- George Russell hat nicht gezögert, als Zhou Guanyu in Silverstone schwer verunfallte.
- Russell stieg aus seinem Auto, rannte zu dem Wrack, in dem der Chinese steckte, und kümmerte sich.
- Er wird für seine Aktion gefeiert, für ihn selbst war es eine "natürliche Reaktion".
George Russell ist kein Lautsprecher, kein Sprücheklopfer, keiner, der sich mit markigen Worten in den Mittelpunkt stellt. Eher wirkt der Brite zurückhaltend und nachdenklich. Das war er auch, als er noch einmal über den Formel-1-Horror-Crash von Zhou Guanyu in Silverstone sprechen sollte. Russell war nach dem Unfall des Chinesen aus seinem gestrandeten Mercedes gestiegen und schnurstracks zu dem verunfallten Alfa Romeo gesprintet. Womit Russell zum heimlichen Helden des vergangenen Wochenendes geworden ist.
Denn die Bilder gingen um die Welt, als Russell auf den Reifenstapel stieg und sich nach dem zwischen Fangzaun und Reifenmauer eingeklemmten Zhou erkundigte. Dabei gestikulierte er wie wild, damit Hilfe schneller zur Unfallstelle eilte. Da war einer, der im oft sehr kalten Business Formel 1 nicht zuerst an sich, sondern an einen Konkurrenten dachte. Die Fan-Herzen schmolzen dahin.
Hilfe für Zhou: "Eine ganz natürliche Reaktion" für Russell
Man muss dazu sagen: Die Formel 1 rückt traditionell zusammen, wenn es um schwere Unfälle, um das Leben der Kollegen geht. Über Funk versichern sich die Piloten stets, ob es dem betroffenen Fahrer gut geht. Sebastian Vettel zum Beispiel hielt beim Qualifying in Spa 2021 sogar neben dem verunfallten Lando Norris an, um sich bei dem McLaren-Star zu erkundigen, ob alles in Ordnung ist.
Doch dass ein Fahrer aussteigt und zum Konkurrenten läuft, ist dann doch eher die Ausnahme. Für Russell selbst war es aber nicht ungewöhnlich. "Ich denke, das ist eine ganz natürliche Reaktion", sagte er bei einer Pressekonferenz vor dem elften Saisonrennen in Spielberg. "Das Rennen wurde abgebrochen, und nach einem solch schrecklichen Zwischenfall dachte ich, dass mein Auto wahrscheinlich nicht mehr zu retten sei", erklärte der 24-Jährige. Der Schaden hätte eine Weiterfahrt wohl zugelassen, doch am Ende zählte, dass Zhou wohlauf war.
Auch wenn das im ersten Moment nicht ersichtlich war. Denn der Anblick des eingekeilten Boliden war gewöhnungsbedürftig. "Es war entsetzlich zu sehen, wie er dort eingeklemmt war", sagte Russell. "Er konnte nicht aus dem Auto herauskommen. Ihm ging es gut und ich konnte sehen, dass er sich bewegte. Aber als Fahrer wissen wir alle, dass es da drin ziemlich beengt ist", weiß Russell.
"Einfach eine schreckliche Situation"
Man habe den Helm auf, man habe den Cockpitschutz Halo, die Kopfstütze, erklärte Russell. "Und wenn man dann eine Reifenwand auf dem Kopf hat, die den Ausstieg blockiert, während man verkehrt herum hängt, ist das einfach eine schreckliche Situation", fasste der Mercedes-Fahrer zusammen.
Zu dieser Zeit bangte Zhou im Auto um sein Leben, denn der Chinese fürchtete, der Bolide könnte Feuer fangen. "Ich spürte Flüssigkeit an meinem Bein, und mir war nicht klar – ist das mein Blut oder kommt das vom Auto?", erzählte er. Er schaltete den Motor aus. "Meine größte Angst war Feuer. Ich war mir noch immer nicht ganz bewusst, wie seltsam eingeklemmt mein Auto liegt, aber ich wusste: Wenn es zu brennen beginnt, dann wird es ganz schwierig, schnell aus dem Wagen zu kommen", sagte der Rookie, der wenig überraschend verriet, dass dies sein bislang schlimmster Unfall war.
Insgesamt kam er mit dem Schrecken und ein paar Prellungen davon, er wird am Wochenende wieder im Auto sitzen. "Mir ist klar, dass ich riesiges Glück hatte. Ich habe am Sonntagabend gesagt, dass der Halo mein Leben gerettet hat, und dabei bleibe ich", sagte er. Ebenfalls am Sonntagabend setzte er sich mit Russell in Verbindung und bedankte sich "für diese sportliche und edle Geste".
Nicht das erste Mal: George Russell half bereits Callum Ilott
Doch woher kam bei Russell der Instinkt, so zu handeln? Es war nämlich nicht das erste Mal, dass er so reagierte. IndyCar-Fahrer Callum Ilott berichtete noch am Rennsonntag auf Twitter, dass Russell auch ihm schon einmal zu Hilfe kam, als er sich mit seinem Kart in einem Rennen überschlagen hatte.
"Um ehrlich zu sein, habe ich darüber bei keinem der Vorfälle nachgedacht, ich denke erst jetzt darüber nach", sagte Russell. Und erzählte eine Anekdote. "Ich habe mich 2008 überschlagen und war unter dem Kart eingeklemmt. Ich habe mir den Arm verbrannt, weil der Auspuff auf mir klebte und der andere Fahrer angehalten hat, um das Kart von mir zu heben." Vielleicht war das ja ein Auslöser für die Gentleman-Attitüde. So oder so: Sie ist in der Formel 1 eine Ausnahme, wenn auch eine wohltuende.
Verwendete Quellen:
- Pressekonferenz Spielberg
- Tweet von Callum Ilott, 3.7.22
F1-Grand-Prix in Silverstone: Albon und Zhou in schweren Unfall verwickelt
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