu klären. Mittelfristig muss Binotto dafür sorgen, dass sich Ähnliches nicht regelmäßig wiederholt. Denn Nutznießer ist immer die Konkurrenz.

In Sao Paulo bedeutete es, dass sich Sieger Max Verstappen in seinem Red Bull WM-Platz drei in der Fahrerwertung schnappte, da er an Leclerc vorbeizog.

Beide Ferrari-Angestellten waren mit der Freiheit, die ihnen die fehlende Teamorder gewährte, wenig erwachsen umgegangen. "Unsere zweite Position in der Konstrukteurs-WM ist so gut wie fix, daher haben sie um ihre Plätze in der Fahrer-Wertung gekämpft. Aber sie wussten, dass man dumme Aktionen vermeiden sollte. Und das war für mich eine dumme Aktion", merkte Binotto dazu an.

Er weiß, dass der im Team etablierte Vettel und Neuzugang Leclerc die gesamte Saison über mit aller Macht zeigen wollten, wer im traditionsreichsten Rennstall der Formel 1 die Nummer eins ist. Leclercs Vertrag endet nach der Saison 2022, der Vettels ein Jahr zuvor.

Vettel, der auch durch eigene Fehler immer wieder in die Kritik gerät, muss sich trotz Titel-Meriten gegen Leclerc beweisen.

Der Neuzugang will von einer Rolle als Nummer zwei nichts wissen, grantelt im Rennen - siehe Sotschi - bei entsprechenden Anweisungen und lässt sich seinen Unmut deutlich anmerken. Vettel ist dabei nicht in der Lage, ihn sportlich zu beherrschen.


Stattdessen raste Lerclerc 2019 schon zu zwei Siegen und holte holt sieben Mal die Pole Position. Vettel gelang hingegen nur ein Sieg, und nur zwei Mal stand der vermeintliche Platzhirsch Ferraris auf Startplatz eins.

Auch in Brasilien schwächelte Vettel. Er verlort beim Start einen Platz, während Leclerc - durch eine Strafe nur von Position 14 gestartet - sieben Plätze in sieben Runden aufholte und in der besagten Runde 66 auch Vettel einkassierte.

Binotto kündigte die interne Aufarbeitung im Hauptquartier im italienischen Maranello an. Wenn man es noch mit erhitztem Gemüt mache, würde man die falschen Schlussfolgerungen ziehen, erklärte Binotto. "Den Fahrern sollte in erster Linie das Team leidtun. Es war ein kleiner Crash mit großen Folgen."

Pressestimmen: "Ferrari implodiert öffentlich"

Die Zeitung "La Stampa" aus Italien beschrieb die Dimension als Höhepunkt einer internen Abneigungsspirale: "Niemals war es (...) zu dem gekommen, was man in Interlagos gesehen hatte."

Die internationale Presse sprach weiterhin von einer "öffentlichen Implosion" ("The Guardian") und von einem "weiteren erbärmlichen Nachmittag für Ferrari" ("The Telegraph") und "The Telegraph" fragte zusätzlich, "wie lange" die Partnerschaft zwischen Vettel und Leclerc "noch haltbar" sei. Nur Binotto kann darauf antworten. (hau/dpa)

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.