Der Videobeweis steht auch am siebten Spieltag im Mittelpunkt: Zur Anwendung kommt er in gleich sechs Spielen. Dabei sehen sich die Schiedsrichter doppelt so oft Szenen selbst am Bildschirm an wie in der gesamten bisherigen Saison. Das hat gute Gründe – und führt zu durchweg positiven Ergebnissen.

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
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Vor einer Woche hatte sich schon angedeutet, dass der Videobeweis in der Praxis eine wesentliche Veränderung erfahren könnte. Jetzt, nach dem siebten Spieltag, hat sich diese Änderung bestätigt: Die Schiedsrichter machen nun häufiger von der "Review Area" Gebrauch.

Das heißt: Statt sich ganz auf den Video-Assistenten zu verlassen, schauen sie sich Szenen, die überprüft werden können, im Zweifelsfall selbst noch einmal auf einem Bildschirm am Spielfeldrand an. Gleich viermal war das am vergangenen Wochenende der Fall – und damit doppelt so oft wie an allen bisherigen Spieltagen zusammen.

Ursprünglich sollte die Review Area nur ausnahmsweise aufgesucht werden, etwa bei ungewöhnlich großen Bedenken des Spielleiters gegen eine Einschätzung des Mannes am Monitor. So lautete jedenfalls die Vorgabe des DFB.

Denn zum einen sollten die Unterbrechungen bei einer Inanspruchnahme des Videobeweises so kurz wie möglich ausfallen. Zum anderen sollten die Referees auf dem Platz ihren Kollegen im Kölner Studio, die sie seit Jahren kennen, vertrauen.

Der Video-Assistent ist kein Oberschiedsrichter

Die Umsetzung dieser Vorgabe stieß bei Spielern, Vereinsverantwortlichen, Fans und Medien allerdings auf Kritik. Und das, obwohl es durch den Videobeweis zahlreiche berechtigte Korrekturen von klaren Fehlern gab.

Doch vielen war es augenscheinlich etwas unheimlich, dass da jemand, den sie selbst nicht sehen oder hören können, weit weg vom Rasen in einem dunklen Raum darüber befindet, was geschehen soll.

Die Video-Assistenten entscheiden zwar nicht selbst, sondern haben nur beratende Funktion. Trotzdem entstand gelegentlich der Eindruck, dass die Unparteiischen auf dem Platz von ihnen ferngesteuert werden.

Ein Schiedsrichter dagegen, der eine Spielsituation selbst noch einmal in Augenschein nimmt, bevor er endgültig entscheidet, wirkt selbstbestimmter. Der Ablauf ist zudem transparenter, die Video-Assistenten werden stärker als das wahrgenommen, was sie tatsächlich sind: Helfer des Unparteiischen – und keine Oberschiedsrichter.

Haben die Referees das Reglement überstrapaziert?

Verwirrung gab es am Wochenende jedoch um die Frage, ob die Referees das Reglement für den Videobeweis nicht hier und da etwas überstrapaziert haben. Denn hieß es nicht, dass der Video-Assistent nur bei eindeutigen Fehlentscheidungen zum Zuge kommt?

In manchen Spielen schien das nicht unbedingt gegeben zu sein. Doch die Richtlinien des International Football Association Board (Ifab) zum Videobeweis unterscheiden zwischen den Rechten des Unparteiischen und jenen des Video-Assistenten.

Der Video-Assistent kann von sich aus nur im Falle eines klaren Fehlers empfehlen, eine Entscheidung zu ändern. Der Schiedsrichter dagegen hat auch dann die Möglichkeit, eine Szene überprüfen zu lassen, wenn er nur "vermutet, dass ein klarer Fehler gemacht oder etwas Schwerwiegendes übersehen wurde".

Wenn diese Prüfung eingeleitet wurde, kann er laut den Richtlinien entweder "eine Entscheidung fällen, die auf den Informationen des Video-Assistenten basiert", oder "die Aufzeichnungen direkt am Spielfeldrand sichten, bevor eine endgültige Entscheidung gefällt wird".

Die Review Area kann Gemüter beruhigen

Letzteres soll "hauptsächlich [bei] subjektiven Entscheidungen" geschehen. Subjektiv – weil oft im Graubereich – ist beispielsweise die Entscheidung, ob ein Körpereinsatz regelgerecht oder ein Foul ist. Auch Handspiele fallen in diese Kategorie.

Die Review Area kann vom Referee aber auch "zur Unterstützung der Kontrolle über das Spiel" genutzt werden oder "um eine Entscheidung zu bekräftigen". Mit anderen Worten: Sie kann dazu dienen, die Gemüter zu beruhigen.

Gleich sechsmal nutzten die Schiedsrichter an diesem Spieltag die Möglichkeit des Videobeweises, dabei wurden in einigen Fällen potenziell spielentscheidende Fehler korrigiert.

VfL Wolfsburg – 1. FSV Mainz 05 (1:1): Nach 89 Minuten spricht der Unparteiische Robert Hartmann den Gästen beim Stand von 1:1 einen Elfmeter zu, als Paul-Georges Ntep den Mainzer Karim Onisiwo zu Fall bringt. Dann aber schaltet sich der Video-Assistent Tobias Stieler ein, der beim Betrachten der Wiederholungen bemerkt hat, dass das Foul knapp außerhalb des Strafraums begangen worden ist.

Daraufhin korrigiert Hartmann sich und gibt einen Freistoß für Mainz am Sechzehnmeterraum. Die Review Area benötigt er dafür nicht, weil sich der genaue Tatort vom Video-Assistenten mithilfe der Fernsehbilder objektiv bestimmen lässt.

