Die zahlreichen Sünden der Vergangenheit holen den VfB Stuttgart in dieser Saison ein, der zweite Bundesligaabstieg ist realistischer denn je. Es gibt nur noch zwei Fünkchen Hoffnung.
Natürlich sind die Diskussionen längst in vollem Gange, davor ist auch einer wie Huub Stevens auf seine älteren Tage nicht gefeit. Der Niederländer hat ja schon einiges erlebt in seiner Karriere, hat Titel errungen und schmerzhafte Niederlage einstecken müssen, er war der Anführer der Eurofighter und Meister der Herzen und ist auf Schalke für immer der Trainer des Jahrhunderts.
So weit wird es Stevens beim VfB Stuttgart wohl nicht mehr bringen. Die Schwaben sind Letzter, ein ausgebrannter Verein mit einer paralysierten Mannschaft und einem Trainer, der zum ersten Mal in mehr als zwei Jahrzehnten Trainerdasein völlig ratlos wirkt.
Im Spätherbst war die Entzückung zumindest der Stuttgarter Verantwortlichen groß, als sie den vermeintlichen Retter ein zweites Mal an den Neckar locken konnten. Dass Stevens aber lediglich mit der Vorempfehlung von einem errungenen Punkt pro Partie während seines ersten Intermezzos aufwarten konnte, wurde geflissentlich übersehen.
Derzeit hat Stevens nicht einmal mehr das geschafft. In den zehn Spielen unter seiner Regie hat der VfB ganze zwei gewonnen, dafür aber fünf verloren und im Schnitt nur 0,9 Punkte geholt. Aus den fünf Partien nach der Winterpause ist es bisher ein lausiger Zähler, es sind die Schreckenszahlen eines kommenden Absteigers.
Wer genau hinhört, bekommt spätestens seit dem 1:2 in Hoffenheim vor zwei Wochen mit, wie die Bosse vorsichtiger geworden sind mit ihren Treueschwüren für den Niederländer. Sportvorstand Robin Dutt hält sich das eine oder andere Hintertürchen offen, Präsident Bernd Wahler, der Stevens unbedingt ins Amt hieven wollte, hat sich seit einigen Wochen komplett aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.
Dabei bedarf es genau jetzt eines starken Mannes, um die längst um sich greifende Schockstarre auf dem Wasen noch entscheiden zu durchbrechen. Mittlerweile scheinen sich große Teile der Fans und des Umfelds und - man muss es so hart sagen - auch einige Profis mit dem Gedanken arrangiert zu haben, dass ab der kommenden Saison und dann auf unbestimmte Zeit nur noch zweitklassiger Fußball in der Mercedes-Benz Arena zu sehen sein wird.
Streng genommen ist das schon seit mehreren Jahren so, würden Kritiker wohl einwenden. So verheerend schwach und konzeptlos wie in der laufenden Rückrunde hat sich aber noch nie eine Stuttgarter Bundesligamannschaft präsentiert.
Die Fehler der Vergangenheit, die vielzähligen und sündhaft teuren Trainerwechsel, die massenhaft verkorksten Transfers, die fehlende Identifikation und teilweise maßlose Selbstüberschätzung des Personals und eine nicht einmal rudimentär vorhandene Leistungskultur im gesamten Verein kulminieren in einem Produkt, das Lichtjahre von dem entfernt ist, was man gemeinhin als Profifußball definiert.
Einige sporadische Erfolge sind die Ausnahme, die Regel sind: kein Offensivspiel, keine Kreativität, gruppentaktische und individuelle Fehler en masse, keine Tore, keine Punkte, kein Glück, Platz 18. "Jetzt kommen die Gegner, gegen die wir punkten müssen und werden", sagt Dutt. Mit dem ersten Teil seiner Analyse hat er Recht, wie seine Weissagung aber Realität werden soll, weiß derzeit niemand am Wasen.
Gegen Hannover steht Stevens ein lupenreines Endspiel ins Haus. Verliert die Mannschaft auch gegen 96, ist der 62-Jährige Geschichte beim VfB. Im Hintergrund laufen längst die immer gleichen Spielchen ab, Nachfolger werden gehandelt und neue Szenarien beschworen. Alexander Zorniger soll ein Kandidat sein, Jos Luhukay wäre zu haben. Rainer Adrion wäre die interne Lösung. Thomas Tuchel? Will erst ab Sommer wieder einsteigen - und dann wohl ziemlich sicher nicht beim VfB.
Trotzdem wäre ein Trainer- und damit auch Strategiewechsel wohl eine der zwei letzten großen Hoffnungen. Stevens‘ Defensivkonzept steuert gerade mit 180 km/h auf die Wand zu. Der zweite Hoffnungsschimmer: Der Zusammenhalt mit den Fans.
Das Stuttgarter Publikum hat nicht den besten Ruf. Wenn man aber sieht, was die Fans seit Jahren besonders bei den Heimspielen ertragen mussten und müssen und wie sie dann auch auf die nächste Demütigung wie zuletzt bei der Niederlage gegen Dortmund mit Verständnis und Aufmunterung reagierten, kann das eine Signalwirkung für die Mannschaft haben.
Viel mehr ist nicht mehr drin in der Trickkiste, dafür besitzt die Mannschaft in ihren Einzelteilen und ihrer Komposition schlicht nicht die nötige Qualität. Dass sich noch einmal mindestens zwei Mannschaften finden lassen, die es noch schlechter machen als der VfB, ist in dieser Saison nicht zu erwarten. Stuttgart benötigt nicht mehr nur ein paar Siege - der VfB braucht nun schon ein kleines Wunder.
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