Eintracht Frankfurt – VfB Stuttgart (2:1): Eine ganz ähnliche Situation ereignet sich in Frankfurt. Dort entscheidet Schiedsrichter Felix Brych beim Spielstand von 1:1 in der 65. Minute auf Strafstoß für die Gäste, als Simon Falette den Stuttgarter Simon Terodde umstößt.

Doch auch hier interveniert der Video-Assistent, in diesem Fall Bastian Dankert, denn wie in Mainz hat sich das Foulspiel kurz vor dem Strafraum zugetragen. Brych ändert seine Entscheidung deshalb in einen Freistoß.

Die Rote Karte für Falette bleibt jedoch bestehen, denn der Frankfurter hat mit seinem Stoß gegen Terodde die "Notbremse" gezogen, also eine klare Torchance verhindert.

Schalke 04 – Bayer 04 Leverkusen (1:1): Nach 71 Minuten geht erst der Schalker Guido Burgstaller im Leverkusener Strafraum im Zweikampf mit Jonathan Tah zu Boden, wenige Augenblicke später foult Bastian Oczipka an der Seitenlinie den Leverkusener Kai Havertz und tritt noch gegen den Ball, als Havertz schon auf der Kugel liegt.

Schiedsrichter Guido Winkmann hat deshalb gleich zwei Gründe, sich erst mit dem Video-Assistenten Wolfgang Stark über Funk zu besprechen und schließlich in die Review Area zu laufen: Zu klären ist, ob es einen Elfmeter für Schalke hätte geben müssen und ob Oczipka sich einer Tätlichkeit schuldig gemacht hat.

Der Review-Prozess dauert mehrere Minuten, dann trifft Winkmann zwei korrekte Entscheidungen: Kein Strafstoß für die Gastgeber, Gelb für Oczipka. Der Verdacht einer Tätlichkeit hatte sich nicht bestätigt, aber eine Unsportlichkeit lag vor. Und die musste, nachdem der Referee sich die Bilder angesehen hatte, mit einer Verwarnung bestraft werden.

FC Augsburg – Borussia Dortmund (1:2): 76 Minuten sind gespielt, als Ja-Cheol Koo den Dortmunder Lukasz Piszczek nach einem Freistoß für den BVB abseits des Balles über mehrere Meter hinweg am Trikot festhält. Das Halten beginnt zwar vor dem Strafraum, setzt sich aber in den Sechzehner hinein fort.

Dort kommt Piszczek schließlich zu Fall. Der Unparteiische Marco Fritz lässt jedoch weiterspielen, zur Beratung mit dem Video-Assistenten Jochen Drees kommt es notgedrungen erst eine halbe Minute später. Denn so lange dauert es bis zur nächsten Spielunterbrechung.

Fritz schaut sich die Szene noch einmal selbst auf dem Bildschirm an und entscheidet dann zu Recht auf Elfmeter für die Dortmunder. Pierre-Emerick Aubameyang vergibt jedoch die große Chance vom Punkt.

Hertha BSC – FC Bayern München (2:2): Im Duell mit Javi Martínez kommt der Berliner Vladimir Darida im Münchner Strafraum nach 18 Minuten zu Fall. Referee Harm Osmers zeigt sofort auf den Elfmeterpunkt, entscheidet sich nach einem kurzen Gespräch mit dem Video-Assistenten Sascha Stegemann jedoch dafür, die Review Area in Anspruch zu nehmen.

Nach dem Betrachten der Bilder nimmt Osmers die Strafstoßentscheidung zurück – eine berechtigte Korrektur, denn Martínez hatte ausschließlich den Ball gespielt und Daridas Sturz nachweislich nicht verursacht.

Borussia Mönchengladbach – Hannover 96 (2:1): Es läuft bereits die Nachspielzeit, als der Hannoveraner Salif Sané im eigenen Strafraum mit vollem Einsatz eine seitliche Grätsche gegen Vincenzo Grifo riskiert. Dabei trifft er erst den Ball, bevor er den Gladbacher regelrecht abräumt.

Schiedsrichter Christian Dingert entscheidet auf Elfmeter, eilt nach einem Gespräch mit dem Video-Assistenten Wolfgang Stark aber an die Seitenlinie zum Monitor, um sich noch einmal zu vergewissern, ob der Pfiff richtig war. Der Referee bleibt schließlich bei seiner Einschätzung.

Das kann man gewiss diskussionswürdig, aber auch vertretbar finden: Wenn zwar der Ball gespielt, der Gegner fast im gleichen Atemzug jedoch ungestüm zu Fall gebracht wird, ist es nicht falsch, auf Foul zu erkennen.

Dingert hat hier die im Reglement des Ifab vorgesehene Möglichkeit genutzt, auf Nummer sicher zu gehen – zweifellos eine gute Idee bei einem potenziell spielentscheidenden Pfiff kurz vor Schluss.

Deutliche Fortschritte

In allen sechs Situationen, in denen am siebten Spieltag der Videobeweis zur Anwendung kam, haben die Schiedsrichter also mit Unterstützung durch die Video-Assistenten völlig korrekte oder doch zumindest nachvollziehbare Entscheidungen getroffen.

Sie haben klare Fehler berichtigt, Versäumnisse ausgebügelt und Klarheit in unklaren Situationen geschaffen. Zudem haben sie durch die Nutzung der Review Area für mehr Transparenz, Akzeptanz und Glaubwürdigkeit gesorgt.

Der Videobeweis ist und bleibt "work in progress". An diesem Wochenende hat es einen deutlichen Fortschritt bei seiner Anwendung gegeben.

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